Gellengold. Tim Herden
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Читать онлайн книгу Gellengold - Tim Herden страница 6
»Und die Leiche?«, fragte Damp.
»Euer Problem, würde ich sagen«, gab Behm zurück, »aber ihr solltet euch beeilen, ihn ins Kühlfach zu bringen, sonst bekommen die Möwen noch Appetit.«
»Na toll«, brauste Damp auf, »ihr könnt uns doch mit dem Scheiß hier nicht sitzen lassen.«
Aber Behm war schon auf dem Weg zum Boot. Er winkte noch kurz. »Ich schicke euch den Bericht per Mail rüber. Da sind dann auch Bilder von dem Fahrrad und dem Toten dabei. Braucht ihr ja sicher für eure Fahndung.« Und damit sausten die Kriminaltechniker mit dem Schlauchboot zurück zum Schiff der Wasserschutzpolizei.
Die beiden Inselpolizisten blieben ziemlich verdutzt mit ihrer Leiche am Strand zurück. Damp tobte. Er war sowieso schon ziemlich rot angelaufen durch die Stunden in der Hitze, aber nun drohte er förmlich zu explodieren. »Wofür halten die uns eigentlich«, brüllte er den Kollegen noch hinterher.
»Für zwei blöde Inselpolizisten«, gab Rieder zurück.
Damp starrte ihn an, als wollte er sich gleich auf Rieder stürzen. Seine Augen funkelten vor Wut. »Tun Sie nur nicht so cool, Rieder, und spielen Sie hier nicht den Großstadtpolizisten. Das nervt. Vielleicht begreifen Sie jetzt endlich mal, dass Hiddensee nicht Berlin ist, also nicht der Mittelpunkt, sondern der Arsch der Welt.«
Rieder hatte mit diesem Ausbruch nicht gerechnet, den auch die Hiddenseer Feuerwehrleute, angelockt durch die Lautstärke von Damps Attacke, mitbekommen hatten. Amüsiert blickten sie von ihren Absperrungen zu den beiden Streitenden herüber.
Rieder konnte sich nur mit Mühe durchringen, Ruhe zu bewahren. »Das gehört jetzt nicht hierher. Wo sind eigentlich die Sanitäter?«
»Die haben sich aus dem Staub gemacht. Ebenso der Arzt. Als Sie mit Behm angefangen haben, nach den Wagenspuren zu suchen, sind sie los. So läuft das hier. Begreifen Sie das endlich!«
»Dann, denke ich, sollten wir ein Bestattungsunternehmen von Rügen organisieren, das den Leichnam nach Greifswald in die Rechtsmedizin bringt.«
Rieder holte sein Handy aus der Tasche und ließ sich über die Auskunft mit einem Bestattungsunternehmen in Bergen verbinden. Man versprach ihm, in circa zwei Stunden vor Ort zu sein und den Toten dann nach Greifswald zu überführen.
»Okay, ich bleibe hier und warte. Sie könnten ja vielleicht schon mal nach Vitte fahren und schauen, ob eine Vermisstenanzeige vorliegt?«
Damp nickte bloß stumm und zog ab.
Rieder setzte sich in den Sand. Allein mit dem Toten überkam ihn eine depressive Stimmung. Zum ersten Mal, seit er hier auf der Insel angekommen war, fühlte er sich einsam. Eigentlich kannte er auf Hiddensee keinen Menschen. Und er war auch nicht der Typ, der schnell Bekanntschaften schloss. Vielleicht war seine Flucht aus Berlin unüberlegt gewesen? Alles zurückzulassen. Mit Damp verstand er sich nicht, er sah auch keine Chance, dass dies anders werden könnte. Und für die Insulaner war er ein Fremder. Das hatte er auch schon von anderen gehört, die hierhergezogen waren, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Man war und blieb der Fremde. Und dann noch dieser Fall. In Berlin wäre sofort der ganze Apparat ins Laufen gekommen, aber hier war nicht einmal geklärt, wie eine Leiche vom Fundort zur Pathologie kam. Er schaute zu der Plane mit dem Toten. »Wer bist du? Woher kommst du? Was wolltest du hier?«
Rieder griff nach der Münze in seiner Tasche und sah sie sich lange an. Das Metall glänzte golden in der Sonne. Auf der einen Seite war ein König zu sehen, mit einem Zepter in der Hand. Auf der Rückseite eine Art Wappen. Rieder blickte auf die Ostsee hinaus, als würde er dort Antworten auf seine Fragen finden. Doch dort rollten nur die Wellen in ihrem ewigen Rhythmus und Möwen hatten es sich auf den Buhnen bequem gemacht.
II
Als Rieder am Nachmittag aufs Revier in Vitte kam, hatte Damp schon die Aussage von Gerber ausgedruckt. Auch die Fotos von dem Toten und dem Fahrrad waren angekommen. Damp hatte davon eine CD gebrannt und wollte sich gerade aufmachen, um die Bilder im Fotoladen ausdrucken zu lassen. »Ich mach gleich ein paar Kopien mehr.«
»Das ist eine gute Idee. Gibt es denn irgendeine Vermisstenanzeige? Fehlt irgendwo ein Urlauber oder Feriengast?«
»Fehlanzeige. Aber das muss nichts heißen, nicht jeder Gast muss sich jeden Tag bei seinem Pensionswirt melden.«
»Vielleicht fangen wir in Neuendorf damit an, die Pensionen und Ferienanlagen abzuklappern, einschließlich der Kneipen. Wir könnten erst die Bilder abholen und dann dorthin fahren.«
»Könnten wir, aber schauen Sie mal auf die Uhr. Für mich ist in einer Stunde Feierabend. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich bereits seit 8 Uhr im Dienst. Und Überstunden müssen genehmigt werden. Aber Sie haben erst um 10 Uhr angefangen zu arbeiten. Da hätten Sie ja noch Zeit für einen Abstecher nach Neuendorf.«
»Dann lassen Sie mir die Autoschlüssel hier.«
»Haben Sie eine Betriebsfahrerlaubnis?«
»Sie wissen doch, dass …«
»Sehen Sie. Ich kann Sie gern mit nach Neuendorf nehmen, wenn ich nach Hause fahre. Wie Sie zurückkommen, müssen Sie dann schon allein sehen, denn mit dem Hundekäfig im Kofferraum können wir Ihr Rad nicht mitnehmen.«
Rieder riss nun endgültig der Geduldsfaden. Seine Kopfhaut unter den kurzen Stoppelhaaren schwoll rot an.
»Passen Sie mal auf, Damp! Hören Sie auf, mich zu schikanieren und hier auf Dienst nach Vorschrift zu machen! Es kotzt mich an, wie Sie sich aufspielen.«
In diesem Moment klopfte es, und ohne eine Antwort abzuwarten, öffnete sich die Tür. Bürgermeister Durk und Kurdirektor Sadewater stürmten aufgeregt ins Zimmer.
»Dürften wir auch mal erfahren, was hier auf der Insel passiert ist, und würden sich die Herren Polizisten herablassen, uns die näheren Umstände um den Mord in Neuendorf mitzuteilen?«, brach es wütend aus dem Bürgermeister heraus.
Rieder war am Rande der Verzweiflung. Das entwickelte sich hier zu einem Mehrfrontenkrieg.
»Wenn sich schon Herr Damp nicht bequemt, mich zu informieren, dann hätte ich wenigstens von Ihnen, Herr Rieder, mehr Übersicht erwartet. Sie sind hier nicht irgendwo, sondern auf einer Ferieninsel. Und ein Mord auf Hiddensee, das verbreitet Panik unter den Urlaubern. Und wie sollen wir beruhigend auf die Leute einwirken, wenn wir die Letzten sind, die etwas erfahren.«
Rieder blickte starr vor Schreck den Bürgermeister an, fand aber dann doch schnell seine Fassung wieder. »Wir waren bis jetzt am Fundort am Gellen und haben momentan keine Unterstützung durch die Zentrale in Stralsund. Da ist es uns sicher durchgerutscht, mit Ihnen zu telefonieren«, entgegnete er dem Ortsvorsteher so ruhig es ging.
»Aber Damp springt doch hier schon seit mindestens zwei Stunden rum. So lange steht das Polizeifahrzeug neben dem Gebäude«, polterte nun auch Sadewater los. Lars Sadewater, ein braun gebrannter blonder Endzwanziger, der eher in eine Surfschule als auf den Posten des Kurdirektors gepasst hätte, war bekannt für sein gespanntes Verhältnis zu Damp. Er nahm Damps Versuche, auf der Insel Verkehrssicherheit an Fahrrädern durchzusetzen, nicht wie die Insulaner von der humorvollen Seite, sondern sah in dem Polizisten nur einen Querulanten. Er bedrängte den Bürgermeister nicht selten mit der Forderung,