Das Blöken der Wölfe. Joachim Walther

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Das Blöken der Wölfe - Joachim Walther

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Schweigen der Waffen Frieden nennen?

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      Der lautlose Krieg hat längst begonnen. Er findet täglich weltweit statt. Er ist ein gänzlich neuer, ein abgehobener, gereinigter Krieg, der, praktisch nicht mehr führbar, theoretisch ausgefochten wird. In ihm triumphiert die Logistik über die Strategie, die Zahl über den Namen, die Zeit über den Raum. Statt Kriegskunst Rechenkunst. Statt Materialschlacht Kosten-Nutzen-Rechnung. Statt Kriegsspiel im Sandkasten Computerschlacht am Monitor. Aufrechnen der Daten und Anzahl vorhandener Waffen, entscheidende Größe: die Geschwindigkeit. Berechnung von Schlag und Gegenschlag. Die mathematisierte Größe für den Menschen: Megatote. Zahlen, Varianten, Wahrscheinlichkeiten. Digitalisiert, binärkodiert. Simulationen und Szenarien. Und immer schnellere, genauere, tödlichere Waffen, damit die Rechnung dort aufgeht, wo sie allein aufgehen kann: auf dem Papier.

      Wissenschaft und Technik machen’s möglich. Sie stellen die permanent perfektionierten Waffen für die Logistiker bereit, sie produzieren die Beschleunigung, verkürzen die Reaktionszeiten, delegieren Intelligenz an Waffen, erhöhen die Effizienz des Tötens und eskalieren so ständig die Modelle, bereiten endlos vor, was sie vermeiden wollen: das Ende.

      Die gigantisch hohen Kosten sind bekannt: etwa 1 Million Dollar pro Minute, und das stündlich, täglich, jährlich. Aber es ist nicht das Geld allein. Obwohl bis jetzt rein theoretisch geführt, ist der lautlose Krieg real und fordert täglich Opfer.

      Zu der Bilanz gehören die Hungertoten in der Dritten Welt: Im „Jahr des Kindes“ 1979 verhungerten von 120 Millionen geborener Kinder 12 Millionen, das ist 1 Hiroshima alle drei Tage. Die verschwendeten Ressourcen, die verbrauchte Energie beim ständigen Üben dessen, was dadurch verhindert werden soll, die ausgeraubte, beschädigte, vernichtete Natur, gefleddert vom errüsteten Frieden, der die Biosphäre des Planeten derart schädigt, dass er, was er zu erhalten meint, zwar nicht mit 1 Atomschlag, doch nach und nach und immer schneller ebenso nachhaltig in Frage stellt – das Überleben des Naturwesens Mensch. Die den militärtechnischen Fortschritt forcierende, massenhaft verschleuderte Intelligenz, die pervertierte Kreativität, die missbrauchte Wissenschaft. Die Zukunft, die mehrfach auf dem Spiel steht, obwohl die zukünftigen Generationen nicht mit am Spieltisch sitzen. Ein unverantwortbares Vabanque-Spiel. Für das wer haftet? Die einschüchternde Dominanz der Drohung, die uns duckt und Dringliches vertagt: planetarische Gerechtigkeit und ökologisches Handeln. Und, was vielleicht das Ärgste ist, das Leben bei ständiger Lebensgefahr verengt das Blickfeld, entrückt den Horizont, hinter dem die Utopien noch immer auf uns warten.

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      Warum, so frag ich mich, nachdem der letzte Satz geschrieben schien, schreib ich an keiner Stelle: Ich? Warum zum Beispiel nicht von den Kampfhubschraubern, die, während ich dies schreibe, im Tiefflug übers Dach donnern, nichts vom verdünnten Düsendröhnen im Luftraum darüber und den Schallmauer-Durchbrüchen, die mich zusammenzucken und die Scheiben beben lassen? Weshalb bemühe ich die Menschheit? Weshalb Zahlen, die nicht ernüchtern können? Weshalb abstrakt: der Krieg, obwohl der konkret ist wie jedes andre Wahre auch? Weshalb der wortaufwendige Faltenwurf der Stirn? Um meine Ängste zu verhüllen? Um verbal zu überspielen, wo mir die Sprache stockt? Um hinter vielen Worten zu verbergen, dass ich ratlos bin?

      So tue ich, als ob. Als ob ich kühlen Kopfes sei. Als ob ich emotionslos wäre. Nicht betroffen, nicht hin- und hergerissen zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Objektiviere, um nicht subjektiv zu werden, da emotionales Reagieren als intellektueller Makel gilt, das den Verstand in Mitleiden-Schaft zieht. Sachlichkeit als Tugend, Freisein vom Subjektiven als effiziente Denkmethode hochgepriesen. Die Errungenschaft wird mir suspekt, da ich rational beschreiben will, wo das Treffende geschrien werden müsste: Wahnsinn! Immer wieder: Wahnsinn! Doch schrei ich nicht, ich schreibe. Im Hinterkopf das anerzogene Stereotyp, dass, wer schreit, unrecht hat. Also bewahr’ ich Haltung. Verliere nicht den Kopf. Beherrsche die Gefühle. Lass mich nicht irremachen und such den Irrsinn zu erklären.

      Ich schreibe, wo ich schreien müsste. Und weiß, das kann nicht alles sein.

      

Zuerst veröffentlicht: Neue Deutsche Literatur, 8/1989

       125. MORALISCHE EPISTEL

      Zum letzten Mal: Seneca grüßt seinen Lucilius. Sei es ein Ende oder ein Hinübergleiten in etwas anderes, ich fürchte es nicht, da ich nirgendwo so eingeengt sein werde wie hier. Der befohlene Freitod, dessen Art ich selbst bestimmen darf, lässt mir Zeit, Dir den Traum von meinem Ende zu beschreiben, der mich einige tausend Jahre in die Zukunft riss, unsere.

      Ich also in der von uns fortgeschrittenen Welt, in einem Fahrzeug. Genannt Automobil. Selbstbeweger: ein hybrides Wort. Du musst Dir vorstellen, es war Nacht, über uns kein Mond, kein Stern und also eine Schwärze uns voraus, die dem Auge vorenthielt, was sie in sich barg, und das konnte alles sein: das Gute wie das Böse, Glück und Gefahr, Anfang und Ende. Unter uns die Straße, grau und ölbefleckt, sie jagte unaufhörlich auf uns zu und tauchte unter uns geräuschlos fort, kein Stein, kein Halm auf ihr bot den Blicken halt, alles floss und war rasendes Verschwimmen, grelles Aufscheinen, stummes Verschwinden. Auf dieser Straße ich in diesem metallenen Geschoss, das sich windschlüpfrig in die Dunkelheit bohrte. Außen heulte, pfiff der Wind zerteilt vorbei, innen wehte kein Hauch, gedämpft war das Rollen der Räder von Federn und Polstern, das Tempo, die Wucht und Gewalt dem Körper nicht spürbar und nur dann zu ahnen in diesem wohltemperierten, bequemen Innenraum, wenn ein Insekt auf das Glas dicht vor meinem Gesicht prallte und zu einem gelblichen Brei zerplatzte. Vor uns das Licht der Lampen, das jedoch nicht weit griff, vielleicht zwei-, dreihundert Schritt, bewältigt in Sekundenschnelle. Beklemmend. Und doch auch faszinierend. Ich presste meine Knie aneinander, sah angestrengt voraus, soweit es das begrenzte Licht erlaubte und bebte innerlich, jenseits unseres eingeengten Blickfeldes könnte etwas sein, was wir nicht voraussehen konnten: eine hohe Mauer, ein tiefes Loch, ein toter, umgestürzter Baum, ein Mensch, ein Tier, der Rand der Welt – plötzlich herausgewachsen aus der Ungewissheit vor uns, zu spät, um zu reagieren. Dieses komfortable Geschoss war keine Sänfte, kein Pferdegespann, von ihm gab es kein Abspringen im letzten Moment. Ich war, sah ich, Gefangener der Geschwindigkeit. Umgeben von Bequemlichkeit und trotz vorhandener Türen unentrinnbar eingeschlossen. Während mir der Schweiß ausbrach ob dieser vorsätzlichen Raserei bei beschränkter Sicht, schien der Fahrer offenbar zu hoffen, darauf zu vertrauen oder gar vorauszusehen, alles vor ihm müsse sein wie das hinter ihm Liegende: neu zwar, doch ähnlich dem Bekannten, und also zu beherrschen. Es war ein Spiel, erschrak ich, ein Spiel um alles oder nichts, auf Leben und auf Tod. Durchaus, es konnte sein, wie er vermutete. Was aber, es wäre unversehens anders? Und wie wir derart in die Schwärze vor uns rasten, kam mir das Licht der Lampen wie eine an den Schiffsbug gesteckte Fackel vor: erfinderische Einfalt, wo kein Leuchtturm Richtung gibt. Ach was, raunte wer (einer der Insassen, ich, der Zeitgeist jener fernen Tage?), ist bisher alles glimpflich abgegangen, wird auch in Zukunft nichts passieren. So wird Optimismus fatal zum Überleben nötig. Das Glück als letzter Notausgang. Dies, Lucilius, die völlig irreale Szenerie. Nun zu den Personen.

      Der Fahrer neben mir starrte schweigend (fast hätte ich geschrieben: stoisch, wenn diese ausgestellte Seelenruhe nicht von Gewöhnung und Überforderung etwas stumpf gewesen wäre), starrte also auf das lächerliche kurze Stück beleuchteter Straße, und ich ahnte, welch gewaltigen Vorteil er hatte: Er lenkte mit seinen Händen, dirigierte mit den Füßen die Geschwindigkeit und besaß die Macht, das Gefährt zu beschleunigen oder abzubremsen, durfte also wähnen, es im Griff zu haben, während ich neben ihm, ohne jede Möglichkeit des Eingriffs oder Ausstiegs, allem ausgeliefert, deutlich spürte, wie er das Ganze zwar vorwärtsbewegte, aber nicht wirklich beherrschte, und

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