Das Blöken der Wölfe. Joachim Walther

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Das Blöken der Wölfe - Joachim Walther

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hatte ich etwas über den neuen Brunnen vor dem neuen Warenhaus schreiben wollen, ich fand ihn nicht. Suchend schaute ich ins weite Rund des Platzes – und da fiel mein Blick auf das imposante Haus des Reisens. Stahl, Beton, Glas wuchtete gen Himmel, zehnstockwerkhoch und höher, ich assoziierte Manhattan. Anschließend überfiel mich die schon genannte Frage, wie gesagt, jählings. In meiner Eigenschaft als Lokalreporter wollte ich der Sache auf den Grund gehen. Ich meldete meinen Besuch an.

      Der Stellvertreter des stellvertretenden Direktors empfing mich. Bescheiden bot er an, ich solle ihn einfach Chef nennen. Ich fragte meine Frage. Er lächelte wissend und erklärte mir die Bedeutung der einzelnen Stockwerke. Im ersten Stock, sagte der Chef, ist Europa, im zweiten Asien, im dritten Afrika, im vierten Nord- und Südamerika, im fünften Skandinavien plus Arktis, im sechsten Australien, im siebten die Südsee. Die möchte ich sehen, Chef, sagte ich. Er nickte und ließ mir den Vortritt, der Fahrstuhl war außer Betrieb. Im siebten Stock eine Tür, darüber die Worte: Südsee/Pazifik. Die nächste Reisegruppe geht übermorgen, sagte der Chef, sehen wir uns also die Räume an.

      Der erste Raum war einer Amtsstube nachgebildet: Ein Schalter hinter Glas mit einer runden Öffnung, Bänke, Tische mit schmuddeligen Illustrierten, an den Wänden Prospekte mit Palmen und Meer. Hier werden die Passformalitäten erledigt, sagte der Chef. Wir betraten den zweiten Raum: ein Flughafenrestaurant. Unsere Route führt von hier nach Port Moresby auf Neuguinea, erläuterte mein Begleiter, in den Wänden befinden sich Lautsprecher, über die Düsengeräusche und Stimmengewirr eingespielt werden, außerdem zeigt ein Projektor startende und landende Maschinen, selbstverständlich werden unterdessen diverse Drinks gereicht. Der dritte Raum: das Innere eines Flugzeuges, verstellbare Schaumgummisitze, Bullaugen, unter denen Kumuluswolken und Gebirgsmassive vorbeizogen. Selbstredend können wir durch Druckveränderungen auch echte Übelkeit erzeugen, sagte der Chef stolz und führte mich in den vierten Raum. Von Port Moresby wird die Reise per Schiff fortgesetzt, sagte er. Sie sehen in diesem Raum das Oberdeck, über Düsen wird Meeresluft geströmt, wir können sogar Salzwasserspritzer erzeugen, natürlich auch, wenn gewünscht, die Symptome der Seekrankheit. Kinetosin sei ausreichend an Bord. Der Boden des fünften Raumes war mit feinstem Sand bedeckt. Unsere Touristen wollen immer zuerst an den Strand, sagte der Chef nachsichtig, wir haben das berücksichtigt, Meeresrauschen erfolgt über Ton, das Meer mit Brandung und (nach Wunsch wiederholtem) Sonnenuntergang über Projektoren, in der Decke sind Höhensonnen eingebaut, wir garantieren tropische Bräune, Schutzmittel allerdings sind vom Reisenden selbst zu stellen. Der sechste Raum: Das palmenumstandene Strandhotel, Korbstühle, Ventilatoren auf den Tischen, eine Tanzfläche. Dort werden die Nationaltänze vorgeführt, sagte der Chef, an die Decke wird das Kreuz des Südens projiziert, das Ganze ist phänomenal stimmungsvoll und der eigentliche Höhepunkt dieses Reiseprogramms. Hinter diesem Raum liegt nur noch der sogenannte Bewegungsraum, fuhr der Chef fort, die ersten Reisenden klagten nämlich über Bewegungsmangel und fehlenden Appetit, an den vier Wänden wird eine Landschaft im Schritttempo vorbeigezogen, wir haben ein Laufband eingebaut, darauf können die Reisenden spazieren gehen, um dann hier im nachempfundenen Hotel zu essen, zu schlafen und sich vielfältig zu amüsieren.

      Der Chef nahm mich sacht am Arm, meine Sprachlosigkeit schien ihn nicht zu überraschen, er führte mich zurück. Die Abreise erfolgt auf dem gleichen Weg wie die Anreise, erklärte er, wir wechseln allerdings das Bildmaterial der Projektoren. Während wir zur Eingangstür zurückgingen, erklärte er mir die Vorzüge dieses Systems: Diese Form des modernen Reisens sei entschieden billiger als die konventionell-überholte, erstens, außerdem sei sie gefahrloser, Flugzeugabstürze, Schiffsuntergänge, Schlangenbisse und so weiter wären ausgeschaltet, zweitens, die Zeit der Reisevorbereitungen sei entschieden gesenkt worden, die Passformalitäten seien auf das erträgliche Minimum beschränkt, die früher üblichen Impfungen fielen weg, der Reisende müsse lediglich seinen Koffer packen und schon könne es losgehen, drittens, und viertens sei diese Art des modernen Reisens erheblich weniger zeitaufwändig. Er fragte, ob ich noch Fragen hätte. Ich verneinte, dankte und verließ das Haus, der Fahrstuhl war noch immer außer Betrieb. Auf dem Weg zur Redaktion beschloss ich, schon übermorgen eine Reise nach den Mahiniki-Inseln anzutreten, drei Tage Urlaub standen mir noch zu, außerdem würde der Artikel dadurch lebenspraller. Ich ging zum Chefredakteur, er war einverstanden.

      Nach zwei Tagen stieg ich mit meinem Koffer zum siebten Stock empor. Der Fahrstuhl … Schwamm drüber! Ich hatte mich etwas verspätet, doch das Ausstellen des Visums dauerte nur drei Minuten. Die Reisegruppe bestand aus zehn Personen. Unser Flugzeug wartete auf die Starterlaubnis, die Lautsprecherstimme sprach von einer Nebelwand über dem Golf von Bengalen. Im Flughafenrestaurant wurde uns ein Martini gereicht. Die Starterlaubnis wurde gegeben, wir schnallten uns an und löschten die Zigaretten. Der Flug verlief normal, ich flirtete ein wenig mit der hübschen Stewardess. Meinem Nebenmann wurde übel, er benutzte die Tüte. Der Eindruck des überflogenen Himalaja war besonders gewaltig. Bei der Landung in Port Moresby wurde als Einlage eine Bruchlandung simuliert, doch zuletzt ging alles noch mal gut. Die Schiffsreise nach Mahiniki war sehr schön. Auf mein Notizbuch fielen einige Salzwasserspritzer, ich beschloss, künftig nur noch Kugelschreiber zu benutzen. Drei von uns wurden seekrank, sie schluckten Kinetosin und fühlten sich bei der Landung schon viel besser. Die Insel war herrlich, ich schreibe nur: Luft, Sonne, Wasser! Das Schiff war noch nicht richtig vertäut, da stürmten wir schon an den Strand. Der Sand war kleinkörnig und großartig. Wir warfen den Stoff weit von uns, einige warten vor Sonnenbrand. Gegenseitig rieben wir uns Sonnenemulsion auf die Haut. Die Brandung toste monoton, das wirkte wie Balsam auf die Nerven.

      Nach drei Stunden verspürten wir Hunger und liefen zum Hotel. Es war malerisch gelagert. Zur Erfrischung servierte man Austern und Ananassaft. Dann wurden Nationaltänze angekündigt, die Bongos wirbelten dumpf und geheimnisvoll. Über allem stand gleißend das Kreuz des Südens, einfach traumhaft schön. Die halbnackten Bauchtänzerinnen waren auch nicht von Pappe, sie hatten ziemlich schmale Hüften, aber da war Musik dahinter. Eine gefiel mir besonders gut. Ich starrte auf ihren rotierenden Bauch, und plötzlich entdeckte ich diesen Leberfleck halbrechts vom Nabel. Genauso einen hatte unsere Volontärin in der Redaktion. Blitzschnell äugte ich auf ihre Hand, und wirklich: Da steckte der Ring, den ich ihr vor Wochen für die erwiesenen Freundlichkeiten geschenkt hatte. Sie war es. Ich konstatierte mit Genugtuung die Kontinuität meines Geschmacks. Dass ich sie hier mitten in der Südsee sah, störte mich nur wenig. Ich war auch schon etwas trunken. Es war herrlich. Dann schlief ich ein. Die Zeit verging wie im Fluge. Braungebrannt und voll schöner Bilder und Erinnerungen kehrten wir heim. Der Zollbeamte war sehr milde, wir hatten auch nichts zu verzollen. Vor der Tür stand schon die nächste Reisegruppe. Wir verabschiedeten uns voneinander und schworen, die schönen Tage von Mahiniki niemals zu vergessen.

      Anderntags setzte ich mich nieder und schrieb den Artikel über meine Südseereise. Ich sparte nicht mit begeisterten Worten. Aber auch mit Kritik sparte ich nicht. Mit schonungsloser Offenheit geißelte ich die Nachlässigkeit der Volontärin und forderte unmissverständlich, sie solle beim nächsten Mal den Nabel pudern und den Ring vom Finger ziehen.

      

Zuerst veröffentlicht: Die Weltbühne, 16. Februar 1971

       KURIOSES IN DER MOHRENSTRAßE

      Beruf und Berufung fallen bei mir auf eine höchst glückselige Weise zusammen: Ich bin Erfinder, bekannt unter dem Namen Flussel junior. Mitunter, wenn ich mich vorstelle, bemerke ich Unkenntnis auf den Gesichtern meiner Gesprächspartner, und in solchen Momenten pflege ich auf die stolze Tradition meiner Familie zu verweisen. Mein Vater nämlich war der berühmte Flussel senior. Flussel, Eugen (1863–1932) – exakt. Er erhielt 1898 das Reichspatent auf seine „Vorrichtung zum Anheben der Knie der auf dem Abort sitzenden Person gegen die Brust“, die in der Patentschrift wie folgt erläutert wird: „Gegenstand der Erfindung ist eine Vorrichtung, welche die den Abort benutzende Person derart vor sich legen kann, dass beim Ausüben eines Druckes auf eine Armstütze die Platte, auf welcher die Füße der Person ruhen, angehoben wird

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