Sag niemals, das ist dein letzter Weg. Jetta Schapiro-Rosenzweig
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Sie hatten sogar eine gewissen Ähnlichkeit mit uns. Doch sie standen in der Ecke und waren ziemlich verstört. Meine Schwester Mizia umarmte sie gleich und gab ihnen auch von unseren Spielsachen ab. Sie waren beide sehr schüchtern und sprachen nur untereinander. Vor uns hatten sie Angst und blieben am liebsten in der Küche. Dort unterhielten sie sich mit den Dienstboten. Mutter bestellte für sie Privatlehrer, um sie für die Schule vorzubereiten, aber sie wollten gar nichts lernen, wir fanden sie richtig »vernagelt«. Wir Kinder versuchten ihnen beizubringen, dass sie lernen sollten und wollten mit ihnen diskutieren. Doch es half alles nichts. Mutter gab sie dann zu einer kinderlosen Familie, die sie betreute – gegen Zahlung natürlich. Als sie 12 und 13 Jahre alt waren und immer noch nicht lernen wollten, beschloss meine Mutter, dass sie einen Beruf erlernen sollten. Wir Kinder sahen sie jetzt nur noch gelegentlich am Sonntag und hatten keinen vertraulichen Ton mehr mit ihnen, schließlich waren wir ja auch erwachsener geworden.
Als mein Opa 84 Jahre alt geworden war, erkrankte er – zum ersten Mal in seinem Leben. Der Arzt sagte, das Leben im Dorf sei zu schwer für ihn geworden. Also kam er zu uns. Vater hat ihm verziehen und er blieb bei uns wohnen. Zwischen ihm und dem Personal kam es wegen der jüdischen Speisegesetze öfter zu Unstimmigkeiten. Von meiner Mutter bekam er jede Woche Geld, aber das trug er immer sofort auf die Bank, als Aussteuer für seine Töchter. Sie besuchten ihn regelmäßig an jedem Schabbat3. Da sie ja Tante Janninas Stiefschwestern waren, besorgte diese ihnen arische Papiere. Eine von ihnen beschäftigte sie als Dienstmädchen bei sich, die andere wurde im Dorf auf ihre Kosten untergebracht.
Das Dienstmädchen hieß Helene (Halinka), sie war immer sehr gut zu unserer Tochter in der Zeit, als diese bei Tante Jannina untergebracht war. Sie hat den Krieg überlebt und lebt jetzt in Schaulen und wir sind noch immer mit ihr in brieflicher Verbindung. Die andere Schwester haben wir nach dem Krieg nicht mehr gesehen.
Unser Opa ist mit 90 Jahren gestorben. Bis zu seinem Tod brauchte er keine Brille und hat auch nie einen Stock benutzt. Bis zuletzt hatte er seine eigenen Zähne. Er trug allerdings eine Brille, jedoch ohne Gläser. Wenn man ihn fragte warum, so antwortete er: »Um meine Augen zu schützen.« Wenn die Leute herausbekämen, dass er noch sein gutes Sehvermögen habe, so dachte er, würden sie ihm Böses wünschen und das könnte schlecht für ihn ausgehen. Er vergötterte unsere Mutter und ist mit ihrem Namen auf den Lippen gestorben.
Nun wende ich mich wieder unserem Leben im Kloster zu. Jeden Tag erreichten uns neue schlechte Nachrichten. Es hieß, die Klöster würden durchsucht. Die Bauern wurden daran gehindert, ihre Lebensmittel ins Kloster zu bringen, sie wurden durchsucht und ihre Waren wurden ihnen abgenommen. Trotzdem mussten wir nicht Hunger leiden, denn die Schwestern teilten mit uns jeden Bissen. Schwester Lucia pflegte immer optimistisch zu sagen: »Kinder, nur die Hoffnung nicht verlieren, wir werden Hitler noch überleben!«
Das Versteck im Klosterdach
Jonas und Jascha hatten inzwischen ein Versteck für uns gefunden. Es befand sich unter dem Dach des Klosters. Mit Holzlatten verbauten sie die Dachkante, so dass ein Hohlraum entstand, in dem wir uns wohl verstecken konnten. Tag und Nacht arbeiteten sie daran und trugen auch schon einen Teil unserer Sachen hinauf. Von außen war nichts zu erkennen und vor den inneren Eingang hatten sie ein Fass Wein gestellt, über das man hinwegklettern musste. Der Eingang war eine versteckte Klappe in der Decke, die den Fußboden unseres Verstecks bildete. Von unten konnte man diese Klappe nicht sehen; sie wurde von unten geöffnet und von oben verschlossen. Zwei Wochen haben sie daran gearbeitet. Außer uns und den vier Nonnen wusste niemand davon.
Es war schon Ende März, eine Woche vor dem Passah-Fest3. Plötzlich hörten wir Bomben explodieren – Wilna wurde bombardiert. Größere Putzteile flogen von den Wänden, die Gefahr war groß. Wir durften nicht mit den Nonnen in den Bunker flüchten, damit sie unsere Gegenwart nicht bemerkten. Die Oberin und Schwester Lucia waren noch bei uns. Wir wollten sie überreden, in den Bunker hinabzugehen, aber sie wollten uns nicht verlassen.
»Es ist Gottes Wille«, sagten sie. »Was mit Euch passiert, passiert auch mit uns.« Die Bomben fielen auf die Stadt, und wir hatten das Gefühl, dass unser Ende nahe sei und ganz Wilna in Schutt und Asche läge. Die Fenster splitterten und fielen ein, der Geschirrschrank stürzte um und sein ganzer Inhalt fiel zu Boden und zerschellte. Wir gingen in die Diele, die Oberin sagte: »Betet zum lieben Gott, er wird uns helfen.«
Plötzlich war Stille, die Bombardierung hörte auf. Wir gingen ins Zimmer zurück und vor lauter Müdigkeit schliefen wir sofort ein. Wir wussten nicht, wie lange wir geschlafen hatten, als uns Schwester Benedikta aufrüttelte. Sie zitterte am ganzen Leib. Die Gestapo war ins Kloster eingedrungen und wollte es durchsuchen. Die Oberin verlangte einen Durchsuchungsbefehl zu sehen, um etwas Zeit zu gewinnen. Uns ließ sie sagen, wir sollten Schwester Benedikta folgen. So nahmen wir unser bisschen Hab und Gut und gingen ihr nach. Sie half uns, durch die Klappe zu klettern, Jonas war schon oben. Sie verschloss hinter uns die Öffnung, und wir versuchten uns zu fassen und Haltung zu bewahren. Jascha und Jonas waren stolz auf ihr Werk. Wir versuchten uns einzurichten und hofften, dass die Untersuchung bald beendet sein würde und wir in unser Zimmer zurückkehren könnten. Durch die Dachsparren konnten wir die brennenden Kasernen und die Löscharbeiten sehen. Es war ein Wunder, dass das Kloster nicht getroffen worden war, obwohl wir so nahe lagen.
Es wurde dunkel und wir warteten, ob jemand zu uns kommen würde. Die Durchsuchung konnte doch unmöglich so lange dauern. Was war passiert? Wir versuchten zu schlafen, aber Schrecken und Spannung ließen uns nicht zur Ruhe kommen. Auch am anderen Morgen warteten wir vergeblich, dass jemand zu uns kommen würde. Wir hatten kein Wasser und litten großen Durst. Dadurch, dass wir uns so beeilten, hatten wir nichts zu Trinken mitgenommen.
Es war abgesprochen worden, dass fünfmal Klopfen das Zeichen war, dass alles vorüber sei. Aber kein Zeichen ertönte, und unsere Spannung wurde immer größer. Wir mussten annehmen, dass mit den Schwestern etwas passiert war, und es kam uns zu Bewusstsein, dass wir uns selbst umtun mussten, um aus unserem Versteck herauszukommen. Jascha, die Oberin und die Schwestern hatten vorausgesehen, dass diese Situation eintreten könnte und hatten deshalb eine Säge mit ins Versteck genommen. Mit ihrer Hilfe konnte man eine Öffnung in die Dachwand sägen, auf diese Weise entkommen und über