Das Blöken der Wölfe. Joachim Walther
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Der Fahrer sagte nichts.
Wir müssen noch schneller fahren, sagte der Ältere, der neben dem Jüngeren saß. Ich übernehme die Verantwortung.
Im Rückspiegel vor mir sah ich vom Sprecher nur dessen Hut und die getönten Augengläser, die Augen selber nicht. Der Jüngere aber hatte mehr gemeint. Und sagte es. Er meine die vom Menschen verursachten Prozesse des Zerstörens, deren Geschwindigkeit seine Fähigkeit des Beurteilens und Bewältigens bei Weitem übertreffe. Wir sähen nicht weit genug voraus, doch was wir sehen könnten, sei Grund genug, sofort zu handeln. Die Menschen, uneins und ungleich, fräßen auf, was sie erhalte: die eine Erde.
Der Ältere wandte ein, der Zuwachs in der Weltgetreideproduktion habe bisher stets das Bevölkerungswachstum übertroffen, die Erde habe Nahrung und Platz für alle.
Menschen, ergänzte der Jüngere, vielleicht.
Schon jetzt verdrängten die mit ihrem Raumbedarf und ihrer Produktion in jeder Stunde eine Tier- oder Pflanzenart, wodurch, wenn dieses Ausrottungstempo so weiterginge, im Jahr 2000 etwa eine halbe Million Arten unwiederbringlich von der Erde verschwunden wären, darunter solche, die dem Menschen noch nicht einmal bekannt geworden seien.
Eine teilweise signifikante Reduktion, gab der Ältere zu, fügte jedoch an: Wir listen das auf und vervollständigen unsere Gen-Banken.
Energieverbrauch, sagte der Jüngere. Den habe der hochindustrialisierte Mensch in den letzten hundert Jahren verzwanzigfacht, und dazu verbrenne er in einigen Jahrzehnten, was in Jahrmillionen entstanden sei, Bodenschätze, die als Gase in die Atmosphäre stiegen und von dort, angereichert, katastrophal auf uns zurückwirken würden. Der globale Klimakollaps sei von gleicher apokalyptischer Dimension wie ein nuklear geführter Krieg, der Himmel eine tickende Bombe.
Verbale Panikmache! rief der Ältere. Die Beweise!
Nichts ist zu beweisen, sagte der Jüngere, solange es nicht eingetreten ist.
Handeln aber braucht Gewissheit, sagte der Ältere.
Waldsterben sagte der Jüngere. Saurer Regen.
Neuartige Waldschadbilder in einzelnen Regionen, verbesserte der Ältere. Langfristige Strategie: Revitalisierung. Schadfortschrittsverzögerung. Entwicklung rauchtoleranter Baumarten.
Rauchtoleranz, dachte ich, beinahe amüsiert. Der rauchtolerante Mensch. Das Wörter-Boxen regte an. Schlag-Worte, gewiss, Lucilius, doch nicht zu unterschätzen. Unser schlechtes Gewissen hat Türwächter eingesetzt. Zensoren der inneren Ordnung, die unsern Geist beschützen sollen vor dem treffenden Wort. Benennt es bislang Unbenannt-Unerkanntes, wird es Begriff, das uns begreifen lässt, und ist den Türwächtern ein solches Wort entgangen (oder wie sie sagen: eingedrungen), wird es Zeit, Abschied zu nehmen vom liebgewordenen Bild der Welt in unserem Kopf, mit dem sich so gut leben ließ. Und das tut weh.
Denaturieren, sagte der Jüngere.
Renaturieren, der Ältere.
Sagte der eine: vergiftete Luft, sagte der andere: partielle Belastung. Ein Spiel, dachte ich. Flüsse verkämen zu Abwasserkanälen, Meere zu Mülleimern. Dem folgte: schrittweises Minimieren des Schadstoffeintrags. Ein Gesellschaftsspiel. Hinter den Worten das Versteck. Wortspiel als Vorspiel, das ewige Spiel der Kräfte. Die Ewigkeit der Welt beruht auf dem Gegensatz. Diesem Gesetz muss sich unser Geist anpassen, ihm muss er folgen, ihm gehorchen. Und was immer sich auch ereignen mag, er muss es als notwendiges Geschehen begreifen und nicht der Natur Vorwürfe machen wollen. So weit, so gut, nun weiter. Der eine sagte: Verpestung, Verseuchung, Vernichtung. Der andere darauf: Beeinträchtigung, Sanierung, Überwachung. Müllgebirge: Deponien. Reaktorunfall: Sicherheitsstandard.
Milliarden für Waffen, sagte der Jüngere.
Ja, der teure Frieden, seufzte der Ältere.
Frieden? fragte der Jüngere. Kein Krieg ist nicht Frieden.
Sicherheit, sagte der Ältere. Das Gleichgewicht.
Ökologische Unsicherheit, setzte der Jüngere dagegen. Gestörtes Gleichgewicht der Natur. Wüstenbildung. Sogenannte Naturkatastrophen: hausgemacht. Treibhauseffekt. Ozonloch. Industrie-Unfälle. Armut. Hunger. Millionen Tote.
Der Ältere unterbrach ihn. Seine Augengläser blitzten, indes er sagte, die Bilanz sei äußerst einseitig. Der Mensch habe auch Großartiges geleistet. Er habe sein Durchschnittsalter erheblich erhöht, die Säuglingssterblichkeit bemerkenswert gesenkt, seinen Lebensstandard bedeutend gehoben, die Annehmlichkeiten des Lebens enorm vermehrt, Erstaunliches erfunden, Gewaltiges entdeckt, mehr Freizeit und Wissen gewonnen und so sein natürliches Bedürfnis nach Wohnraum, Ernährung, Erholung und Gesundheit immer besser befriedigt. Und, das sei nun einmal so und durch nichts aufzuhalten, er werde sich zwangsweise permanent weiterentwickeln, Entwicklung aber, Leben generell, Fortschritt und Fortbestehen gäbe es nirgendwo und nirgendwann ohne ein bestimmtes Quantum an Unvorhersehbarem und ohne ein gewisses Risiko.
Der Fahrer sagte nichts, er fuhr.
Und ich wiederholte mich, da mir schien, es passte noch immer: Natürliche Bedürfnisse haben ihre Grenzen … was irrigen Wunschvorstellungen entspricht, kennt kein Maß, denn der Irrtum spottet jeglicher Schranke … Bleibt trotz ständigen Fortschreitens immer noch ein unerfüllter Rest, so darfst du sicher sein: Dein Streben ist wider die Natur.
Unsinn, sagte der Ältere: Wir müssen noch schneller vorwärts, in der Zukunft liegen die Lösungen für unsere heutigen Probleme, unser Wissen muss wachsen, unsere technischen Möglichkeiten, unsere Nahrungsproduktion, kurz: unsere Produktivität, nur so kommen wir da durch.
Das nenn’ ich Flucht nach vorn mit zurückgebliebenem Denken, sagte der in Deinem Alter.
Und er nannte es einen eklatanten Bruch des Generationenvertrages, der ja nicht nur die Sorgepflicht der Arbeitsfähigen für die Alten und Kranken enthalte, sondern auch der Gegenwärtigen für die Künftigen. Die heute Verantwortlichen seien tot, wenn deren Kindeskinder leben wollten und nicht könnten, weil wir ihnen eine gefledderte Erde hinterließen und unsere ungelösten Probleme. Plutonium, um nur eins zu nennen, das ihnen noch 25.000 Jahre eine strahlende Zukunft bereite.
Maßlos übertrieben, sagte der Ältere. Wir hinterlassen ihnen auch die Nuklearmedizin zur Krebsbekämpfung.
Ich lauschte dem Streit, an dem vieles für mich neu, wenn auch nicht fremd war, und dachte an die Verschwendung und Überhebung unsrer Tage, an Habsucht und Zügellosigkeit, die ständig wachsen wollen, dachte an die marmornen Bäder in Bajä und das nackte Elend nebenan, dachte an die Federn, die erlauchte Gaumen zum Erbrechen reizen, um neuen Platz zu schaffen in den überfressenen Mägen, dachte an den Hunger in der Welt und hörte, wie heute die einen ihre Exkremente mit Trinkwasser hinwegspülen, indes die andern kein sauberes Wasser zu trinken haben und zu Millionen daran sterben.
Mit der Zügellosigkeit ist es im Grunde, sah ich, so geblieben, wie es war: Erst richtete sie ihre Wünsche auf Überflüssiges, dann auf Naturwidriges, schließlich lieferte sie den Geist dem Körper aus und machte ihn zum Sklaven seiner Begehrlichkeit. Und wenn ich riet, sich von diesem Endlos-Wünschen abzuwenden und die Bedürfnisse auf das natürlich Notwendige einzuschränken, so sah ich jetzt, das reicht nicht aus. Der Ältere erkannte durchaus einige der Gefahren als möglich an, meinte aber, es werde sehr viel für den Erhalt der Natur getan.