Resli, der Güterbub. Franz Eugen Schlachter
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Vorwort
Das vorliegende Buch ist eine der ersten großen Erzählungen von Franz Eugen Schlachter. Eigentlich ist es eine Nacherzählung der Geschichte des Berner Verdingkindes Andreas Balli.
Im Stil eines Jeremias Gotthelf erzählt Franz Eugen Schlachter (FES) die erschütternde Geschichte des jungen „Resli“.
Um dieses wertvolle Werk Schlachters auch in seiner Eigenart wirken zu lassen, habe ich auf eine eigentliche Bearbeitung verzichtet und nur die übersetzungsbedürftigen Worte in der Fußnote erklärt.
Wie die meisten Werke Schlachters war der „Resli“ zuerst in den „Brosamen“, der Zeitschrift Schlachters, erschienen.
Herzlich danken möchte ich Paul Blösch sen., der mir das Originalbüchlein „Resli“ freundlicherweise geschenkt hat und meinem Sohn Peter-Michael, der das Buch Wort für Wort abgetippt, die „unverständlichen“ Begriffe herausgesucht, im Lexikon nachgeschlagen bzw. als offenen Punkt festgehalten hat.
Nicht zuletzt gebührt mein Dank aber auch Pfarrer i.R. Franz Baumann, dem Enkel von Franz Eugen Schlachter, der mir freundlicherweise und unermüdlich die spezifischen – für mich schwer verständlichen – Berndeutschen und Altschweizer Ausdrücke „übersetzt“ hat.
Man muss sich des Weiteren ja fragen, was einen „Schwaben“ bewegt, dieses Werk von Franz Eugen Schlachter – vorläufig nur im Manuskriptdruck – neu aufzulegen.
Im Zuge der Biographie musste ich mich natürlich auch mit den Werken von FES auseinandersetzen. Frühzeitig stieß ich auf den Resli und meine Neugier kannte keine Grenzen, diese Geschichte kennen zu lernen.
Lange sah es danach aus, als wäre es unmöglich, ein Exemplar vom „Resli“ zu bekommen. Ich war deshalb umso mehr erfreut und sehr dankbar, als Paul Blösch sen. mir das Büchlein freundlicherweise geschenkt hat.
Schon als ich die ersten Seiten las, hat mich die Geschichte dieses Bernerkindes erschüttert.
Nachdem schon lange der Entschluss gereift war, die zugänglichen Schriften von Franz Eugen Schlachter neu aufzulegen, liegt nun „Resli“ als zweites Werk, nach „Berechtigung und Aufgabe der Predigt“, im Manuskriptdruck vor.
Ich wünsche dem Leser Gottes Segen und ein vertieftes Nachdenken darüber, wie gut es uns heute geht und was wir Gott alles zu danken schuldig sind.
Karl-Hermann Kauffmann
1. Die Verdinggemeinde1
Es war an einem jener schönen Februarmorgen, wo der Bär seine Tatzen sonnt, um sich nachher noch weitere sechs Wochen in die Höhle zu verkriechen. Unerfahrene Leute hängen an einem solchen Tag die Vorfenster aus, suchen die Sommerkleider hervor, und in manchem Hause gibt es Tränen, weil die Mädchen gerne ihre Strohhüte aufsetzen würden und die Mutter es nicht haben will. Sogar ein Margritli steckt da und dort den Kopf unter der schützenden Mutter Erde hervor und schaut verwundert in die neue Welt; von wegen, so ein Margritli ist eben auch ein unerfahrenes Ding, es hat noch nicht manchen Winter erlebt.
Die ehrbaren Gemeindsmannen von Kurzenwyl waren nun freilich keine unerfahrenen Neulinge mehr auf dem Gebiet der Wetterkunde, und doch saßen sie heute samt und sonders in der „Sonne“ zu Kurzenwyl. Gab es doch nicht alle Tage einen so guten Vorwand, um unbeschrauen2 zu einem Schoppen3 zu gelangen, wie an diesem Tag.
Auf 9 Uhr war die Verdinggemeinde angesetzt, und dass es heute etwas lange gehen könnte im Schulhaus drüben, das bewies das dicke Buch des Gemeindeschreibers, in dem ein ganzes Heer von Notarmen verzeichnet stand. Die Gemeinde Kurzenwyl war von jeher nicht reich gewesen, und nun hatten sich auch noch die Folgen der Hungerjahre eingestellt, die nach den Kriegen des großen Napoleon Europa heimsuchten und noch vollends zertraten, was diese Geißel Gottes nicht getroffen hatte. Man zählte zwar jetzt Anfangs der 20er Jahre, aber die Wunden, welche das 17er Hungerjahr geschlagen, waren noch nicht verschmerzt; dazu kam, dass in der armen Gemeinde sieben Jahre hintereinander das Hagelwetter minder oder mehr die Ernte zerstörte. In einer Zeit, wo man in den abgelegenen Schweizertälern noch kein russisches Getreide aß, wie dies heute dank der Eisenbahnen der Fall ist, bedeutete eine solche Vernichtung der Ernte noch einen viel schwereren Schlag, als jetzt.
Kein Wunder, dass heute das Schulhaus der besuchteste Ort in der ganzen Gemeinde war. Die Kurzenwyler hielten zwar sonst nicht viel drauf. Sie fanden es nicht nötig, dass die Jungen mehr wissen sollten als die Alten gelernt. Wenn ihre Kinder Gedrucktes und etwa noch Geschriebenes lesen konnten, war das nicht genug? Sie schickten sie also nicht gar zu fleißig in die Schule; zwei bis drei halbe Tage in der Woche war übergenug. Heute aber, wo es sich nicht ums Lernen, sondern um Armenversorgung handelte, war das Schulhaus viel zu klein. Vielleicht stand die große Armenlast der Gemeinde in einem gewissen Zusammenhang mit der Gleichgültigkeit gegen die Schule? Wir wissen gar wohl, dass die Bildung nicht alle Quellen der Armut verstopft, aber Manches wäre nicht auf die Gemeinde gekommen, wenn es in der Jugend mehr gelernt hätte.
Während die Gemeindsmannen sich in der „Sonne“ drüben stärkten für die bevorstehende schwere Pflicht, sammelten sich die Armen vor dem Schulhause. Sie waren froh, dass der liebe Gott eine Sonne gemacht hat, in der man sich erquicken kann ohne Geld und umsonst.
Dort auf der Bank hinter dem Schulhause hatte sich eine Mutter mit drei Kindern hingesetzt. Das Älteste, ein Mädchen, mochte etwa 11 Jahre alt sein; ihr Jüngstes, ein Knabe, hatte eben das 7. zurückgelegt. Die Kinder hielten die Mutter fest, und die gute Frau trocknete ihre Tränen und rang nach Trost. Sie kam sich vor wie Abraham, als er an jenem Morgen in der Frühe seine Hütte verließ, um seinen geliebten Sohn auf dem Berge Morija zu opfern. War doch auch sie heute Morgen von zu Hause aufgebrochen, um diese ihre drei Kinder auf den Altar zu legen. Nur schien es ihr, ihre Lage sei unendlich trauriger als diejenige Abrahams. Er hatte nur einen Sohn zu opfern, sie aber ihren Jüngsten und noch zwei Töchter dazu. Abraham wusste, wo sein Isaak hinkomme, wenn er ihn geopfert hatte; er gab ihn ja Gott; sie aber wusste nicht, wo ihre Kinder hinkommen konnten, wenn sie heute von der Gemeinde an den Mann versteigert würden, der das geringste Kostgeld verlangte für sie. Da konnten sie ja zu einem wahren Teufel kommen, in eine wahre Laster- oder Zankhölle, jedenfalls kamen sie nicht wie Isaak in den Himmel hinein. Diese Gedanken plagten die betrübte Mutter, und wie ein Schwert ging es ihr durch die Seele, wenn eins ihrer Kinder ums andere sie schluchzend fragte: „Gelt Mutter; Du verlässest uns nicht; gelt, man nimmt uns nicht von Dir weg?“
Ja, die arme Mutter, sie hätte ihre Kinder jetzt nicht verlassen müssen, wäre sie nur im Witwenstand geblieben. Aber sie hatte das Los ihrer Kinder und ihr eigenes zu verbessern gedacht, dadurch dass sie zwei Jahre nach dem Tode ihres Mannes einen Witwer heiratete, der zwar ein Heimet4, aber ein verschuldetes und dazu vier minderjährige Kinder besaß. Als Witwe hatte sie wenigstens nur für drei zu sorgen gehabt, bekam den Bürgernutzen5 in ihrer Heimatgemeinde und war als fleißige Arbeiterin im Stande, Tagelohn zu verdienen da und dort. Ihre Kinder erzog sie ordentlich, und der gute Gott, auf den sie vertraute, sorgte väterlich für sie. Wenn die Kinder um ein Stücklein Brot baten, so hatte sie es ihnen nie abschlagen müssen, und wenn sie sich zusammen an den Tisch setzten, so mussten die Kleinen das Verslein singen:
Er ist’s, der die Witwen