Griechische Kulturgeschichte, Band 3. Jacob Burckhardt

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Griechische Kulturgeschichte, Band 3 - Jacob Burckhardt

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der oben erwähnten Beschränkung der Attribute und Trachten gehört auch die Zurückdeutung der Götter in ein jugendliches Alter, die schon früher und in sehr bezeichnender Weise versucht wurde. So sah Pausanias45 schon von Ageladas (um 500 v. Chr.) einen ehernen Zeus als Knaben und einen ebenfalls noch bartlosen Herakles, und Herklisken als Anatheme in Olympia gab es offenbar schon aus guter Zeit46.

      Hervorzuheben ist auch, daß das Nebeneinander einer Menge von Statuen einer und derselben Gottheit47, das wir oben (S. 16 f.) als so wichtig für die Veredelung der Götterbildungen erkannt haben, bei den Griechen nicht etwa wie bei den Ägyptern zur Identität führte48, sondern dazu, daß dieselbe Gottheit entsprechend den verschiedenen Stiftungen in verschiedener Größe, verschiedenem Stoffe und einer ganzen Fülle von Stellungen, Gebärden, Bekleidungen, Altersstufen vorhanden war. Zu Typen wurden eine Anzahl dieser Gedanken erst in der Folge, indem sie vorzugsweise nachgeahmt und durch die Römer uns überliefert wurden. Und darunter herrschten nicht notwendig die schönsten vor, sondern diejenigen, welche in Marmor am ehesten zu erreichen waren49. Von der so viel freieren Komposition in Erz, Gold-Elfenbein, Akrolith haben wir bei weitem unbestimmtere Kunde, und Kopien höchstens in kleiner Bronze und auf Münzen.

      Die wichtigste positive Quelle des Idealen aber bleibt es, daß man, um das Geistige als solches vollkommen geben zu können, die sinnliche Erscheinung mit größter Begeisterung als eine lebendige erfaßte und studierte. Die genaueste Ergründung der Körperformen verbindet sich mit einem immer sichereren Bewußtsein von dem, was die Schönheit des Anblickes ruhender und bewegter Gestalten ausmachen kann; man wurde aller Elemente des äußern Lebens mächtig, um das geistige Leben ganz frei geben zu können. Dahin gehört es, daß man das Schöne aus vielen einzelnen Individuen zusammensuchte50. Aber aus dem bloßen Durchschnitt oder Kanon wäre es noch nicht erwachsen, wenn nicht zu alledem das absolut Exzeptionelle hinzugekommen wäre: jener mächtige innere Zug zum Schönen, der uns ewig ein Mysterium bleiben wird.

      Fördernd für die Annahme der idealen Kunst durch das Volk mag mittelbar die allgemeine Erhebung der Nation im V. Jahrhundert und hie und da auch das Pathos beim Ersatz für die im Perserkrieg untergegangenen Götterbilder mitgewirkt haben. Die Religion tat jedenfalls das wenigste dabei; der Zeus des Phidias und die andern großen Gebilde sind schon in einer relativ ungläubigen Zeit entstanden, als Anaxagoras lehrte. Die Hauptsache aber war, daß die damaligen großen Meister eine Überzeugung für ihre Neugestaltung der Götterwelt zu erregen, den Willen von Bevölkerungen dafür zu erwecken vermochten. Dies kann einem Phidias und Polyklet nur durch das Vorweisen von Modellen und von fertigen Arbeiten gelungen sein, die man mit den von der Perserverwüstung verschont gebliebenen Werken der älteren Kunst, welche dem bisherigen Bewußtsein genügt hatten, einer gewiß stattlichen Hera in Argos und einem Zeusbilde in Olympia usw. vergleichen konnte. Man konnte diese ältern Bilder nun offenbar nicht mehr schön finden, und nachdem man bisher das Kolossale gehabt, erkannte man jetzt das Große.

      Dazu gehörte aber noch eine Nation, die sich nicht auf Altgeheiligtes kaprizierte, vielmehr das neugeborene Schöne nicht nur anzuerkennen, sondern tatsächlich anzunehmen imstande war.

      Und diese Nation durfte es nun auch mit Staunen erleben, wie ihre Künstler immer höhere Kräfte entwickelten in der Verwirklichung der Götter, und wie die Götter immer schöner wurden. Und mit und durch die Griechen erlebten es seither alle andern Kulturvölker; die Griechengötter sind hinfort schön für alles darzustellende Göttliche und Erhabene aller Religionen, und die griechischen Götterideale sind daher ein welthistorisches Faktum.

      Und nun bildete sich nicht ein ägyptisches System, sondern ein freier Usus von gewissen Formen, die uns als griechische Idealformen erscheinen, und wir stehen vor der bedeutenden Tatsache, daß bei völliger kirchlicher Freiheit ein Konsensus in Sachen des Idealen möglich war, nicht als religiöse Schranke, sondern positiv als Wille nach einem bestimmten Schönen.

      Diese Idealformen aber sind nicht sowohl die allgemein wahren oder häufigen, als die allgemein ausdrucksfähigen für das geistige und sinnliche Leben, und deshalb sind sie, obwohl unter sich unendlich verschieden, die allgemein schönen.

      Von einer Reihe feiner und ausgedehnter physiognomischer Beobachtungen und einer daraus abgeleiteten systematischen Lehre mit praktischem Zwecke, welche hier mitwirkten, gibt uns Aristoteles51 in den Physiognomika einen Begriff. In dieser Schrift wird alles: das Dauernde wie das Augenblickliche, Charakter und Leidenschaft, mit herbeigezogen, und Formen wie Farben, der Konsistenzgrad (die Weiche und Härte) der Haare wie des Fleisches gedeutet, unter beständigem Blick auf die bekannteren Tiergattungen, wo der Charakter, über den man im reinen zu sein glaubte, konstant ist, und das Individuelle nicht in Betracht kommt52. Kopf und Gesicht werden ganz besonders genau behandelt; für das geringste Überschreiten der normalen Form, das geringste Zuviel oder Zuwenig, wird sogleich ein Tier namhaft gemacht. Man lernt da eine Zeit und ein Volk kennen, welche ihrem Ursprunge noch näher waren, als wir jetzt sind. Zweitausend Jahre eines mehr oder weniger zivilisierten Lebens, große Mischungen der Völker und andere Ursachen mehr haben es mit sich gebracht, daß Knochenbau, Hautfarbe, Haarwuchs und Fleischkonstitution in ihrer verschiedenen Ausbildung mit dem Charakter des Individuums gar nichts mehr zu tun haben; die Physiognomik hat sich auf ein viel engeres Gebiet zurückgezogen, und auch hier wird zuletzt ein unwillkürlicher erster Eindruck mehr bedeuten als irgendeine systematische Betrachtung. Aristoteles aber konnte noch das ganze Äußere als Ausdruck des Innern in Anspruch nehmen.53

      So ergibt sich beispielsweise die Behandlung des Gesichts aus dem Zusammenwirken von plastischen Notwendigkeiten, resp. Wünschbarkeiten mit dieser physiognomischen Überzeugung, während es zweifelhaft bleiben mag, wieweit dieses Gesicht wirklich in der Natur vorkam. Vor allem ist die Maske, im Verhältnis zum Ganzen betrachtet, größer als in unserm Typus. Klarheit, Ruhe, Leidenschaftslosigkeit, Intelligenz und Wille sprechen schon aus dem weiten Hervorragen der runden Stirn und des NasenrückensA1 (ris eyteia, tetragonos), der mit ihr in gerader Linie zusammen Ein Stück und Eine Lichtmasse bildet, über den Rest des Gesichtes54. Die Stirn55 mit ihrem scharfen unteren Superziliarbogen ist relativ niedrig; eine hohe Stirn würde bei der ohnehin großen Maske eine ganz andere Schädelform, besonders ein größeres Okziput nach sich ziehen, und die Griechen verschmähten die mandelförmigen Köpfe, die von der Stirnspitze bis zum Okziput gehen, wie sie Canova hat. Das Profil des Gesichtes gehört mit dem Profil des ganzen Kopfes in einer ganz anderen Weise zusammen als in unserm Typus. Die Augen sind tiefliegend und weit vortretend, besonders der innere Augenwinkel liegt tief; der Bulbus ist so gewölbt, daß er auch im Profil stark wirkt; das obere Augenlid scharf umrissen; Augapfel und Augstern waren in der älteren Kunst farbig, später wurde der Schatten eher plastisch hervorgebracht, und für den Ausdruck des Schmachtenden (ygron) diente noch eine spezielle Bildung der Augenlider. Auch der Mund ist tiefwinklig und für die Profilansicht weit vortretend, seine Öffnung sanft, die Oberlippe kurz (xeilh lepta), die Lippenbildung im Ganzen zeigt bei den Göttern starke Verschiedenheiten. Das Kinn ist rund und großartig, selten mit einem Grübchen versehen, das Ohr ist schön und fein.

      Das Haar zeigt die verschiedensten Formen, von der alten assyrisierenden Art an bis zur höchsten Freiheit und Vielgestaltigkeit und der wunderbarsten Wirkung. Kraus ist es bei den Epheben, struppig bei unedleren Satyrn und Barbaren, freiwallend und aufs schönste gesammelt zeigen es die Aphroditen von der knidischen an, herabwallend hat es Hera, oft ist es feingewellt, oft in einen Krobylos zusammengefaßt, wie bei Eros, Apollon, der kapitolinischen Venus, in besonders reicher Fülle haben es Zeus und die Wassergötter; Diademe und Kränze von Blättern, Blumen, Trauben usw. schmücken es oft aufs zierlichste. Auch der Bart zeigt die ganze Entwicklung von der assyrisierenden Regelmäßigkeit an bis zur freien Großartigkeit des Zeusbartes. Weder gepflegtes noch ungepflegtes Haar nimmt sich in der Wirklichkeit je so aus. Überhaupt gehen die Alten mit den Formen sehr frei um, ohne daß doch deren höchster

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