Der Muttermörder mit dem Schal. Bernd Kaufholz
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Wo der Schwiegersohn sein könnte, wisse sie nicht. „Vielleicht bei einer Familie in der Immermannstraße 34. Dort verkehrt er manchmal.“
Als Polizeimeister Röpke schon die Wohnung verlassen will, sagt Frieda Sirr noch: „Ach, übrigens, meine Tochter hat mir mal erzählt, dass Walter bei einem Streit zu ihr gesagt hat: ‚An dir werde ich mich noch mal vergessen.‘“
Die Kriminalisten fahren weiter zur Immermannstraße. Doch die Eheleute Stör* haben Walter Tylle schon seit Wochen nicht mehr gesehen. Die Polizisten erfahren, dass Familie Tylle einmal in der Nachbarwohnung gewohnt hat.
Aufgrund der vorgefundenen Lage in der Wohnung der Tylles und dem Verschwinden von Walter Tylle sehen die Ermittler vorläufig in ihm den Hauptverdächtigen. Das Kreisgericht Magdeburg-Süd erlässt am 27. Dezember Haftbefehl, der 56-Jährige wird zur Fahndung ausgeschrieben. In der Nervenklinik der Medizinischen Akademie findet die Polizei den Gesuchten. Um 22 Uhr an diesem Sonntagabend sitzt Tylle bereits vor seinen Vernehmern.
Von Blankenburg, wo er in den Harzer Werken gearbeitet habe, sei er 1952 nach Hamburg gegangen und dort bis zum Sommer 1956 auf der Deutschen Werft tätig gewesen, erzählt Tylle zu Beginn des Verhörs über seine berufliche Entwicklung. Im Herbst des Jahres sei er wieder in die DDR zurückgekommen. Seine Stationen seien dann das Getriebewerk Wernigerode und der VEB Erdgas Gommern gewesen. „Seit April 1957 bin ich in Magdeburg“, schließt er.
Dann spricht Tylle über seine Ehe: „Meine Frau war Serviererin. Sie trank sehr viel. Deshalb hat es oft Streit zwischen uns gegeben. Am 18. April ist Irmgard deshalb ausgezogen.“
Um Staatsanwalt Witter und Polizeimeister Röpke vom Magdeburger Polizeiamt klarzumachen, wen sie vor sich haben, brüstet sich Tylle mit seiner politischen Vergangenheit: „1931 bin ich in Hamburg in die Kommunistische Partei eingetreten, und nachdem ich aus der Kriegsgefangenschaft gekommen bin, habe ich mich sofort bei der KPD Hamburg-Harvestehude Rothenbaum gemeldet und wurde Leiter einer Straßenzelle.“ Nach seiner Übersiedlung nach Leipzig 1948 sei er in die SED aufgenommen worden. „Zwei Jahre später wurde ich durch die Quedlinburger Kreisparteikontrollkommission aus der SED ausgeschlossen. Ich war mit der Entwicklung, die die Partei nahm, nicht einverstanden.“
Dann schildert der Tatverdächtige das Zusammenleben mit seiner Ehefrau ausführlicher. Wild mit den Händen gestikulierend und mit Wut in der Stimme sagt er: „Ich will gar nicht so weit zurückblicken. Damit sie sich ein Bild machen können, will ich nur darauf aufmerksam machen, dass sich meine Frau an Volkseigentum vergriffen hat.“ Sie habe als Serviererin in der Gaststätte „Herrenkrug“ 20 Flaschen Wein für 6,75 Mark die Flasche gestohlen und verkauft. „Ich habe es als meine Pflicht angesehen, diese Tat bei der Polizei anzuzeigen.“
Aufgefallen sei ihm der Diebstahl, weil seine Frau 50 Mark im Portemonnaie gehabt hatte, deren Herkunft sie ihm nicht hatte erklären können. „Irmgard hat immer Geldsorgen gehabt, weil sie ihr Geld gleich in Zigaretten und Alkohol umgesetzt hat.“ Auf Nachfragen der Vernehmer gibt Tylle zu, bei Streitigkeiten mehrmals „tätlich“ gegen seine Frau geworden zu sein.
Aufgrund der Diebstahlsanzeige ihres Mannes war Irmgard Tylle Mitte Dezember 1959 von der Polizei vorgeladen worden. Die zweite Vorladung war am 22. Dezember mit der Post gekommen. Walter Tylle hatte das Schreiben geöffnet und seiner Frau spätabends unter die Nase gehalten. „Es gab wieder Streit“, berichtet der Verhörte. Als sie im Bett lagen, habe seine Frau gesagt: „Morgen werde ich dir einen Grund geben, damit du dich scheiden lässt.“
„Ich habe sofort verstanden, was Irmgard meinte, sie wollte sich einen Liebhaber anlachen. Das konnte ich doch nicht auf mir sitzen lassen.“ Es habe eine „längere Aussprache“ gegeben. „Dabei wurde ich recht erregt und ich habe das erste Mal daran gedacht, meine Frau und mich umzubringen“, sagt Tylle.
Nach dem Streit im Ehebett hatte der Verhörte weiter wach gelegen. Seine Frau lag auf dem Rücken, das Gesicht nach rechts, ihm abgewandt. „Ich hatte das Gefühl, dass meine Frau eingeschlafen war, und bin leise aufgestanden. Dann ging ich in die Toilette mit dem Werkzeugkasten an der Wand. Von dort holte ich mir einen Hammer, der unserer Hauptmieterin Frau Rilke* gehört, die seit einigen Tagen verreist war.“
Er habe sich wieder ins Bett gelegt und den Hammerstiel mit der rechten Hand fest umklammert. „Im Liegen habe ich zum Schlag ausgeholt und meiner Frau einen kräftigen Hieb auf den Kopf gegeben.“ Irmgard Tylle habe daraufhin instinktiv die Hände auf den Kopf gelegt, um sich zu schützen. Ihr Ehemann schlug noch zweimal zu.
„Meine Frau hat stark geröchelt und ich hatte den Eindruck, dass sie sehr schwer starb. Das konnte ich nicht mit anhören und zog ihr deshalb das Kissen unter dem Kopf hervor, legte es ihr über den Hals und drückte ihr gleichzeitig die Kehle zu. Sie sollte endgültig tot sein.“
Nachdem die 40-Jährige „völlig still geworden“ war und „nicht mehr atmete“, habe er ihr das Kissen wieder unter den Kopf gelegt. „Dann habe ich ihre Hände mit einem Waschläppchen sauber gemacht und sie ordentlich über Kreuz auf ihre Brust gelegt.“ Anschließend habe er die Bettdecke wieder „geordnet über sie ausgebreitet“.
Tylle war an den Tisch getreten, der rechts vom Doppelbett stand, und hatte aus dem weißen Kästchen einige Rasierklingen genommen. Damit legte er sich wieder ins Bett an die Seite seiner ermordeten Frau. Seinen linken Arm stützte er auf dem Stuhl neben seiner Bettseite ab und schnitt mehrmals mit den Klingen in seine linke Ellenbeuge. Um das Blut aufzufangen, hatte er zuvor eine Emailleschüssel daneben gestellt. „Um das Bett nicht zu sehr mit Blut zu verschmutzen, habe ich noch eine Schlafanzughose unter meinen Arm gelegt.“
Durch den Blutverlust sei er in eine Ohnmacht hineingedämmert und erst zwei Tage später, am 24. Dezember, wieder aufgewacht – auf dem Fußboden. „Ich habe sehr gefroren und bin wieder ins Bett gegangen. Abends bin ich wach geworden, habe mir einen Mantel übergezogen und bin zu meinen Nachbarn, Familie Ocker, gegangen.“
Am nächsten Tag, dem 28. Dezember, erlässt das Kreisgericht im Stadtbezirk VI um 14.45 Uhr Haftbefehl wegen Totschlags. Haftrichter Gartmann fragt den Beschuldigten noch einmal eindringlich, ob bei dessen Ehefrau vielleicht doch eine Schwangerschaftsunterbrechung vorgelegen habe. Der Jurist bezieht sich mit dieser Frage sowohl auf den „Blutkuchen“ in der Schüssel als auch auf die Tatsache, dass Irmgard Tylle aus dem Unterleib geblutet hat, wie der Arzt festgestellt hatte. Eine Abtreibung habe nicht vorgelegen, sagt Tylle. Dann wiederholt er, dass seine Frau eine „Trinkerin“ gewesen sei, die sich „an Volkseigentum vergriffen“ habe, um sich dadurch „Geld für Alkohol zu beschaffen“.
Am selben Tag, an dem Walter Tylle ins Magdeburger Untersuchungsgefängnis einzieht, untersuchen ein paar Straßen weiter die Rechtsmediziner der Medizinischen Akademie die Leiche Irmgard Tylles auf dem Seziertisch.
Der Tod ist durch Ersticken eingetreten, stellen die Obduzenten fest, wahrscheinlich durch einen „strangulierenden Vorgang“. Im Gutachten halten sie fest: „Der zur Erstickung führende Mechanismus konnte, allein anhand der Sektion, nicht festgestellt werden. Es ließen sich am Hals keine entsprechenden Spuren nachweisen. Deshalb muss es sich um ein sogenanntes weiches Strangulierwerkzeug gehandelt haben, das keine Spuren hinterlassen hat.“ Ein Kissen sei geeignet, bei entsprechend langem Strangulieren, den Tod herbeizuführen und hinterher keine oder nur sehr geringe Spuren zu hinterlassen.
Die beiden Wunden an der linken Kopfseite könnten von Hammerschlägen herrühren. Sie hätten jedoch „lediglich zum Platzen der Kopfschwarte geführt“ und seien keinesfalls tödlich gewesen. Allerdings könnten