Der Geheimbund der 45. Bernhard Wucherer
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Читать онлайн книгу Der Geheimbund der 45 - Bernhard Wucherer страница 7
Als sie eine gewisse Höhe erreicht hatten, trat Eberz mit seinem Sohn Michael und einem anderen seiner Arbeiter in die Raummitte, streckte beide Arme von sich und sagte: »An diese Stellen hier kommt je ein Fenster, zwei Ellen im Quadrat groß. Dann trat er in den Altarraum vor, den er wie die Apsis einer »richtigen« Kirche etwas schmäler gehalten hatte als den Kirchenraum, der immerhin dreißig Fuß in der Breite maß, während die Länge des Hauptraumes stolze fünfzig Fuß betrug. Das hieß, dass sich zu beiden Seiten eines Mittelgangs jeweils sieben Sitzreihen mit je sieben Plätzen würden einbauen lassen. Dass es genau sieben sein mussten, hatte sich Hermannus Contractus gewünscht, weil dies die heilige Zahl schlechthin war.
»Diesen Teil hier …«, Eberz zeigte auf den festgestampften Lehmboden des Chorraumes, »… erhöhen wir um zwei Treppenstufen! Dann schaut das Ganze imposanter aus und der Pfaffe, der hoffentlich bald kommen wird, kann sich über uns erheben.« Spott schwang in seiner Stimme mit, obwohl er es mit seiner Arbeit im Dienste des Herrn sehr ernst und genau nahm.
Dafür, dass sie das ganze Frühjahr und über den Sommer hinweg bis in den Herbst hinein an der Kirche gefront hatten, waren sie von ihrem Grundherrn außerordentlich gut mit Lebensmitteln für sich selbst und für ihre Familien versorgt worden. Ansonsten hatte der Graf lediglich das Holz für den Kirchenbau gestiftet und sich zwischendurch persönlich nach dem Fortgang der Arbeiten erkundigt. Alles andere war in den Händen von Gerold Eberz und seinen Männern gelegen. Weil sie wussten, dass am Schluss allein der »wohledle« Spender, der Mair und der neue Pfarrer gut dastehen, sie selbst aber keines Lobes gewürdigt würden, gab es immer wieder Situationen, in denen der eine oder andere die Arbeit niederlegen wollte. Aber dem von allen respektierten Vorarbeiter war es immer wieder gelungen, seine maulenden Arbeiter zur Vernunft zu bringen. »Ihr und eure Familien habt doch noch nie so viel zu fressen bekommen wie jetzt, oder?«, hatte er dabei nicht nur einmal als Argument ins Feld geführt und die Männer damit zu Höchstleistungen angetrieben. Geholfen hatte ihm dabei, dass er die Familienväter unter ihnen heimlich auch Holz für ihre eigenen Behausungen hatte schlagen lassen, während er selbst mit dem Abfallholz zufrieden gewesen war. Dabei hatten alle gewusst, dass Eberz damit sein eigenes Todesurteil unterschreiben würde, falls sie denunziert oder beim Holzdiebstahl erwischt würden. Und dies rechneten sie ihrem allseits beliebten Vorarbeiter so hoch an, dass sie ihn auch über den Kirchenbau hinaus niemals im Stich lassen würden.
So war der Rohbau schon bald soweit fertig, dass sie das Dach decken und den Glockenturm errichten konnten.
»Kruzifix! Wo bleibt diese verdammte Glocke, die uns der Graf versprochen hat?«, schimpfte Eberz und handelte sich dadurch eine Rüge des neuen Pfarrers ein, der vor ein paar Tagen wie aus dem Nichts in der Abenddämmerung in villa Ysinensi aufgetaucht war und sich einmal mehr hinter ihn geschlichen hatte, um zu lauschen.
Der Geistliche hatte die gotteslästernde Flucherei mitgehört. »Fünfzehn Vaterunser!«, trug er dem Sargtischler als Sühne auf.
Anstatt darauf einzugehen, blaffte der längst selbstbewusst gewordene Vorarbeiter den Priester in der einfachen Sprache des Volkes an: »Was willst du hier, Pfaffe? Schleich dich und lass uns unsere Arbeit machen!«
»Wahrscheinlich möchte er einen von uns bei der Obrigkeit hinhängen!«, bekam Eberz Schützenhilfe von einem seiner Männer, die allesamt zu lachen begannen.
Der Priester konterte, dass es ihn freuen würde, Eberz und seine Leute bei solch guter Laune vorgefunden zu haben. »Zu eurer und zur Freude Gottes darf ich euch im Auftrag unseres Grundherrn etwas mitteilen!«
Nun war es still und auch die Letzten legten ihre Arbeitsgeräte ab, um nähertreten zu können. Schließlich mochten alle mitbekommen, was ihr noch nicht offiziell eingeführter Pfarrherr zu sagen hatte.
Weil der Pfaffe die Situation und seine vermeintliche Überlegenheit genoss, fuhr er nicht gleich fort.
Gerold Eberz nahm sich wieder das Wort: »Nun sag schon, was gibt es für Neuigkeiten?«
»Du betest deine Vaterunser?« Während er auf Eberz’ Antwort wartete, blitzten die Augen des Pfarrers gefährlich auf. Dann spuckte er eine unverhohlene Drohung aus: »Du weißt, was auf Gotteslästerung steht!«
»Schon gut, nach Feierabend werde ich Zwiesprache mit unserem Herrn halten und das Dreifache der von dir geforderten Gebete sprechen!«, wehrte Eberz mit erhobenen Händen ab. »Aber nun sag schon, was …«
Um coram publico zu demonstrieren, dass sich der studierte Pfarrherr das Wort nicht von einem unbelesenen Sargtischler erteilen lassen musste, unterbrach er dessen Frage und kam endlich zur Sache: »Euer Herr lässt ausrichten, dass … die Glocke noch vor St. Martini hier sein wird!«
Weil er diese frohe Botschaft verkündet hatte, war die kleine Stichelei schlagartig vergessen und es brandete ein solcher Jubel auf, wie es ihn zum letzten Mal in villa Ysinensi gegeben hatte, als die Bevölkerung erfahren hatte, dass ihnen der Graf ein Gotteshaus spendieren würde. Damals hatten die Fronarbeiter ja noch nicht gewusst, dass sie ihre Kirche selbst errichten mussten. Aber das war in diesem Moment des Glücks egal, sie freuten sich derart auf die Glocke, dass es ihnen Antrieb gab, das Gebäude rechtzeitig bis St. Nikolaus fertigzustellen.
Die Zeit drängte, denn über den Kirchenbau hinaus hatte der Graf in Auftrag geben lassen, so viele grob gearbeitete Bänke und Tische herzustellen, dass insgesamt etwa einhundertfünfzig Gäste Platz auf dem Gelände finden konnten, auf dem die Kirchweihe auch weltlich gefeiert werden sollte. »Die könnt ihr dann behalten und von mir aus verfeuern!«, hatte er gleichsam gönnerhaft wie spaßhalber zu Eberz gesagt.
Dabei hatte der Graf offensichtlich gewusst, dass der umsichtig denkende Eberz dafür sorgen würde, die bis dahin bearbeiteten Holzbretter niemals dem Feuer zu übergeben, sondern zum Bau der längst überfälligen Kornscheuer zu verwenden. Schon seit geraumer Zeit besprach der Graf solche Dinge mehr und mehr direkt mit dem Sargtischler, anstatt mit dem Mair, der eigentlich dafür zuständig gewesen wäre. Der Grund mochte wohl darin zu suchen sein, dass Eberz ein ernsthaftes Interesse am Vorwärtskommen seines Dorfes zeigte und die Dinge anpackte, während der Mair bei den meisten anfallenden Arbeiten durch Abwesenheit glänzte und sich mehr für Alkohol als für die Allgemeinheit zu interessieren schien.
Kapitel 2
Es war ein extrem frostiger und deswegen auch ungemütlicher Dezembertag des Jahres 1042. Aber dies hatte den Konstanzer Bischof Eberhard I. nicht davon abgehalten, die schwere Mühsal trotz des schlechten Wetters auf sich zu nehmen, mit großem Gefolge ins noch kältere Allgäu zu reisen, um dort eine wichtige Mission zu erfüllen. Aber kaum in villa Ysinensi angekommen, sollte sein Vorhaben so holprig beginnen, dass er dies sogar als unheilbringendes Omen betrachtete. Denn schon am oberen Tor, durch das er ins Dorf gelangen wollte, musste er aus seiner Kutsche heraus auf ein Pferd steigen – der hölzerne Durchlass war für das breite Gefährt zu schmal gewesen. Wegen seiner durch den Matsch nass gewordenen Beinlinge fluchte der hochrangige Mann Gottes still vor sich hin, anstatt den herzlichen Empfang der hiesigen Bevölkerung zu genießen und ihr würdig zuzuwinken.
»Gott, was sind das nur für einfache Bauern«, grummelte er seinem klugen Adlatus in despektierlichem Tonfall zu.
Der Konstanzer Diakon, der bei Reisen immer an der Seite des Bischofs war, nutzte die Gelegenheit, um seinen Herrn dahingehend aufzuklären, dass er den hiesigen Menschenschlag nicht unterschätzen dürfe.