Resli, der Güterbub. Franz Eugen Schlachter
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„Wie du willst“, sagte der Alte. „Mein Haus steht dort oben auf dem Hubel12, es ist nicht weit, aber es geht ein wenig langsam mit mir, ich habe kurzen Atem und die Gliedersucht plagt mich heute, es wird wohl bald ander Wetter geben wollen; der Horner13 wird seine Sache noch wollen verrichten. Zum Laufen bin ich nicht mehr viel wert, darum muss ich so einen Buben haben, der hurtiger14 ist als ich.“
Oben angekommen, ließ der Mann einen guten Kaffee bereiten und stellte Käse und Butter dazu auf. Resli fing es an wohl zu werden hinter dem Tisch, es war seit langer Zeit das erste Mal, dass er genug zu essen bekam. Noch etwas anderes fiel ihm auf; hier wurde gebetet vor und nach dem Essen, der alte Mann entblößte sein schneeweißes Haupt, betete vor dem Essen das Unservater und sprach nach Tisch ein herzliches Dankgebet. Das hatte die Mutter früher auch so gehalten, aber seitdem sie beim Stiefvater wohnten, war das Gebet verstummt.
Nach Tisch nahm der Alte den Jungen mit in den Stall und zeigt ihm seine schöne Kuh. Unterdessen machte sich die Mutter aus dem Staub, und Resli hatte über all dem Neuen, das er sah, die Trennung wirklich bald verschmerzt. Der Alte war so gut gegen ihn, er schenkte ihm ein paar Äpfel und einen schönen neuen Batzen15. Am Abend nahm er ein Buch vom Schrank herunter und stellte mit dem Knaben ein Examen an. Resli konnte schon recht ordentlich lesen und erhielt nun die Aufgabe, die Morgen- und Abendgebete, die in dem Buch standen, auswendig zu lernen. „Du hast bei mir nichts zu tun“, sagte der Alte, „als zu lernen und in die Schule zu gehen, hie und da werde ich dich zwischenhinein da- und dorthin schicken.“
Resli hatte Freude an den Büchern und ging gerne in die Schule. An den langen Winterabenden lernte er die Katechismusfragen, der Pflegevater war ihm dabei behülflich, und bis zum Examen war er im Fragebuch hinten aus.
1 Das „Verdingen“ war eine Sitte im vergangenen Jahrhundert, bei der Kinder, die nicht von der Familie verhalten werden konnten, gegen ein Kostgeld an eine andere Familie weggegeben wurden und dort arbeiten mußten. Die Verdinggemeinde war eine Versammlung, in der die Kinder „versteigert“ wurden.
2 ohne Aufsehen
3 Trinkgefäß, kleiner Umtrunk
4 Heimat, Bauernhof
5 eine juristische Einrichtung, bei der jemand das Nutzungsrecht an einem Stück Land in
seiner Burgergemeinde hatte
6 vernachlässigte
7 Akte, Aktenbündel, Flurliste
8 „Mach dir keine Sorgen, es geht ihnen nicht schlecht bei mir, meine Babette ist nicht die übelste Meisterfrau und wir haben schon zu essen für sie. Es ist nicht, dass wir sie wegen dem Kostgeld nehmen, wir haben viel Arbeit und Kinder zu hüten und könnten solche Mädchen für das brauchen.“
9 arbeiten, werken, schaffen
10 Aufträge
11 aufgepäppelt, herausgefüttert
12 Hügel, kleiner Berg
13 Februar
14 flinker
15 eine Münze (1/10 Franken)
2. Die erste Morgenandacht
Als Resli zum ersten Mal im Hause seines Pflegevaters erwachte, lag auf der Erde ein weißes Leichentuch und die Flocken wirbelten durch die Luft. Der Aetti1 meinte, als man beim Morgenessen saß, es habe nicht umsonst so schuderhaft geluftet in der vergangenen Nacht, als wollte der Luft mit dem Haus ins Tal hinunter, und er habe es ja schon gestern gesagt, es werde bald ändern wollen. Die Gliedersucht sei doch ein guter Wetterprophet und koste noch dazu nicht so viel wie ein Barometer, es sei doch am Ende alles für etwas gut, der liebe Gott habe nichts umsonst gemacht in der Welt, wie es ja auch heiße in der heiligen Schrift, dass denen, die Gott lieben, alles zum Besten dienen müsse.
Mit diesen Worten wischte er den Löffel am Tischtuch ab und steckte ihn neben sich an die Wand, dann nahm er aus der Ecke hinter dem Tisch die alte, mit Blech beschlagene Bibel hervor, die schon sein Großvater hatte einbinden lassen, und fragte Resli, ob er ihm etwa sagen könne, wo der schöne Spruch stehe, den er soeben angeführt. Der Knabe wusste zwar, das der Spruch im Herzen seiner Mutter stand, denn in ihrer Trübsal hatte sie sich mehr als einmal damit getröstet, dass denen, die Gott lieben, alles zum Besten dienen muss; aber dass der Spruch in einem Buche zu finden sei, davon hatte er noch keine Ahnung gehabt. Auch war es ihm wirklich zu verzeihen, wenn er noch nicht so viel Bibelkenntnis besaß, um angeben zu können, ob ein Spruch im ersten Buch Mose oder im Römerbriefe zu finden sei, denn es gibt ja bekanntlich Jünglinge und Männer, die mehr wie drei und fünf Mal älter als der siebenjährige Resli sind, und doch suchen sie den Römerbrief im ersten Buche Mose auf, und wenn sie ihn dort nicht finden, so blättern sie das ganze Gesetz und die Propheten durch in der Hoffnung, es führen endlich alle Wege einmal nach Rom.
Während Resli sich besann, schlug der Pflegevater das achte Kapitel im Römerbriefe auf. Die Bücher der Bibel waren ihm längst keine spanischen Dörfer mehr, und wenn er nur seine Brille nicht verlegt hatte und kein Glas darin fehlte, so fand er sich darin ebenso gut wie in seinem Spycher2 zurecht, wo ja doch auch kein Bauer das Garn mit dem gedörrten Speck verwechseln wird, wenn auch beides an ein und derselben Stange hängt.
Besonders gut war aber der alte Mann im Römerbriefe zu Haus, der für ihn, den schlichten Bauern, ebensowohl wie weiland3 für Doktor Martin Luther, der Wegweiser zu der Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt, geworden war. Der liebe Gott macht nach diesem Briefe zwischen Doktoren und Bauern keinen Unterschied; sie sind allzumal Sünder und werden ohne Verdienst gerecht durch den Glauben an die Erlösung, die durch Christum geschehen ist. Dieses „Trom“4 hatte Reslis Pflegevater erfasst, es war ihm aus dem Herzen gesprochen, wenn der Apostel im fünften Kapitel dieses Briefes bezeugt: „Nun wir denn sind gerecht geworden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christ.“ Heute Morgen schlug er aber nicht das fünfte Kapitel, sondern