Der Geheimbund der 45. Bernhard Wucherer

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der Geheimbund der 45 - Bernhard Wucherer страница 3

Der Geheimbund der 45 - Bernhard Wucherer

Скачать книгу

die im Münster entzündet wurden, waren für einfache Menschen kaum bezahlbar. Aber in dieser Nacht hatten sich keine Männer des gemeinen Volkes zusammengefunden, die weder lesen und schreiben noch rechnen konnten. Vielmehr waren dies durchwegs Privilegierte, die sich das wohlriechende Bienenwachs leisten konnten und nicht den rußigen Gestank von Talgkerzen einatmen mussten. Adelige, Gelehrte, Kaufleute und Mediziner aus allen Landen rund um den See, aus Westschwaben und sogar aus dem oberen Allgäu waren herunter nach Konstanz gekommen, um sich zu verschwören. Zwei Jahre hatte es gedauert, bis sich fünfundvierzig gleichgesinnte Männer zusammengefunden und alles so organisiert hatten, dass sie ihren geheimen Zirkel gründen konnten. Zwei Jahre, in denen der Großmeister, den sie damals im Kanonissenstift in Lindau gewählt hatten, ganze Arbeit geleistet hatte. Damals waren sie nur fünfzehn Männer gewesen.

      Beim Betreten des Sakralraumes, noch vor der gegenseitigen zeremoniellen Begrüßung, zeigte jeder von ihnen den anderen mit hocherhobenen Händen die Zahl, die auch in blutroter Farbe auf seinem weißen Kapuzenumhang zu sehen war. Dieser rituelle Zugehörigkeitsbeleg wurde stumm mit einem allseitigen Kopfnicken quittiert. Und gemäß der Zahl, die ein jeder zeigte, fanden sie sich zusammen und teilten sich in neun unterschiedlich große Gruppen auf, die in einem von neun mit Kreide auf den Boden gemalten Quadraten zusammenstanden. Alles zusammen ergab ein großes Quadrat, das außen herum durch genau einhundertfünfzig Kerzen gekennzeichnet war.

      Der größte Haufen zählte neun Männer, in der Mehrzahl Kaufleute, deren größte Liebe dem Geld galt, weswegen sie sich der Arithmetik und der gesamten Mathematik verschrieben hatten. Acht Gelehrte befassten sich beruflich mit der Grammatik und anderen Wissenschaften, während die Leidenschaft weiterer sieben Männer vordergründig der Geometrie galt. Sechs Scholaren und Studiosen lagen ganz besonders die Rhetorik und die Schrift am Herzen, was sie mit fünf Klerikern teilten. Vier der allesamt in weißen Kutten steckenden und mit spitzen Hauben vermummten Männern war von den »sieben freien Künsten« die Dialektik am wichtigsten, während drei Mediziner verbotene Leichenöffnungen durchführten und sich nebenbei leidenschaftlich als Astronomen betätigten. Nur zwei Verschwörer befassten sich intensiv mit der Musik. Die Verschwörer waren Teil der geistigen und monetären Elite der Gegenden, aus denen sie stammten. Den fünfundvierzig Männern war gemein, dass ihnen die Vergänglichkeit des Menschen bewusst war und sie Krankheiten und Tod abwehren wollten. Auch wenn sie dies mit Hilfe der Wissenschaft oder für die Wissenschaft zu tun gedachten, waren ihnen doch alle Mittel recht.

      Was die fünfundvierzig klugen Köpfe dieser neun Gruppen zudem einte, war die Leidenschaft zur Arithmetik, einem Teilgebiet der Mathematik, das sich mit bestimmten und allgemeinen Zahlen, der Reihentheorie, der Kombinatorik und der Wahrscheinlichkeitsberechnung befasste.

      Ebenso hatte es ihnen die Erforschung der Anatomie des menschlichen Körpers angetan. Deswegen unterstützten und förderten sie trotz der drohenden Todesstrafe das Öffnen von Leichen zum Zwecke der Wissenschaft. Um ihr erlangtes Wissen über Jahrhunderte hinweg in die Welt hinaustragen zu können, bedurfte es auch künftig vieler weiterer kluger Köpfe, die dafür sorgten, dass nichts davon verloren ging und sich das einmal erworbene Wissen über Generationen hinweg halten konnte. Es war die Aufgabe des jeweiligen »Großmeisters«, alle Erkenntnisse, die sie beim Öffnen von Leichen erlangen würden, akribisch niederzuschreiben und Zeichnungen anzufertigen oder anfertigen zu lassen. Ihr Ziel war es, eines Tages Bücher daraus zu machen, die nicht nur für Mediziner, sondern auch für Laien hilfreiche Grundlagen zur Erkennung, Behandlung und Heilung von Krankheiten sein würden.

      Die Atmosphäre wirkte beängstigend. Die vermummten Gestalten, das gedämpft flackernde Licht der Kerzen, die das äußere Quadrat markierten, und das leise, monotone, wortlose Gemurmel der vierundvierzig Männer, die unruhig auf ihren Großmeister warteten, verstärkte die Wahrnehmung eines jeden Einzelnen von ihnen. Sie alle waren zum Zerreißen angespannt und mochten endlich wissen, was es war, das sich unter dem Tuch abzeichnete, das vor ihnen auf dem Altar lag. Mit Kerzen und einem Kreuz war er so drapiert worden, dass es den Anschein hatte, als wenn jeden Moment eine heilige Messe beginnen würde, was an Blasphemie nicht zu überbieten wäre.

      Erst als Schritte durch das Gotteshaus hallten und sich eine weißgewandete Gestalt aus dem Dunkel eines kleinen Raumes schälte, um sich langsam auf das große Quadrat zuzubewegen, verstummte die Menge, während die innere Spannung der Gestalten anstieg.

      Zum Zeichen ihrer Legitimation streckten wieder alle die Hände nach oben, um mit den Fingern »ihre« Zahl zu zeigen. Dieses Ritual hatte sich der erste Großmeister dieses geheimen Zirkels ausgedacht, um zu vermeiden, dass sich ein Unwissender in ihre Gemeinschaft einschleichen konnte. Wenn auch niemand etwas von ihrem Geheimbund und ihrem gesetzeswidrigen Treffen wissen konnte, war doch äußerste Vorsicht geboten. Durch diese Geste konnten sie sich gegenseitig kontrollieren, obwohl keiner je in das Gesicht des anderen gesehen, ja nicht einmal dessen Stimme richtig gehört hatte. Sie alle kannten nur die raue Stimme ihres Großmeisters, in dessen Gesicht aber niemand von ihnen je geschaut hatte und von dessen Namen ebenfalls niemand etwas wusste. Er allein war es, der die Herkunft, die Namen, das Alter, die Berufe, die Lebensumstände und die Charaktere all seiner vierundvierzig Mitglieder kannte.

      Die Art und Weise, sich gegenseitig die Zugehörigkeit zu diesem namenlosen Zirkel ohne Worte zu zeigen, sollte sich in den folgenden Augenblicken ändern. Denn ohne etwas zu sagen, baute sich der Großmeister auf, nahm seine verschränkten Arme aus den breiten Ärmeln und reckte eine Hand mit gestrecktem Daumen nach oben. Obwohl eine blutrote Eins auf seinem weißen Umhang zu sehen war, konnten die anderen erst jetzt sicher sein, wer vor ihnen stand. Ein allseitiges stummes Kopfnicken, das von einem zufriedenen Grummeln begleitet wurde, bestätigte ihm, dass ihn die vierundvierzig Männer als ihren Großmeister erkannt und akzeptiert hatten.

      Er nahm das um seinen Hals hängende Amulett ab und gab es einem Verschwörer mit einer Zwei auf seiner Kutte zur Begutachtung, dieser reichte es anschließend weiter. Einer nach dem anderen nickte und alle warteten auf die Worte ihres Großmeisters.

      Der Großmeister setzte an: »Meine Brüder! Die Motive auf diesem Amulett werden uns in unserem Tun leiten! Es handelt sich um ein ›Lo Shu‹, das in einem fernen Land namens China schon seit über drei Jahrtausenden bekannt ist!«

      Bevor er zur Erklärung der Motive kam, hielt er für einen bedeutungsvollen Moment inne. Dies sollte die Wichtigkeit dessen unterstreichen, was er nun zu sagen hatte: »Die Vorderseite zeigt neben Schriftzeichen und anderen Darstellungen einen toten Menschen mit einer Krone auf dem knochigen Schädel sowie die wichtigsten inneren Organe des menschlichen Körpers. Sie zeigt den toten Körper eines Königs oder Kaisers aus diesem fernen Land, dem nach dessen Tod die inneren Organe entnommen wurden, um ihn durch Balsamierung für alle Zeiten erhalten zu können. Damit weist sie auf die vanitas, die Vergänglichkeit des Lebens, hin, der wir mit all unserer Kraft, mit unserem Willen und Wissen … und mit unserem Vermögen entgegentreten müssen!«

      Von einem zustimmenden Murmeln begleitet, sprach er weiter: »Unsere Bruderschaft hat sich zusammengefunden, um der Wissenschaft zu dienen, indem wir den Kanon der ›artes liberales‹ singen …« Ohne den begonnenen Satz zu unterbrechen, legte er mehr Kraft in seine ohnehin schon feste Stimme: »… und die Erforschung des menschlichen Körpers unterstützen! Wir werden all jenen mit größter Härte und mit dem Schwert Gottes begegnen, die uns daran hindern wollen!«

      Weil keiner der vierundvierzig Geheimbündler verstanden hatte, was er mit dem »Schwert Gottes« gemeint haben könnte, brandete nur ein Raunen auf.

      Der Großmeister gebot dem – allein schon aus Sicherheitsgründen – sofort Einhalt, indem er die zu allem entschlossenen Männer in strengem Ton daran erinnerte, dass ihre Gemeinschaft von einem gegenseitigen Schweigegelübde begleitet wurde, damit keiner den anderen erkennen und ihm somit schaden konnte.

      Bevor das Geflüster lauter wurde, fuhr er fort: »Nun; wie sich die ersten fünfzehn von uns bei der ersten geheimen Zusammenkunft vor zwei Jahren

Скачать книгу