Sag niemals, das ist dein letzter Weg. Jetta Schapiro-Rosenzweig
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Wir wohnten zu fünf Personen in einem Zimmer mit zwei Fenstern, die mit Vorhängen verhüllt waren. Zwei eiserne Betten standen darin. Es war ein bisschen wie eine Kaserne, aber für uns war es ein Paradies des Friedens. In der Diele befand sich eine Toilette mit Duschgelegenheit, noch aus der Zeit der Benediktinerschule. Der Winter 1941/42 war sehr kalt, und die Toilette fror häufig zu. Ich hatte das Amt des Installateurs, kochte täglich Wasser auf und goss es in die Toilette, so dass man sie immer benutzen konnte. Überhaupt hatten wir alle unsere Beschäftigungen. Mein Mann und mein Schwager waren mit der Pflege der Bibliothek beschäftigt. Die Bibliothek des Klosters war sehr umfangreich, und viele Bücher waren beschädigt. Diese Arbeit leisteten sie gern, betrachteten sie als Unterhaltung und als Entgelt für den Aufenthalt im Kloster. Meine Schwester beschäftigte sich mit Nähen und flickte die ganze Unterwäsche der Schwestern. Ich strickte sämtliche Jacken und Pullover der Nonnen. Diese Arbeit war angenehm, und wir verbrachten täglich wohl zehn Stunden damit. An den einsamen Abenden saßen wir zusammen und erzählten uns aus unseren Erinnerungen.
Ich erinnere mich, wie mein Mann von der Zeit erzählte, die er allein in dem verlassenen Haus verbracht hatte. Gegen Abend ging er stets zu Frau Kaschiozowa. Sie gab ihm Essen und berichtete, was alles geschehen war. In unserer Zeit in Ponar hatten wir einen Hund gehabt. Beim Verlassen unseres Hauses hatten wir ihn weggegeben. Eines Tages sah mein Mann einen Hund, der ihm jaulend entgegenkam. Es war unser alter Hund. Im Finsteren saßen sie beide zusammen und beide weinten sie. Der Hund ging ihm nach bis zum Haus von Frau Kaschiozowa und wollte nicht von seiner Seite weichen. Die Frau erschrak und sagte, es sei zu gefährlich. Durch den Hund könnte die Gestapo auf seine Spur kommen und auch sie sei dann gefährdet. So musste sie den Hund an einen anderen Ort bringen.
Samek, mein Neffe, lebte in seiner eigenen Welt. Er malte und zeichnete. Die Nonnen waren begeistert, sie verschafften ihm Papier und Farben. Eines der Bilder ist mir in Erinnerung geblieben: es zeigt Jesus nicht als wehmütigen, sondern als zornigen Gott, voller Zorn wegen allem, was auf der Welt geschieht. Die Nonnen hängten dieses Bild im Kloster auf. Es wirkte nicht wie das Werk eines kleinen Jungen, sondern wie das eines fertigen Malers. Die Ruhe im Kloster und die Orgelmusik hatte eine eigenartige Atmosphäre um uns geschaffen, und das kam in seinen Bildern zum Ausdruck. Auch das, was sich draußen, hinter der Kulisse des Klosterfriedens ereignete, hinterließ tiefe Spuren in seinem Herzen.
So lebten wir ein halbes Jahr. Täglich kamen Horror-Nachrichten aus dem Ghetto. Am Jom Kippur ist, wie wir hörten, unsere Mutter und auch die Mutter von Janusch umgekommen. Wir waren ganz verzweifelt, aber wir wagten kein lautes Wort zu sagen.
Eines Tages kam die Oberin Matuschka zu uns und erzählte, dass sie noch vier junge Mädchen aufgenommen habe, die aus dem Ghetto entkommen konnten. Eine davon war Lolka Feldstein, die Tochter eines bekannten Zahnarztes. Die Oberin war sehr ängstlich, sie erzählte, dass die Deutschen neuerdings auch sämtliche Klöster durchsuchten. So kamen wir zu dem Entschluss, uns eine andere Bleibe zu suchen. Jonas und Jascha gingen mit der Oberin, etwas Geeignetes für uns zu finden. Außer den vier erwähnten Nonnen wusste niemand von unserem Verbleib. Was sie alles für uns geleistet haben, können wir nicht genug anerkennen. Sie setzten ihr Leben für uns aufs Spiel und wir konnten ihnen nichts dafür zurückgeben. Die Nahrung war knapp und sie musste für neun Personen reichen. Dreimal am Tag bekamen wir unser Essen, viermal in der Woche sogar mit Fleisch, sonst mit Milch. So waren wir alle satt, wir konnten uns sauber halten, waren warm und geschützt. Auch Aufmerksamkeit und Liebe wurde uns zuteil; jeden Abend kam die Oberin zu uns herein, und wir konnten ihr viel über unser Leben erzählen, von der Zeit vor dem Krieg, unseren Verwandten und allem anderen. An allem war sie sehr interessiert. Außer ihr kam auch manchmal Schwester Lucia. Sie war in ihren mittleren Jahren und sehr schön. Daher fragten wir sie, warum sie ins Kloster gegangen war, und sie erzählte uns, dass dies seit ihrer Kindheit ihr innigster Wunsch gewesen war. Ihre Familie war ganz dagegen und sie musste kämpfen, um ihr Ziel zu erreichen. Ihre ältere Schwester war bereits im Kloster, sie war ihrer Schwester und ihr selbst ein Vorbild. Es war nicht leicht, dieses Ziel zu erreichen, es gehörte eine gewisse Bildung dazu und vor allem eine große Liebe zu Jesus. Drei Jahre musste sie eine strenge Probezeit in einem fremden Kloster durchmachen. Aber sie bestand alle Prüfungen mit Bravour, und der glücklichste Tag in ihrem Leben war der, an dem sie zu ihrer Schwester ins Kloster gehen durfte. Jetzt waren es bereits zehn Jahre, dass sie in diesem Kloster lebte. Wir haben sie bewundert und geliebt, und jeder ihrer Besuche war für uns wie ein Feiertag.
Wir hatten wenig Kontakt nach außen. Außer Wladek sahen wir nur Lolka Feldstein, die jeden Abend zu uns kam. Sie hatte einen Bruder im Ghetto, aber sie durfte es nicht wagen, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Durch sie waren wir von der äußeren Welt nicht ganz abgeschnitten und wussten, was um uns herum passierte. Am wichtigsten war uns natürlich die Lage im Ghetto.
In der Familie war Tante Jannina unser einziger Trost. Durch sie hörten wir alles über meine kleine Tamar, ihre Appetitlosigkeit, ihre Schlagfertigkeit und überhaupt über ihre Entwicklung. Außer für sie sorgte Tante Jannina noch für ein jüdisches Mädchen, dem sie arische Papiere besorgt hatte, und deren Schwester, die in einem Dorf lebte.
Diese beiden Mädchen waren eigentlich unsere Tanten. Das kam so: Unser Opa war sein ganzes Leben lang ein Bauer und führte ein arbeitsreiches, schweres Leben. Als seine Frau starb war er schon 74 Jahre alt. Seinen Weizen ließ er immer im Nachbarort mahlen, der Bauer dort war ein frommer Jude. Dieser hatte eine viel jüngere Frau. So jung und schön sie war, hatte sie doch einen schlechten Ruf und man sagte, ihre Kinder hätten viele Väter. Mein Opa mied sie und spuckte bei ihrem Anblick verächtlich auf den Boden. Als nun aber ihr Mann gestorben und sie eine Witwe war, fing mein Opa an, sie zu besuchen und er brachte Gemüse und Obst von ihr mit. Eines Tages erhielten wir von ihm durch Bauern aus dem Dorf eine Fuhre Kartoffeln für den ganzen Winter, Gemüse und Obst. Durch sie erfuhr mein Vater, dass der Opa in seinem Alter diese Frau geheiratet hatte. Das brachte meinen Vater in Rage und er wollte von Opa gar nichts mehr annehmen. Es stellte sich