Der Bierzauberer. Günther Thömmes
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Читать онлайн книгу Der Bierzauberer - Günther Thömmes страница 11
Als Ansgar sich zum ersten Mal beschweren kam, brachte er einen seiner Gehilfen mit. Niklas stellte erfreut fest, dass es der Junge mit den schiefen Zähnen war, den er damals in Hahnfurt getroffen hatte und der ihm, wenn auch nicht bewusst, den Weg nach Urbrach gewiesen hatte. Seine Blässe hatte er immer noch nicht abgelegt, in der dunklen Kutte der Novizen wirkte er wie ein kleines Gespenst.
»Ich bin Niklas, erkennst du mich wieder?«, fragte er verlegen.
Der Junge schüttelte zuerst den Kopf, dann besann er sich und grinste:
»Mein Name ist Bernard. Ich bin der Bäckergehilfe.«
»Und ich der Brauergehilfe«, erwiderte Niklas stolz.
»Hört auf, hier Reden zu schwingen«, fuhr Ansgar dazwischen, »ich habe ein ernstes Wort mit Thomas zu reden.«
Thomas ließ sich jedoch schnell überzeugen, dass die Brote wirklich nicht so gut schmeckten, und versprach Ansgar, in Zukunft gelegentlich einen Bottich nach alter Machart zu brauen.
Für dieses Bier verwendeten sie aber lediglich die bereits ausgelaugten Treber eines normalen Bieres anstatt frisches Getreide. Dadurch wurde das Bier dünn, farblos und labberig.
»Anderswo nennt man dieses Bier Convent, das ist für die Armen und Pilger«, lachte Thomas. »Zum Brotbacken hingegen ist das Zeug daraus genau richtig.«
Niklas hoffte in den kommenden Wochen, Bernard ab und zu einmal zu treffen, jedoch der volle Tagesablauf und die viele Arbeit ließen das nicht zu. Nur beim gemeinsamen Gebet sah man sich gelegentlich.
Das hopfenlose Bier nannten sie Gruit. Diesen Namen hatte Thomas einmal einen reisenden Mönch sagen hören, der zu Besuch im Kloster weilte. Erst später sollte Niklas lernen, dass man unter Gruit in jeder Region etwas anderes verstand. In jeder Region wuchsen andere Kräuter, die sich als Bierwürze eigneten, und so hatte jeder Brauer, wie schon seine Mutter, sein eigenes Gemisch. Eines freilich war allen Gruitbieren gemeinsam: Sie wurden nach alter Machart, ohne Hopfen, hergestellt.
Eines Tages sagte Niklas zu Bruder Thomas:
»Wenn ich einmal größer bin, in ein paar Jahren, dann werde ich diese Hildegard von Bingen besuchen. Sie scheint viel zu wissen, was uns nutzen kann. Ist es weit nach Bingen?«
Thomas fing an zu lachen und erwiderte:
»Es ist nicht nur weit bis nach Bingen, etwa zehn Tagereisen, sondern du kämst auch viel zu spät. Die edle Hildegard ist schon lange tot. Die Menschen verehren sie dennoch fast wie eine Heilige.«
Niklas bat um ein paar Geschichten aus dem Leben von Hildegard. Thomas erzählte, was er wusste. Und das war nicht wenig.
»Wir haben in unserer Bibliothek ein paar Aufzeichnungen und Briefe über sie. Hildegard wurde sehr alt, über 80 Jahre. Sie war Leiterin des Klosters auf dem Rupertsberg bei Bingen und gründete weitere Klöster. Sie schrieb viel, ihre Werke sind sehr bedeutend nicht nur für die Kirche, sondern auch für die Wissenschaft und die Medizin. Sie schrieb neben Gesängen und Visionen auch über die Heilkraft von Pflanzen, Tieren und Steinen. Ihre Bücher ›Physica‹ und ›Causae et Curae‹ sind in jedem Kloster vorhanden. Zum Fasten hatte sie eine gänzlich andere Einstellung als einige unserer Brüder; obwohl sie gelegentlich gerne Bier trank, schätzte sie das Fasten, weil es ›Türen nach innen öffnet‹.
Was für uns Brauer interessant ist, ist die Tatsache, dass sie als eine der Ersten über diese Hopphopflanze geschrieben hat, der sie diesen Namen gegeben hat. Sie starb nach einem großen Leben im Jahre 1179, also vor 82 Jahren. So, das sollte reichen. Mehr weiß ich im Moment nicht. Wenn du mehr wissen willst, schau in unserer Bibliothek nach.«
Niklas nahm sich das fest vor, kam allerdings in den nächsten Wochen nicht mehr dazu. Das Thema Hopfen beschäftigte ihn nicht weiter; der Gebrauch dieser Pflanze wurde zur Selbstverständlichkeit. Dies sollte noch einige Jahre so bleiben, zumindest, solange er in Urbrach war.
4
Die neue Regelmäßigkeit beim Brauen erlaubte es Niklas, weit schneller und weit mehr, als bis dahin für einen Lehrjungen üblich, zu lernen. Die wiederkehrenden Abläufe des Schrotens mit dem Mörser und des Maischens erledigte er bald schon mit einer Routine, die Bruder Thomas staunen ließ.
Und eines Tages nahm er Niklas mit auf den geheimnisvollen Getreideboden.
Dort angekommen, forderte er Niklas auf:
»Beschreibe mir einmal, was du hier siehst!«
Niklas erkannte einen großen Haufen frischer Gerste, daneben einen zweiten mit der etwas anderen, dunkleren Gerste. Außerdem stand auf dem Boden ein großer Waschzuber und in einer anderen Ecke lag eine Fuhre nasser Gerste, deren etwas modriger und erdiger Duft in seine Nase stieg.
Im Nebenraum sah Niklas einen großen Verschlag, der ein wenig wie ein Ofen aussah und auch ein wenig rauchig, brenzlig roch, jedoch größer war. Auf diesem Ofen befand sich eine Art Plattform. All das teilte Niklas seinem Lehrmeister mit und fragte erstaunt:
»Was geht hier vor, Bruder Thomas?«
Dieser zeigte auf die frische Gerste und meinte:
»Ich nehme hier nur vorweg, was du früher mit deiner Mutter beim Brotbacken mit der Gerste getan hast. Ich weiche die Gerste in Wasser ein und lege sie hier auf den Boden, der auch Tenne genannt wird; daraufhin fangen die Körner an zu leben und zu wachsen. Das Korn wird weich, genau wie beim Backen. Man muss die nasse Gerste nur regelmäßig durch und durch wenden, so wie jetzt«, er nahm eine große Schaufel und wendete die Gerste einmal kräftig von unten nach oben, »sonst wird sie schlecht.«
Danach fuhr er fort: »Nach ein paar Tagen wird die nasse, belebte Gerste auf diesem Ofen getrocknet, den wir Darre nennen. Dadurch wird die Gerste wieder haltbar und ist zum Bierbrauen bestens geeignet. Hier, koste mal davon.«
Er reichte seinem Lehrjungen einige Körner und der erkannte sofort, dass sie süßer schmeckten als normale Gerste.
»Die Körner werden beim Backen süßer und dunkler, dem Bier ähnlich. Und das Gleiche passiert hier, wir können jedoch alles Getreide verwenden und müssen nichts erst außen anbrennen lassen, um das Innere zu nutzen. Außerdem werden die Körner erheblich haltbarer. Ich kann sie noch nach Monaten verwenden!«
Niklas erkannte gleich die große Bedeutung dessen, was Thomas ihm hier gezeigt hatte.
Im zweiten Jahr, als Niklas in Urbrach war, beschlossen die Brüder, eine neue Mühle zu bauen. Die alte Mühle war eine Reibmühle mit zwei runden Steinen. Einer der Brüder hatte auf einer Wallfahrt einen neuen Mühlentyp gesehen und sich Notizen darüber gemacht. Nach dieser Vorlage sollte jetzt gebaut werden. Es dauerte einige Wochen, den mächtigen Ständer mit seinen Kreuzstreben und Kreuzschwellen zu errichten. Die großen Windflügel waren danach aber schon von Weitem zu sehen. Nach Abschluss der Bauarbeiten durfte auch Niklas die neue Mühle besichtigen. Thomas führte ihn herum.
»Hier