Der Geheimbund der 45. Bernhard Wucherer

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der Geheimbund der 45 - Bernhard Wucherer страница 5

Der Geheimbund der 45 - Bernhard Wucherer

Скачать книгу

dass es aussah, als wären die Bäume vom letzten Sturm umgerissen worden. Danach etwas Walderde darübergestrichen und mit Glück ein bisschen Zeit bis zum nächsten Inspektionsrundgang des Forstverwalters gewonnen, so war der Waldfrevel bisher kaum einmal offenkundig geworden. Damit keiner den anderen beim Grafen anzeigen konnte, mussten sich sämtliche Männer der Siedlung daran beteiligen.

      »Irgendwann kriegen sie uns!«, hatte Gerold Eberz mehr als einmal gewarnt. Der trotz seines niederen Standes kluge Urenkel eines Ackerbauern, Enkel eines Ackerbauern und Sohn eines Ackerbauern hatte sich in Ravensburg zum Sargtischler ausbilden lassen, weswegen er sich zwar den Ärger seiner Eltern, aber auch den Respekt seiner Mitmenschen und sogar den der Obrigkeit verdient hatte. Denn außer ihm war noch keiner von ihnen aus villa Ysinensi hinausgekommen. Er war von allen Männern der Siedlung derjenige, der am meisten von Holz und dessen Verarbeitung verstand. Deswegen lag es auch Jahr für Jahr an ihm, die Baumstümpfe so zu präparieren, dass sie glaubwürdig danach aussahen, als hätte sie ein Sturm umgerissen und dementsprechend zersplittert. Der gräfliche Forstverwalter war allerdings nicht dumm, weswegen ständig die Gefahr drohte, ihm auf den Leim zu gehen. Dennoch war in all den Jahren fast nichts schiefgelaufen. Nur wenige der Männer waren von den Schergen des Grundbesitzers so hart bestraft worden, dass sie nicht hatten weiterarbeiten können.

      Aber Gerold Eberz war wohl bewusst, dass er und sein Sohn an diesem Wintermorgen etwas streng Verbotenes taten, das ihrer beider Leben kosten konnte. Deswegen war der äußerst wachsame Familienvater unruhig geworden. Ohne zu atmen, lauschte er ins morgendliche Halbdunkel hinein. Er konnte sich anstrengen, wie er mochte; das, was er zu hören glaubte, war nicht zu sehen. Und dies beunruhigte den abergläubischen Mann, der zusammen mit seinem Sohn mutig damit beschäftigt war, gleich zweifach gegen das vom Grundherrn herausgegebene »Jagdt- und Fischereyrechtt« zu verstoßen. Darauf stand offiziell die Todesstrafe und weil sich die gesamte Gegend im Besitz des Grafen von Altshausen befand, war dieses elende Gesetz lebensbedrohend – weniger wegen der drohenden Strafe bei Zuwiderhandlung, vielmehr wegen der Hungersnot bei Nichtzuwiderhandlung. Eine Todesstrafe drohte in Wirklichkeit vermutlich nicht, dafür waren die steuerzahlenden Arbeitskräfte zu wertvoll. Aber welchen Grundherrn scherten schon die Vermutungen seiner Untertanen?

      Weil Eberz zehn Mäuler zu stopfen hatte, mussten die beiden weitermachen, ohne sich von irgendwelchen Gesetzen beirren zu lassen. Der alte Mann zog unverdrossen weiter an seiner Angelschnur, während sein Sohn ein Kaninchen entdeckte, das seinen Köder gerochen haben musste.

      Im vergangenen Jahr war villa Ysinensi noch eine gänzlich schutzlos offene Siedlung gewesen. Seit die Siedler aber unter der fachkundigen Ägide von Gerold Eberz einen einfach geflochtenen Speltenzaun aus Weidenruten und geviertelten Holzstangen errichtet hatten, fühlten sie sich sicherer. Wenn diese primitive Ortsumschließung auch Lücken zwischen den Holzpflöcken aufwies, bot sie doch einen gewissen Schutz vor Wölfen und anderen Wildtieren. Das Wichtigste dabei war aber, dass es allein dieser Zaun vermochte, aus den vierundzwanzig Behausungen der ehemaligen Haufendorfsiedlung ein richtiges kleines Dorf zu machen, in dem zum gegenseitigen Schutz der Zusammenhalt noch mehr heraufbeschworen werden konnte als zuvor. Die ersten Hütten waren auf einer kleinen Erhebung um den Fronhof des Grafen herum errichtet worden, damit die hier lebenden Menschen bei Notwendigkeit auch den Schutz ihres Grundherrn in Anspruch nehmen konnten, aber auch, um ihm jederzeit schnell zur Verfügung zu stehen, falls er sich in villa Ysinensi aufhalten sollte … was allerdings in der Vergangenheit höchstens zweimal im Jahr vorgekommen war. Da hatte sich sein Abgabeneintreiber schon öfter blicken lassen.

      Während Michael unbeirrt vom Baum herunter auf die Kaninchenfalle spähte, horchte sein Vater wieder konzentriert ins Nichts des aufziehenden Morgens. »Rabenvögel«, murmelte er seine Wahrnehmung leise in sich hinein. Nach genauerem Hinhören konnte er abschätzen, dass es mindestens ein Dutzend, wenn nicht gar drei Handvoll dieser Unglücksvögel waren, die sich inzwischen auf den umliegenden Bäumen niedergelassen hatten.

      »Dreizehn!«, entfuhr es ihm bei diesem Gedanken so laut, dass die Schar erschrocken aufstob und laut krächzend davonflog. »Das ›Dutzend des Teufels‹ hat uns gesehen! Das ist kein gutes Zeichen! Lass uns abbrechen, Michael!«, rief er seinem Sohn zu, während er auch schon seine Angelschnur aus dem Wasser zog und hastig auf einen kurzen Stock rollte. Georg wusste aus trauriger Erfahrung, dass eine solche Menge dieser Vögel drohendes Ungemach ankündigen konnte.

      Im Moment allerdings schienen sie zumindest Michael kein Pech gebracht zu haben; denn das Kaninchen war tatsächlich in seine Falle getappt. Trotzdem war der junge Eberz verärgert. »Ist dir klar, Vater, dass das Karnickel abgehauen wäre, wenn es deinen Ausschrei auch nur einen Moment vorher gehört hätte?« Während der im Grunde genommen überglückliche Knabe leise weiterschimpfte, kletterte er behände vom Baum, um nachzusehen, ob er einen Rammler gefangen hatte. »Scheiße, schon wieder eine Häsin!«, fluchte er. »Dann kommst du eben doch in Mutters Kochtopf!«

      »Du wirst schon noch ein passendes Karnickel fangen, um mit deiner Zucht beginnen zu können. Deine ›Wuschel‹ muss sich in Gottes Namen noch ein wenig gedulden, um für Nachwuchs zu sorgen. Hauptsache, wir haben etwas zu essen! Ich gratuliere dir, mein Sohn! Ich bin stolz auf dich!«

      Auf dem Nachhauseweg lag immer noch ein undurchdringliches Grau über ihnen, das sich bis über die Siedlung am Fuße des Schwarzen Grates zog, in der die beiden mit dem Rest ihrer Familie ein gottgefälliges Leben führten – sah man von dem täglichen Mundraub einmal ab. Michael schien hochzufrieden zu sein, doch fröstelte es seinen Vater. Er hatte das Gefühl, als wenn sich die Natur mit den unheilbringenden Vögeln verbündet hätte und ankündigen wollte, welch unbeschreibliches Elend auf die Bewohner von villa Ysinensi jetzt und in den bevorstehenden Jahrhunderten zukommen würde. Dass sich Gerold Eberz’ Vorahnung schon bald erfüllen würde, konnte er allerdings ebenso wenig wissen, wie er nicht im Entferntesten erahnen konnte, dass das kommende und über ganze fünf Jahrhunderte anhaltende Unheil von einem gut gemeinten Gastgeschenk ausgehen würde.

      *

      Zur selben Zeit hatte sich die gräfliche Familie in ihrer Residenz im knapp sechzig Meilen entfernten Altshausen mit dem dortigen Pfarrer, dem Beichtvater und Vertrauten der Grafenfamilie, zur ersten Mahlzeit des Tages zusammengefunden. Es war ein ganz besonderer Tag, denn mit am Tisch saß nicht nur Manegold, der leibliche Bruder des Herrn dieser fruchtbaren Gegend, sondern auch sein siebenundzwanzigjähriger Sohn Hermann, den man »den Lahmen« nannte. Wegen einer körperlichen Behinderung und eines Sprachfehlers hatte ihn der Vater bereits mit sieben Jahren dem Kloster Reichenau übergeben. Normalerweise hätte Hermann in diesem zarten Alter damit beginnen müssen, die hohe Schule zum Ritter zu durchlaufen. Hätte der an Muskelschwund erkrankte Knabe dies tun können, wäre er schon vor sechs Jahren in den Ritterstand erhoben worden. Der Vater hatte sich aber frühzeitig eingestehen müssen, dass er aus seinem Sohn keinen streitbaren Recken und schon gar keinen weltlichen Herrscher würde machen können. Stattdessen hatte Abt Berno von Reichenau erkannt, dass der Junge mehr mit geistigen Talenten gesegnet war, die es zu fördern galt. Deswegen hatte der Graf sich schweren Herzens dazu entschlossen, nach seinem viel zu früh verstorbenen zweiten Sohn Luitpold an dessen Stelle seinen leiblichen Bruder Manegold zum Nachfolger zu bestimmen.

      Gräfin Hiltrud hatte wie gewohnt auftafeln lassen, was Küche und Keller hergegeben hatten. Während das Volk darben musste, standen schon in aller Herrgottsfrüh auf dem reich gedeckten Tisch ein kunstvoll getöpferter Bartmannskrug mit unverdünntem Bier und eine Glaskaraffe, die aus dem fernen Murano stammte und die dank der guten Handelsbeziehungen Westschwabens aus den italienischen Landen den Weg nach Altshausen gefunden hatte. Das von Meisterhand geschliffene Glas funkelte im Schein der vielen flackernden Holzspäne an den Wänden und der Kerzen auf dem Tisch, der blutrote Wein schimmerte darin und verführte trotz der frühmorgendlichen Stunde zum Trinken.

      Zu essen gab es Haferschleim mit Honig vom Mare Brigantium, frisch gebackenes Brot und Gänseschmalz in kleinen Töpfchen, Käse, gebratene Eier, Schweinespeck und einiges mehr.

      »Nun

Скачать книгу