Stahnke und der Spökenkieker. Peter Gerdes

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Stahnke und der Spökenkieker - Peter Gerdes

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fragte mit gedämpfter Stimme: »Haben Sie dieses Fräulein Weiß gesehen?«

      Kramer nickte.

      »Und?«

      Kramer zuckte die Achseln. »Jung. Hübsch. Niedlich.« Er lehnte sich zurück. »Meinen Sie das?«

      »Klar«, sagte Stahnke. »Und sie war neu hier in der Praxis, nicht wahr?« Ein verlockender Gedanke: Geldsack trifft Jungbrunnen, betrogene Gattin wird zur Bestie. Klischee, sicher. Aber warum war das Klischee? Weil es immer wieder vorkam.

      Vorsichtig, Stahnke, dachte Stahnke. Denk an den Jaguar.

      »Wer tut so was? Wer tut bloß so was?« Przybilskis Stimme klang halb erstickt.

      Überrascht blickte Stahnke auf. Der Hausmeister stand gekrümmt da, das Gesicht in seinen Handflächen verborgen. »Er war doch so ein feiner Mensch, der Herr Doktor. Hat immer nur allen geholfen. Sich um jeden gekümmert, um die Kinder, hat sie gesund gemacht. Ein Wohltäter. Wer tötet denn so jemanden? Wer bringt so einen um? Und dann auch noch so.«

      Stahnke legte ihm beide Hände auf die Schultern; dieses Maß an Vertraulichkeit mochte gerade noch angehen. »Genau das ist die Frage, Herr Przybilski«, sagte er. »Und genau deswegen sind wir ja hier. Um das rauszukriegen. Vertrauen Sie uns, wir werden den Mörder schon finden.« Fast hätte Stahnke über seine eigenen Worte den Kopf geschüttelt. Seit wann machte er denn so große Sprüche? Und so sentimentale obendrein?

      Der Hausmeister rieb sich die Augen, bedankte sich und ging.

      Alles in allem ein ziemlich peinlicher Auftritt, fand der Hauptkommissar.

      »Blödsinn«, sagte Kramer.

      Stahnke spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. »Wie – äh …« Sein Mund blieb stumm und offen.

      »Blödsinn ist das. Von wegen Wohltäter Wohlmann. Der war als Kinderarzt nicht halb so gut, wie dieser Przy­bilski ihn hinstellt.«

      Erleichtert stellte Stahnke fest, dass Kramer nicht ihn gemeint hatte. Dann erst registrierte er die Bedeutung seiner Worte. »Kein guter Arzt? Mangelndes Fachwissen oder menschliche Defizite?«

      »Beides, wenn Sie mich fragen«, sagte Kramer. Der hagere Mann blickte zu Boden. Man konnte durch seinen Mantel hindurch sehen, dass er die Fäuste in den Taschen ballte.

      »Ja«, sagte Stahnke, »das tue ich. Erzählen Sie mal.«

      »Meine Tochter«, sagte Kramer. »Stephanie. Sieben Jahre alt. Sie erinnern sich?«

      Der Hauptkommissar nickte. Kramer hatte den kleinen Blondschopf vor ein paar Wochen einmal mit ins Büro gebracht. »Girls day« – was das wohl zu bedeuten hatte? Allzu viel konnte Stahnke mit Kindern nicht anfangen, aber Steffi hatte ihm gefallen. Sie war unglaublich clever, eigentlich so gar nicht kindlich. Vielleicht deshalb.

      »Sie hat nur ein Auge«, sagte Kramer. Und verbesserte sich schnell, als er den entsetzten Blick seines Vorgesetzten sah: »Natürlich sind beide Augen noch da, aber sie kann nur auf einem sehen. Das andere ist praktisch blind.«

      »Das tut mir Leid.« Stahnkes Stimme klang brüchig.

      »Ja.« Kramer fuhr fort: »Sie war erst sechs Monate alt, als mir etwas auffiel. Beim Füttern, wissen Sie. Da saß ich mit ihr im Kinderzimmer, nur die Nachttischlampe brannte, die Kleine war ganz entspannt, saugte mit Hingabe und schaute mich dabei an, die Augen weit offen und die Pupillen riesengroß. Ich konnte alles darin sehen, mich selbst, das Zimmer, alle meine Träume. Und plötzlich diese kleine Galaxis in ihrem rechten Auge.«

      Mein Gott, Kramer, dachte Stahnke. Die Ratio auf zwei Beinen, beherrscht bis zum Gehtnichtmehr, durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Dachte ich immer. Dieser Gegenbeweis war nun wirklich nicht nötig. Er wandte sich ab, als sein Kollege das Taschentuch zückte, und drehte sich erst wieder um, als Kramer weitersprach.

      »Im selben Moment, als ich diesen Nebel bemerkte, wusste ich auch schon, was das war. Ich wusste es, aber ich konnte es nicht glauben. Statt genauer hinzusehen, wollte ich es einfach nicht wahrhaben, verstehen Sie?«

      »Verstehe ich«, sagte Stahnke. »Und dann gingen Sie zu Wohlmann?«

      »Er hat mir genau das erzählt, was ich mir zu hören gewünscht hatte. ›Ach, das kennen wir ja, überängstliche Eltern, die bilden sich alles Mögliche ein. Nicht wahr, hahaha, das wollen wir mal nicht so ernst nehmen, was besorgte Eltern so zu sehen glauben.‹ Tja. Ich hab’s ihm geglaubt, weil ich ihm glauben wollte, weil es ja so schön gewesen wäre, wenn es gestimmt hätte.« Kramer schluckte. »Hat aber nicht gestimmt.«

      »Was war es denn?«

      »Ein Blutgefäß, das da nicht hingehörte. Habe mich später über die Zusammenhänge informiert. Während der Entwicklung eines Embryos werden sozusagen Versorgungsleitungen für bestimmte Organe aufgebaut, zum Beispiel für die Augen. Und wenn die dann fertig aufgebaut sind und nur noch zu Ende wachsen müssen, werden diese Leitungen, also die Adern, wieder abgebaut. Eben aufgelöst. Ihre Substanz geht in den kleinen Körper mit ein.«

      »Schlau«, sagte Stahnke.

      Kramer lächelte: »Ja, nicht wahr? Ist schon eine tolle Sache, das Leben, so rein planungstechnisch. Nur leider wurde diese eine Versorgungsleitung nicht wieder abgebaut. Sie blieb bestehen, dort, wo sie nicht mehr hingehörte. Echter Planungsfehler.«

      »Genetischer Defekt?«

      »Vermutlich.« Kramers Blick ging an Stahnke vorbei ins Leere. »Die Ader saß als Fremdkörper an der Linse, weiß und gekrümmt, wie eine winzig kleine Galaxis, und hat sie getrübt. Wenn man rechtzeitig operiert hätte, wäre die Linse zwar wohl auch nicht mehr zu retten gewesen, auf jeden Fall aber hätte man die Sehfähigkeit des Auges annähernd erhalten können, und dann hätte Steffi die Möglichkeit gehabt, sich eines Tages als Erwachsene eine künstliche Linse implantieren zu lassen. Das kann sie jetzt abhaken.«

      »Kann Steffi denn mit dem rechten Auge gar nichts mehr sehen?«

      »Praktisch nichts. Selbst die restliche Sehfähigkeit, die paar Prozent, die anfangs noch nachzuweisen waren, wurde nicht erhalten. Das hat Wohlmann auch versaut. Falsch therapiert, zu spät, zu halbherzig. Der Augenarzt, zu dem wir später gegangen sind, hat’s gar nicht glauben wollen. Aber da war der Schaden schon angerichtet.«

      »Und was hat dieser … dieser Doktor Wohlmann dazu gesagt?« Stahnke bekam seine Kiefer nur mit Mühe auseinander. Die verkrampften Muskeln schmerzten.

      »Was er gesagt hat? ›Glückwunsch zu Ihrer Diagnose, Sie hatten ja wohl doch Recht.‹ Das hat er gesagt. Wirklich wahr. Steffi hat den doch überhaupt nicht interessiert. Ich bin damals aus dieser Praxis rausgegangen wie betäubt. Und nie wieder hingegangen. Wir haben sofort danach den Kinderarzt gewechselt. Wer weiß …«

      »Ja«, sagte Stahnke. Nicht, dass er Kramer eine Affekthandlung zugetraut hätte. Eine Gewalttat schon gar nicht. Aber verstanden hätte er es. Was sicher ein Fehler war, überlegte er, denn schließlich war Rache keine Privatsache, sondern – tja, seine. Seine Sache. In gewisser Weise. Als Sachwalter des staatlichen Gewaltmonopols. Aber immerhin wäre dies schon Motiv Nummer drei. Erstens religiöser Wahn, zweitens Eifersucht, drittens Rache. Ein nettes Sortiment. Man musste nur noch seine Wahl treffen. »Rache«, murmelte er vor sich hin.

      »Was?« Kramer schreckte hoch.

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