Stahnke und der Spökenkieker. Peter Gerdes

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Stahnke und der Spökenkieker - Peter Gerdes

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holen will, und versteckt sich hinter der Tür, um ihm aufzulauern.«

      Kramer nickte. »Ja, so weit klar. Aber dann?«

      Statt einer Antwort streckte Stahnke den Kopf vor, ging mit schnellen Schritten auf die Tür zu und ließ sie mit einem wuchtigen Stoß seiner flachen Hand aufplatzen. Das Türblatt schlug krachend an die Innenwand.

      »Dort stand Kretschmer«, sagte Stahnke. »Die Hand am Messergriff, das Messer in Stoßhaltung. Und weil er so paddelig war, zeigte die Spitze in diesem Moment vermutlich auf seinen eigenen Körper.«

      »So dass die Tür ihm die Klinge in die Brust getrieben hat.«

      Trotzdem schien Kramer noch nicht ganz überzeugt: »Aber dann müsste Prollwitz das doch mitbekommen haben. Warum hat der denn nichts gesagt, wenn es doch ein Unfall war?«

      Stahnke zeigte auf den Kaffeeautomaten. Bei »Cappuccino« leuchtete ein rotes Lämpchen. »Sein Lieblingsgetränk war nicht vorrätig«, sagte er. »Prollwitz hat die Tür aufgestoßen, das rote Lämpchen gesehen, auf dem Absatz kehrtgemacht und ist davongestapft, noch ehe der Kretschmer umfallen konnte.«

      »Dann müsste der Sportredakteur aber ohne einen Laut gestorben sein«, sagte Kramer.

      »Durchaus möglich«, erwiderte Stahnke. »Passen würde es zu ihm.« Dann klatschte der Hauptkommissar kräftig in die Hände: »So. Und jetzt schnappen Sie sich den Prollwitz, verpassen Sie ihm einen netten Handschmuck und buchten ihn ein.«

      »Aber wieso das denn? Er hat es doch völlig unabsichtlich getan!«

      »Na klar«, sagte Stahnke. »Er kommt ja auch nach vierundzwanzig Stunden wieder raus. Aber schaden wird ihm das nichts – und seine Kollegen haben wenigstens mal einen Tag Ruhe.«

      Seite an Seite verließen sie den Raum. Der Kaffeeautomat gluckste leise. Sein rotes Lämpchen schien zu blinzeln.

      DREI BRÜDER

      Die Ziegelmauer war rau, so rau, dass Handflächen und Wange schmerzten, als er langsam daran herunterrutschte. Rote Flüssigkeit sickerte ihm in die Augen, und er legte den Kopf in den Nacken, folgte mit dem Blick der dunklen, feuchten Spur am Mauerwerk, die nach oben zu weisen schien, dorthin, wo über dem schwarzen Schacht des Innenhofs ein sternenlöchriger Deckel aus dunkelblauem Nachthimmel lag. Wie der Eingang vom Tunnel ins Nichts, dachte er, während er auf die Knie sank. Oder der Ausgang? Der geheime Gang, durch den das Nichts in die Welt kam, immer nur nachts, um sie nach und nach aufzulösen, auszulöschen. Da war Wind, der ihm von oben her in die brennenden Augen fuhr, ganz plötzlich und unangenehm kalt. Von dort? Der Luftzug kreiselte im Karree der Mauern, ließ eingesperrte trockene Blätter raschelnd tanzen, zupfte an seiner Jacke, auffordernd, einladend. Dorthin? Zog es ihn an, sog es ihn ein? Hatte er es bemerkt, hatte es ihn bemerkt, hatte es bemerkt, dass er bemerkt hatte, aber was, was? »Aber nein«, stöhnte er, mehr beschwichtigend als ängstlich. Das half. Vorsichtig stemmte er die Füße auf den Boden, erst den rechten, dann den linken, stand langsam auf, stand, ohne erneut das Bewusstsein zu verlieren Ganz automatisch wischte er sich über die Augen, betrachtete seine Handfläche. Sie war rot, aber das war kein Blut, überraschenderweise. »Wein«, murmelte er.

      Sein Hinterkopf fühlte sich an wie eine pulsierende Blase aus glühender Lava, und er stellte sich vor, wie ihm das Gehirn durch diesen Brei hindurch auf den Anzug rutschte. Der Kerl musste eine Flasche auf seinem Schädel zertrümmert haben, eine volle. Ob er noch da war?

      Er atmete tief ein, unterdrückte den Hustenreiz und horchte auf das Rasseln in seinen Bronchien. Im selben Moment klappte hinter ihm eine Tür. Unwillkürlich zog er den Kopf zwischen die Schultern, in Erwartung eines weiteren Schlages, eine Bewegung, die den Schmerz neu aufwallen ließ und ihn beinahe genauso betäubt hätte wie ein erneuter Hieb mit einer Weinflasche. Hinter ihm aber war niemand, da war nur eine Tür offen.

      Vorsichtig drehte er sich um, schob die Schuhsohlen über das unebene Pflaster des Hofes, um nicht in der Dunkelheit zu straucheln und zu stürzen. Die unverschlossene Tür pendelte erneut im Luftzug und verriet ihm die Richtung. Er bekam die Klinke zu fassen und betrat einen schmalen Gang, in dem es durchdringend roch. War hier frisch lackiert? Das war ihm vorhin gar nicht aufgefallen.

      Möglicherweise waren es aber auch gar keine Lösungsmittel, die er hier roch, sondern Alkohol. Dies hier war der Gang zum Lager, und dort musste etwas zu Bruch gegangen sein. Mehr als nur eine Flasche Wein. Er tastete über den Putz, bis er den Lichtschalter fand, einen dieser altmodischen zum Drehen. Er drehte. Unter seinen Füßen spürte er einen dumpfen Schlag, dann einen zweiten gleich hinterher. Hörte es grollen wie von weit entfernten, gedämpften Kanonen. Dann wurde es hell.

      Seine Lippen formten sich zu einem »o«, und ehe er noch »Scheiße« sagen und die geblendeten Augen schließen konnte, rollte es auf ihn zu, gelb und gleißend, wie damals, als er und seine beiden Brüder Vaters alte Lötlampe ausprobieren wollten und ihm die wulstige Feuerzunge plötzlich übers Gesicht geleckt hatte. Nur ungleich größer. Und heißer. Und von allen Seiten.

      *

      Das Brennen wurde stärker, hatte schon den ganzen Leib erfasst und stieg jetzt hoch bis zur Kehle, nahm ihm den Atem. Er krümmte sich, röchelte, schluckte krampfhaft, schnappte nach Luft. Lodernde Flammen in seinem Magen, glühende Lava in seiner Kehle, dumpfe Detonationen in seinem Kopf. Sein Herz raste in Panik. Er warf sich herum, spürte stechenden Schmerz in beiden Seiten, stöhnte auf, rieb sich die verklebten Augen und tastete nach dem Lichtschalter. Lautes Poltern verriet ihm, dass er die Wasserflasche umgeworfen hatte. Zweimal entwischte ihm das glatte Ding, dann hatte er die Flasche zu fassen, schraubte sie mit prickelnden Fingern auf, setzte sie gierig an – ein Tropfen nur, sie war leer. Durch sein Husten und Räuspern hindurch konnte er selbst nicht verstehen, was er da fluchte.

      Hauptkommissar Stahnke richtete sich mühsam auf, erhob sich, streifte den Bademantel über und schlurfte ins Bad. Ein feuchter, leicht modriger Geruch erinnerte ihn daran, dass einige seiner in Gebrauch befindlichen Handtücher ein kaum geringeres Dienstalter hatten als er. Ächzend hockte er sich auf die Kloschüssel.

      Während er pinkelte, bahnten sich saure Rülpser ihren schmerzhaften Weg nach oben und ins Freie. Es gab Augenblicke, da war er heilfroh, wieder allein zu leben. An der Wand neben der Tür hing ein kleiner Frisierspiegel, der noch von Katharina stammte. Ein Blick hinein bestätigte seine erste Diagnose. Er fühlte sich nicht nur wie ein Wrack, er sah auch so aus.

      Stahnke spülte, beugte sich dann übers Waschbecken, ließ kaltes Wasser in die hohle Hand laufen und trank. Es war, als wasche er offene Wunden, und wieder begann sein Magen zu toben. Manchmal sehnte er sich direkt danach, sich zu übergeben, sich inwendig zu reinigen. Er erinnerte sich, dass es Religionen gab, die das Kotzen zum Lebensprinzip erklärt hatten. Sein Körper aber tat ihm nicht den Gefallen, der behielt alles bei sich und machte Fett und Schmerzen daraus. Und für den Finger im Hals war er einfach zu feige.

      Er richtete sich auf, stemmte die Hände auf den Waschbeckenrand und näherte sein Gesicht dem schlierigen Badspiegel. Ein rötlich-graues, aufgeschwemmtes Gesicht mit grober Haut, tiefrot geränderten Augen mit dunklen Schatten darunter, kurzen, weißblonden Haaren über einer schuppig-rauen Stirn, einer rotscheckigen, nicht gerade zierlichen Nase und einem leuchtenden Pickel zwischen den Bartstoppeln am runden Kinn. »Hauptkommissar Stahnke, Mordkommission«, sagte er und lachte, womit er einen Hustenanfall auslöste, der seine wasserblauen Augen vollends in pralle, rotweiß gemusterte Kissen bettete.

      Während die Kaffeemaschine vor sich hin prustete, löste Stahnke schnell den ersten Fall des Tages. Tatwaffe: Zweieinhalb Flaschen Bardolino, aus dem Supermarkt, Stückpreis zweiachtunddreißig. Tathergang:

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