Stahnke und der Spökenkieker. Peter Gerdes

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Stahnke und der Spökenkieker - Peter Gerdes

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und schob sich an seinem Assistenten vorbei, ohne die Hände aus den Manteltaschen zu nehmen.

      Karfreitag. Doch, da könnte etwas dran sein, überlegte Stahnke, während er Wohlmanns Leiche ein weiteres Mal betrachtete. Der leblose Körper des Kinderarztes saß auf dem grünen Linoleum, das verzerrte Gesicht eingesunken, der Leib aufgedunsen, mit dem Rücken an einen breiten Heizkörper gelehnt, die weit ausgebreiteten Arme mit Handschellen an die Heizungsrohre gefesselt. Tatsächlich gemahnte das Bild an eine Kreuzigung. Das Heizungsventil war bis zum Anschlag aufgedreht gewesen, und da es über die Osterfeiertage noch einmal recht kühl geworden war, hatte der Gasbrenner ganz hübsch gepowert. Den Kollegen von der Funkstreife, die als Erste alarmiert worden waren, war eine fürchterliche Hitze entgegengeschlagen. Und ein entsetzlicher Gestank.

      Wohlmann war misshandelt worden, ob vor oder nach seiner Kreuzigung, musste noch ermittelt werden. Vermutlich war beides der Fall. Der oder die Täter hatten den Arzt geschlagen und getreten, hatten ihm mehrere Rippen gebrochen, Blutergüsse zugefügt und innere Organe verletzt. Dann hatten sie ihn seinem Schicksal überlassen, angekettet und mit fest verklebtem Mund.

      Einige Zeit hatte er sicherlich noch gelebt, rasend vor Schmerzen, Angst und Durst. Seine Handgelenke waren blutig gescheuert, seine Kleidung von Kot und Urin verschmutzt. Wie lange mochte es gedauert haben, bis der Tod ihn erlöste? Karfreitag, Samstag, Ostersonntag, Ostermontag – die Praxis war über die Feiertage natürlich geschlossen, ebenso wie alle anderen im Haus, keiner der Kollegen hatte Notdienst gehabt. Das große Gebäude war praktisch menschenleer gewesen. Keine Chance auf Rettung, keine Hoffnung, nur brennende Hitze und Qualen bis zum Schluss.

      »Ist gut«, sagte Stahnke. »Sie können ihn losmachen.« Die Kollegen machten sich ans Werk, die Bestatter öffneten den Leichenkoffer.

      Kramer saß im Wartezimmer und blätterte in einer Zeitschrift mit braunem Pappeinband. Lesezirkel, alter Kram, wie in den meisten Praxen. Stahnke setzte sich neben seinen Kollegen. Eine Tageszeitung vom vergangenen Donnerstag lag aufgefächert auf dem niedrigen Tisch, Sportteil obenauf.

      »Haben Sie die mitgebracht?«, fragte Stahnke.

      Kramer schüttelte den Kopf: »Lag schon hier, als ich kam. Wieso? Soll ich sie ins Labor geben?«

      Stahnke antwortete nicht. Vorsichtig blätterte er um, jede Seite nur mit den Fingerspitzen berührend. Regionalsport, Bundesliga, Lokalsport, darunter ein Block mit Bumsanzeigen. Es folgten zwei weitere Seiten mit Inseraten und ganz hinten die Familienanzeigen. Geboren, geheiratet, gestorben. Tja. Eigentlich konnte man Lebensläufe recht knapp zusammenfassen.

      »Was waren das eigentlich für Handschellen?«, fragte er.

      »Ziemlich professionelle Dinger«, sagte Kramer. »Kein Kinderspielzeug mit Sicherheitsknöpfchen. Leider. Diese haben Polizei-Qualität. Es sind aber ziemlich viele von den Dingern in Umlauf.«

      »Ach. Und wo wird so was verkauft?«

      Ein feines Grinsen spielte um Kramers schmale Lippen: »In Sexshops natürlich.«

      »Natürlich«, bestätigte Stahnke eilig. »Na, dann wollen wir die mal überprüfen.«

      »Schon veranlasst«, sagte Kramer.

      Hin und wieder könnte ich ihn eigentlich loben, dachte Stahnke. Stattdessen aber fragte er: »Deutet denn irgendetwas auf Sexspielchen hin? Ich meine, es sollen sich ja schon Leute selbst erdrosselt haben beim Versuch, sich den Extra-Kick zu geben.«

      Kramer brachte es fertig, gleichzeitig zu nicken und den Kopf zu schütteln, ohne dabei debil auszusehen. »Schon, aber das können wir ausschließen. Das hier übersteigt alle mir bekannten Sado-Maso-Praktiken. Ich meine natürlich, alle, von denen ich bisher gehört habe.«

      »Natürlich«, bestätigte Stahnke. Das Grinsen verkniff er sich. »Also dann, was haben wir?«

      »Dr. med. Hanno Wohlmann, 43 Jahre, verheiratet, keine Kinder. Niedergelassener Kinderarzt, alteingesessene Praxis vom Schwiegervater übernommen, Ehefrau arbeitet als Sprechstundenhilfe mit. Gut situiert, aber nicht übermäßig begütert.«

      »Na, für einen Jaguar reicht es immerhin«, unterbrach Stahnke.

      Kramer hob fragend die Augenbrauen: »Wieso Jaguar? Die Wohlmanns haben einen Passat, dunkelblau. Kein schlechter Wagen, aber kein Jaguar.«

      Stahnke wies mit dem Daumen über seine Schulter; Kramer erhob sich halb und linste durch die Gardine. »Ach der«, sagte er. »Ist mir auch aufgefallen. Der gehört aber nicht Wohlmann, sondern einem seiner Nachbarn. Banker oder so.«

      Stahnke nickte stumm. Dass ihm das immer wieder passieren musste! Ständig tappte er in die Falle seiner eigenen Vorurteile. Was ins Bild passte, wurde geglaubt. Glauben aber hieß nicht wissen. »Und nicht wissen heißt sechs«, pflegte sein alter Mathelehrer stets zu ergänzen. Man musste eben genauer hinsehen. Stahnke, setzen. Nur gut, dass er bereits saß.

      Das Wartezimmer besaß zwei Türen; die eine führte zum Behandlungszimmer, die andere zum Flur mit der Rezeption, den weiteren Ordinations- und Therapiezimmern und dem Durchgang zu den Privaträumen. Vom Flur her war ein zaghaftes Klopfen zu hören.

      »Bitte«, sagte Kramer.

      Die Tür wurde einen Spalt breit geöffnet, und ein kleiner, vierschrötiger Mann schob seinen Kopf hindurch. »Brauchen Sie noch etwas?«, fragte er.

      »Danke«, sagte Kramer. »Aber kommen Sie doch einen Augenblick herein, Herr Przybilski.«

      Ein Bauerngesicht, dachte Stahnke. Rund, pausbäckig, stark geädert, flankiert von zwei leuchtend roten Segelohren. Drei zu eins, dass das der Hausmeister ist.

      »Herr Przybilski ist hier der Hausmeister«, erläuterte Kramer.

      Stahnke erhob sich, schüttelte dem Mann die Hand und lächelte ihm so leutselig zu, dass der gar nicht anders konnte als zurückzulächeln, obwohl ihm offenkundig gar nicht danach zu Mute war.

      »Sie haben uns also angerufen«, stellte Stahnke fest; von irgendwem hatte er das aufgeschnappt. »Haben Sie auch die Leiche gefunden?«

      Przybilski nickte. »Ja. Das Fräulein Weiß, die junge MTA, also die neue Sprechstundenhilfe, hat bei mir geklingelt. Weil sie nicht reinkam in die Praxis, nicht wahr, und weil es so roch. Ich habe dann aufgemacht, und zusammen sind wir rein.«

      »Fräulein Weiß?« Stahnke blickte Kramer an.

      »Schock«, sagte Kramer knapp. »In Behandlung. Noch nicht vernehmungsfähig. Wir werden benachrichtigt.«

      »Und warum konnte die Dame nicht hinein? Hatte sie keinen Schlüssel? Immerhin arbeitet sie doch hier.«

      »Doktor Wohlmann hat seinen Angestellten nie Schlüssel gegeben«, sagte der Hausmeister. »Nur er und seine Frau hatten welche. Einer von beiden kam immer als Erster, der andere ging als Letzter.«

      »Und wer wäre heute dran gewesen mit früh da sein? Wohlmann oder seine Frau?«

      »Der Herr Doktor«, sagte Przybilski. »Er wollte über die Feiertage noch Unterlagen für die Krankenkassen aufarbeiten, hat er mir letzte Woche erzählt. Seine Frau ist verreist. Besucht ihre Eltern in Bremen über die Feiertage. Soll erst übermorgen zurück sein.«

      »Sie ist schon benachrichtigt«, kam Kramer Stahnkes Frage zuvor.

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