Das Blöken der Wölfe. Joachim Walther

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Das Blöken der Wölfe - Joachim Walther

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gebückt und wühlen in Tang und Schlick. Spezialisten haben Gummistiefel am Fuß und ein Hämmerchen in der Hand. Die suchen nach heißen Splittern von Steinzeitmenschen. Ein Urlauber fand am Enddorn zwei Mammutbackenzähne. Manche suchen seltene Pflanzen, die dürfen nicht gepflückt werden. Andere beobachten Vögel, die dürfen nicht erschreckt werden. Wenige suchen nichts. Die Wenigen finden vielleicht zu sich selbst.

      Wandern ist das Einzige, was man jetzt und hier tun kann. Die Wassertemperatur beträgt 10 Grad Celsius. Der untere Teil der Insel ist für Wanderer gesperrt. Ein Steindamm führt zu einem Fischerdorf. Dort stehen gereihte Häuser ohne Zaun. Es existieren Pläne, das Dorf stilecht zu rekonstruieren. Das Schilf am Bodden explodiert in Goldocker und Rotbraun. Das Wasser ist glatt. „Unser kleines Wanderheft“, Heft 116, droht, windstille Tage wären äußerst selten. Die Heide glüht tatsächlich, bei Abendsonne. Die Schatten leben. Im nächsten Dorf hat ein Kunstmaler ein altes Fischerhaus kunstgewerblich hochstilisiert. Das Haus heißt jetzt Blaue Scheune. Daneben steht ein Kiosk aus Pappe. Am Steinstrand wurde ein Sandstrand aufgeschüttet. Dampframmen treiben Holz und Metall in den Boden. Das macht Lärm. Dieser Lärm ist notwendig, die Küste ist gefährdet. Die Kirche der Insel steht im nächsten Ort. Der Abschnittsbevollmächtigte wohnt in der Inselmitte. Hinter dem Ort steigt das Gelände. Ganz oben leuchtet der Leuchtturm. Nachts streicheln seine Strahlen über die Hänge. Die Hänge sind weiblich. Unter dem Strahlenkranz ist man Artist in der Zirkuskuppel. Die Brandung klatscht Beifall. Jeder Strahl reißt den Radarschirm der Armee für Sekunden ins Licht. Am Nordende der Insel liegt gesprengter Bunkerbeton im Sanddorn. Ein feindliches Schiff wollte hier nie passieren. Urlauber fanden am Enddorn mehrere Mammutbackenzähne. Das Steilufer bröckelt. Dahinter beginnt das Meer.

      

Zuerst veröffentlicht: Die Weltbühne, 17. November 1970

       STRAßE IN BERLIN

       1 ACHT UHR FRÜH

      Die Straße riecht nach Räucherfisch.

      Sie streckt ihre acht Adern südwärts zur Stadtmitte und nordwärts nach draußen, atmet tief durch nach dem ersten großen Sturm, stößt ihren Atem in die Seitenstraßen und dehnt der Sonne über den Dachschrägen entgegen.

      Dort draußen ist Pankow, da lang geht’s in Zentrum, und dazwischen liegt der Prenzlauer Berg. Das alles verbindet die Straße. Die Pankowscher Weg hieß, als auf dem Mühlenberg noch windgetriebene Mühlen standen und die Berliner dort ihr Mehl mahlen ließen. Die in Pankower Chaussee umbenannt wurde, als die Hohenzollern Schloss Niederschönhausen kauften und den Weg zu befestigten Straße auszubauen befahlen. Die 1841 ihren jetzigen Namen erhielt, als die Stadt aus den Mauern brach und die Mietskasernen mit den Zwischenhöfen von 28 Quadratmetern an die Straße gebaut wurden. Die heute die größte Einkaufsstraße des Berliner Nordens ist und Unfallschwerpunkt.

      Die Ostseite friert früh im Schatten, die Muskeln der Hunde vibrieren. An den Häuserwänden wachsen Lichtdreiecke mit der Spitze zur Sonne. Die Westseite wird von der Sonne bis zum ersten Stock betastet. Ganz hinten grellt der Sonnenstern am Fernsehturm.

      Die Leute steuern geradlinig die angepeilten Punkte an. Außer Rentnern, die ihre Hunde Verkehrsschilder und Laternen markieren lassen. Außer Schülern, die große Taschen schlenkern und oft stehenbleiben.

      Eine Postfrau zieht ihren Wagen in eine Toreinfahrt, bückt Zeitungen hoch und geht in das Haus. Die Leuchtreklame der Duncker-Augenoptik wird erneuert, aus dem dritten Stock schaut eine Frau im Nachthemd zu. Ein Malerlehrling holt das erste Bier. Die Kaufhalle öffnet genau um acht, die Schlange davor wird hineingesogen. Ein Postmann füllt die Briefmarkenautomaten auf. Die Papierkörbe sind noch voll von gestern. Ein Mädchen trägt Milch und Schrippen, es ist ungekämmt. Es sind mehr Frauen als Männer auf der Straße. Ein Volkspolizist beobachtet die Fußgänger, er steht so, dass er gesehen wird. Die Lokalseite der Berliner Morgenzeitung berichtet: Die Schönhauser Allee zählt mit jährlich 15 Verkehrsunfällen pro Kilometer zu den Unfallschwerpunkten der Hauptstadt. Besonders die Fußgänger verursachen hier durch verkehrswidriges Verhalten viele Verkehrsunfälle. Zu den Unsitten gehört das Durchkriechen der Schutzgitter auf der Mittelpromenade. Allein in den letzten Tagen wurden Ordnungsstrafgelder in einer Höhe von rund 200 Mark verhängt. Mütter halten ihre Kinder an der Hand und rennen zur Straßenbahn, die Kinder fliegen schräg in der Luft. In periodischen Abständen quellen aus dem S-Bahnhof Menschen, die ersten erzwingen den Übergang am Zebrastreifen, die letzten kaufen eine Zeitung am Kiosk.

      Am Rande der Fahrbahn parken LKW, sie beliefern die Geschäfte. Ein PKW mit weißem L auf blauem Grund blinkt links und biegt rechts ab, der Fahrlehrer im Innern hält die Hände vors Gesicht. Ein Müllfahrer schwingt die Zügel, die Pferde schlagen Funken aus dem Pflaster. Ein Handwerker auf Fahrrad tritt gemächlich die Pedale, sein Werkzeugkasten hinter dem Sattel klappert wild. Ein Mopedfahrer mit Rucksack und Angel lässt sich von einem Fahrradfahrer überholen, er sieht müde aus, schlechtes Beißjahr, hört man.

      An den Gleisen der Straßenbahn wird gebaut, die Gleisarbeiter haben ihre Hemden noch an. Die 46 nach Pankow ist fast leer, die Wagen schleudern und scheppern, die 46 nach Kupfergraben ist voll, die Wagen rumpeln dumpf.

      Über die Mittelpromenade stützt der U-Bahnbogen, Feuilletonisten nennen ihn witzig Magistrats-Regenschirm. Die Strecke wurde von 1911 bis 1913 gebaut. Im Vertrag von 1906 heißt es unter § 3: Von der Franseckistraße aus steigt die Bahn zur Hochbahn auf und wird als solche bis jenseits des Nordrings bis 105 m hinter die Stolpischestraße ausgeführt. Im Jahr 1909 tagte die Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt. Vierter Gegenstand der Tagesordnung: Antrag der Stadtverordneten Gronewaldt und Genossen, betreffend den Bau einer Untergrundbahn anstelle der geplanten Hochbahn in der Schönhauser Allee. Eine Petition der Anwohner wurde eingereicht, sie protestierten gegen den zu erwartenden Lärm der Hochbahn. Beides wurde abgelehnt, sechs Millionen Reichsmark wurden eingespart, die U-Bahn lärmt oben.

      Straßenkehrer gegen die Mittelpromenade, sie erzählen dabei und stützen sich auf Besenenden. Tauben äugen nach Futter. Die Blätter der Linden flattern, wenn oben eine U-Bahn fährt. Den Bäumen auf Straßen und öffentlichen Plätzen Berlins ist es strengstens untersagt, bei Altersschwäche umzufallen. In den Schaufenstern hängen Schmetterlinge aus Stoff.

       2 EIN UHR MITTAGS

      Senefelderplatz, kleiner Park mit grünem Pissoir und rotem Feuermelder. Die Bäume sind Straßenbäume. Alois Senefelder zu Ehren ein Denkmal, an dessen Fuß sind zwei klassizistische Knäblein kollektiv tätig. Knäblein eins schreibt den Vornamen Alois in Spiegelschrift, Knäblein zwei hält hilfreich den Spiegel. Der Erfinder indes grübelt noch immer in Marmor. In der ND-Druckerei gegenüber wurde früher Bier gebraut: Brauerei Pfefferberg. Das Umformer- und Schaltwerk der U-Bahn ist unsichtbar, es liegt unter der Erde. Ringsum fehlen auch ein paar Häuser, der Angriff wurde am 7. Mai 1944 geflogen. Deshalb sind die zwei Wassertürme auf dem Mühlenberg so gut zu sehen; der dicke ist bewohnt. Um 1800 standen dort acht Windmühlen mit Ausschank-Lizenz. Müller Würst ließ in seine Gläser gravieren: Gestohlen bei Würst auf dem Windmühlenberge. Dadurch stieg die Zahl der Gläser, die ohne Wissen des Besitzers geborgt wurden; die Tradition lebt fort.

      Über die Vorderfront des Komitees für Landtechnik spannen die Worte: Stärkt und schützt die Deutsche Demokratische Republik, unsere sozialistische Heimat! Die BSG Rotation Prenzlauer Berg nennt ihr Lokal Sportlertreff. Durch das Gitter des Jüdischen Friedhofs schimmern alte Grabsteine zwischen hohem Gestrüpp, der Gedenkstein trägt die Aufschrift: hier stehst du schweigend doch wenn du dich wendest schweig nicht. Die evangelische Segenskirche wirbt für die

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