Das Blöken der Wölfe. Joachim Walther

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Das Blöken der Wölfe - Joachim Walther

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ist gut, aber schlecht.

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      „Aber zu dir, teurer Jüngling, gesell ich mich, der du bewegt dastehst und die Widersprüche nicht vereinigen kannst, die sich in deiner Seele kreuzen, bald die unwiderstehliche Macht des großen Ganzen fühlst, bald mich einen Träumer schiltst, dass ich da Schönheit sehe, wo du nur Stärke und Rauheit siehst … Die Kunst ist lange bildend, ehe sie schön ist, und doch so wahre, große Kunst, ja oft wahrer und größer als die Schönheit selbst. Denn in dem Menschen ist eine bildende Natur, die gleich sich tätig beweist, wann seine Existenz gesichert ist. Sobald er nichts zu sorgen und zu fürchten hat, greift der Halbgott, wirksam in seiner Ruhe, umher nach Stoff, ihm seinen Geist einzuhauchen …“ (Goethe)

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      Lektoren sitzen an Schreibtischen. Links der Stapel ungelesener Manuskripte, rechts die gelesenen, oder umgekehrt, da liegt der Spielraum für Individualitäten. Dazwischen der Kopf. Der liest. Fabeln findet. Raucht. Handlungsstränge knüpft. Muster und Motive entdeckt. Begabung spürt. Fleiß anerkennt. Zur Uhr schaut. Und schließlich in Schubladen katalogisiert. (Im Übrigen ist es immer leichter, für andere als für sich weise zu sein.)

      Schublade 1: Literatur aus Literatur. Fabelführung, Konflikt-Konstellation und Stil sogar erscheinen wundersam bekannt. Geklaut darf werden, wenn: es keiner merkt, wenn: dadurch Besseres entsteht. Manch einer muss, um etwas zu finden, erst wissen, dass es da ist. Alles das braucht nicht bewusst zu geschehen. Höflich gesagt: Das Subjekt des jungen Autors ist in diesem Falle zu zaghaft. Notwendig aber ist es in jedem Fall. „Denn Dichten ist eine geistige Hervorbringung und der Geist existiert nur als einzelnes wirkliches Bewusstsein und Selbstbewusstsein.“ (Hegel)

      Schublade 2: Die hemmungslos gefluteten Gefühlsschleusen. Alles kommt auf einmal: Bildungsgut, Gefühle, Bekenntnisse, Allergien. Das sind autobiografische Entwicklungsgeschichten in wenig distanzierter Schreibweise. Aber nichts hindert so sehr, genial zu sein, wie das Bestreben, es zu scheinen. Jeder Mensch ist unverwechselbar, einmalig. Nicht jede Biografie muss deshalb lesenswert sein. Allerdings: Die Reflexion über das Ich ist Voraussetzung zur Gestaltung der äußeren Realität.

      Schublade 3: Das Abseitige, gesellschaftlich bereits Überholte, das illustrativ Historische. Hier finden sich die Fleißarbeiten. Oft mit Herzblut geschrieben. Deswegen nicht selten tragisch. Zum Beispiel: Eine zweibändige Entlarvung des Aberglaubens in Thüringen im Jahre 1919. Oder: Das Schicksal der dressierten Zirkusrobbe Betty zur Zeit des Kapp-Putsches. Offensichtlich fehlt diesen Autoren ein wenig der Kontakt zur gesellschaftlichen Praxis.

      Schublade 4: Die künstlich gestreckten Manuskripte. Die Möglichkeiten eines Stoffes werden überschätzt, das Gegenteil ist seltener. Der kleine Stoff wird auf Länge getrimmt. Mit seitenfressenden Landschaftsbeschreibungen: Vordergrund, Mittelgrund, Hintergrund. Mit Dialogen der Art: Nein, sagte er. / Ja, sagte sie. / Nein und nochmal nein, sagte er, irgendwie erregt. / Doch, sagte sie und ihre Nasenflügel bebten leicht … Zum Wein wird Wasser gepanscht. Die Sache schmeckt fad.

      Schublade 5: Die theoretische Literatur. Da wird kühn ein Theorem genommen und dieses umschrieben. Es entsteht die literarisch ornamentierte Illustration des Theorems. Die Aufgabe der epischen Poesie aber ist noch immer, letztes Hegel-Zitat: „… das Geschehen einer Handlung darzustellen und deshalb nicht nur die Außenseite der Durchführung von Zwecken festzuhalten, sondern auch den äußeren Umständen, Naturereignissen und sonstigen Zufällen dasselbe Recht zu erteilen …“ Unter anderem.

      Schluss der Schubladenzieherei. Andere haben andere Schubladen. Es gibt Probleme mit jungen Autoren. (Aber nicht nur mit denen.) Es gibt sie, weil etwas getan wird. Die Manuskripte, die gut sind, gehen in die Druckereien. Sie werden öffentlich. Sie sind bekannt. Die in der Schublade bleiben da. Über sie war zu reden.

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      Es genügt nicht zu sagen: Wenn die Kraft auch versagt, allein der Griff nach Ruhm ist ruhmvoll. Junge Autoren brauchen Behutsamkeit: Sie sind verletzbar. Junge Autoren brauchen Forderungen: Ohne Widerstand entsteht nichts Bedeutendes. Wer Prosa schreibt, muss etwas zu sagen haben. Wer etwas sagen will, sollte über Erfahrung verfügen: Kunsterfahrung, Lebenserfahrung, politische Erfahrung. Ausbildung der Persönlichkeit und der literarischen Methode müssen ein simultaner Prozess sein.

      Die Verlage können einiges tun. Die Zirkel. Aber wo ist Raum? Raum, um sich zu artikulieren? Die Rubrik „Neue Namen“ in der Zeitschrift NDL reicht nicht aus. Es wird viel geschrieben bei uns hier. Aber wo gedruckt? Und wo sind die erfahrenen Autoren, wo? Patenschaften wie Gorki/Babel oder Brecht/Strittmatter sind schöne Erinnerung. Doch elegisch. Erfahrung ist nicht lehrbar, sie muss erlebt werden. Lektoren können lediglich etwas helfen beim Prozess des Sich-bewusst-werdens und beim Bewusst-machen von Problemen. Hilfe beim Erkennen der Individualität, des Wollens und nicht zuletzt des Könnens.

      Die Literatur der kommenden Jahre keimt im heutigen Klima. Es liegt an uns allen, wie sie aussehen wird.

      

Zuerst veröffentlicht: Die Weltbühne, 29. Dezember 1971

       UNGEHALTENE REDE

      Rotes Rathaus Berlin, 7. Juni 1979

      Mag sein, ich verstehe nicht, was hier geschehen soll, doch habe ich des Präsidenten besonders pointierte Rede nicht so verstanden, als solle sie das Ende aller Diskussion bedeuten. Ich halte mich an einen Satz in ihr, der sagt, Meinungsstreit sei Lebensteil und nicht abzuschaffen, ohne Wichtigstes zu beschädigen. Versuchen wir doch, vor dem Schaden klug zu sein.

      Ich melde mich zu Wort als Mitglied des Verbandes, der mir wichtig war, und rede als Beteiligter, der als Autor, als Lektor und bis zur Kollektiv-Entlassung als Redakteur der Zeitschrift „Temperamente“ an der Kultur des Landes Anteil nahm und hatte, anfangs enthusiastisch hoffend auf die versprochenen tabufreien Räume, wiederholt darin enttäuscht, nun aber, heute, hier nachhaltig irritiert und betroffen.

      Mir scheint, es geht um mehr, als heute auf der Tagesordnung steht. Die Szene ist zum Tribunal geworden. Gerichtet soll werden, neun Exempel statuiert, angeblicher Statutverstöße wegen. Wenn hier gerichtet wird, werden wir unsrer Rolle nicht gerecht.

      Es gibt vermutlich niemanden hier im Roten-Rathaus-Saal, der behaupten würde, Geschichte könne widerspruchs- und konfliktfrei verlaufen. So hübsch allgemein gesagt, ist das kein Problem. Die Schwierigkeiten im Umgang mit den Widersprüchen beginnen eben dort, wo sie konkret werden, wo sie unsere sind. Wir müssen entscheiden, ob wir sie aussprechen oder verschweigen, ob wir bereit sind, zu hören und darüber zu reden oder ob wir uns die Antithesen um die vorsorglich verplombten Ohren schlagen, ob wir die Dinge nur hinter vorgehaltener Hand im Pausengespräch bereden oder offen, was auch und nicht zuletzt heißt: öffentlich benennen. Mir scheint, die Entscheidung ist schon gefallen. Ich spüre heute und befürchte für morgen zunehmende Polarisierungen, ich beobachte Verhärtungen, vernehme Verdächtigungen, sehe Misstrauen, wiewohl öffentlich von engem Vertrauen die Rede ist (und „eng“ ist hier wohl das Zutreffende daran), und frage, wem das nützen soll. Der Literatur des Landes? Uns? Dem Verband? Dem Land? Oder jemandem oder etwas, was weit darübersteht? Stellungskriege, Grabenkämpfe verheeren die Landschaft, Totalverteidigung zerstört, was zu schützen vorgegeben wird.

      Ich ahne, man kann in solch gereizter Stimmung, in der die Gräben armiert werden, leicht zwischen die Fronten geraten und missverstanden werden. Die einen sagen: Seht, wie er

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