Kafkas letzter Prozess. Benjamin Balint

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Kafkas letzter Prozess - Benjamin Balint

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seiner Persönlichkeit sich auf eine Zeit völlig zu entäußern, um als rein erkennendes Subjekt, klares Weltauge, übrig zu bleiben«. (Brod fielen Kafkas Augen auf, »kühn, blitzendgrau«.) Da Kafka jedoch für abstraktes Philosophieren weder geeignet noch empfänglich war, nahm die Unterhaltung bald eine literarische Wendung. Mit entwaffnender Geradlinigkeit brachte Kafka die Rede auf den österreichischen Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal, der zehn Jahre älter war als die beiden. (Eines der ersten Geschenke Kafkas an Brod war eine Sonderausgabe von Hofmannsthals Das Kleine Welttheater (1897) mit goldgeprägtem Pergamenteinband.)7

      Die beiden trafen sich einmal, manchmal zweimal am Tag. Brod gefiel Kafkas sanfter Gleichmut. Eine »süße Sicherheit«, »etwas ganz ungewöhnlich Starkes« sei von ihm ausgegangen, so Brod, auf den Kafka gleichermaßen klug und kindlich wirkte. In seiner Autobiografie sprach Brod später von einem »Zusammenprall der beiden Seelen«, als sie gemeinsam Platos Protagoras auf Griechisch und Flauberts Erziehung des Herzens (1869) und Die Versuchung des Heiligen Antonius (1874) auf Französisch lasen. (Kafka schenkte Brod unter anderem ein Buch von René Dumesnil über Flaubert.) »Das Schöne und Einzigartige der gegenseitigen Beziehung lag darin«, schrieb Brod, »daß wir einander ergänzten und einander […] viel zu geben hatten«. Die Unterstützung reichte bis in die mündlichen Jura-Prüfungen. »Nur die Zettelchen haben mich gerettet«, dankte Kafka anschließend seinem Freund.8

      Die jungen Männer verbrachten auch den einen oder anderen Abend im Kino oder im Kabarett Chat Noir. Ihre Gespräche führten sie auf Deutsch, amüsierten sich aber über tschechische Wendungen wie člobrdo (»Du armes, klappriges, verdammtes Menschlein«). Sie begeisterten sich für die neuen stereoskopischen Bildfolgen, sogenannte Kaiserpanoramen, die damals in Mode waren. Sonntags gingen sie oft wandern oder unternahmen Tagesausflüge zur Burg Karlštejn, einer gotischen Höhenburg südwestlich von Prag, in der einst die tschechischen Reichskleinodien, eine Reliquiensammlung und wertvolle Dokumente des Staatsarchivs gelagert hatten. Oder sie spazierten, vertieft in eine Diskussion über die Unterschiede zwischen Roman und Drama, zwischen lustwandelnden Paaren durch die Alleen des Baumgartens, der als »Prater von Prag« bekannt war. Kafka unterhielt Brod, indem er andere Flaneure mit ihren Spazierstöcken nachahmte. Sie badeten in der Moldau oder faulenzten nach dem Schwimmen im Prager Freibad unter Kastanienbäumen. »Kafka und ich lebten damals des seltsamen Glaubens, daß man von einer Landschaft nicht Besitz ergriffen habe, solange nicht durch Baden in ihren lebendig strömenden Gewässern die Verbindung geradezu physisch vollzogen worden sei«, schrieb Brod später.9

      Auch ihren Urlaub am Lago Maggiore begannen sie mit einem Bad im See, und als sie im Wasser standen, umarmten sie einander – »ein Anblick, der allein schon wegen des Größenunterschieds recht befremdlich gewesen sein muss«, kommentiert der Kafka-Biograf Reiner Stach. Die beiden reisten nach Riva am Gardasee, besuchten das Goethe-Haus in Weimar und stiegen im Hotel Belvédère am Luganersee ab. 1909 besuchten sie die Flugschau von Brescia-Montichiari in Norditalien. Sie tauschten ihre Reisetagebücher aus. Zweimal fuhren sie zusammen nach Paris: im Oktober 1910 und erneut am Ende einer ausgedehnten Reise im Sommer 1911. In diesem Urlaub ersannen Kafka und Brod auch einen neuen Typ von Reiseführer. »Er sollte ›Billig‹ heißen«, so Brod. »Franz war unermüdlich und hatte eine kindische Freude daran, die Prinzipien dieses Typs, der uns zu Millionären machen und vor allem der scheußlichen Amtsarbeit entreißen sollte, bis in alle Feinheiten auszubauen.« Das Motto für die neue Reihe: Nur Mut.10

      Brod war überaus fürsorglich, litt aber auch unter »Kafkas Hoffnungslosigkeit«. »Es ist mir ziemlich klar, daß […] Kafka an Zwangsneurose leidet«, schrieb er am 18. Juni 1911 in sein Tagebuch. Solche Vorbehalte taten Brods wachsender Bewunderung indes keinen Abbruch. »Nie im Leben bin ich je wieder so ausgeglichen heiter gewesen«, schrieb er, »wie in den mit Kafka verbrachten Reisewochen. Alle Sorgen, alle Verdrießlichkeiten blieben in Prag zurück. Wir wurden zu fröhlichen Kindern, wir kamen auf die absonderlichsten hübschesten Witze, – es war ein großes Glück, in Kafkas Nähe zu leben und seine lebhaft hervorsprudelnden Gedanken (selbst seine Hypochondrie noch war einfallsreich und unterhaltend) aus erster Hand zu genießen.«11

      Sogar wenn sie getrennt waren, wusste Brod »genau, was er in dieser oder jener Situation gesagt […] hätte«. Verreiste Brod ohne seinen Freund, schrieb er ihm Postkarten. So schickte er ihm aus Venedig einmal eine Karte mit Bellinis Liebesgöttin Venus. Kurzzeitig, so Stach, dachte Kafka »sogar daran, ein neues privates Heft anzulegen, das er ausschließlich der Beziehung zu Brod widmen wollte«.12

      Dennoch waren die Gegensätze zwischen den beiden jungen Männern unübersehbar: der eine quirlig und extrovertiert, der andere in sich gekehrt. Brod strahlte mit seinem Temperament und seiner unbändigen Energie eine Verve, Vitalität und Lebenszugewandtheit aus, die Kafka fremd waren. Da Brod ein sonniges Gemüt hatte und nicht so streng mit sich ins Gericht ging, wurde er nicht von Selbstzweifeln gequält, die bei Kafka mit erbarmungsloser Selbstkritik einhergingen. Während Kafka an weltlichem Erfolg nicht viel lag, war Brod nach Arthur Schnitzlers gnadenlosem Urteil ein »ehrgeizverzehrter, sich, da es sich eben so traf, als Enthusiast aufspielender, bei allen Aussichten und Fähigkeiten doch hoffnungsloser Kumpan«.13

      Kafka richtete seine Energie eher nach innen. Völlig auf das Schreiben fixiert, neigte er, anders als Brod, zur Askese: »Als es in meinem Organismus klar geworden war, daß das Schreiben die ergiebigste Richtung meines Wesens sei, drängte sich alles hin und ließ alle Fähigkeiten leer stehn, die sich auf die Freuden des Geschlechtes, des Essens, des Trinkens, des philosophischen Nachdenkens der Musik zu allererst richteten«, schrieb er 1912 in sein Tagebuch und beklagte später: »Der Sinn für die Darstellung meines traumhaften innern Lebens hat alles andere ins Nebensächliche gerückt und es ist in einer schrecklichen Weise verkümmert und hört nicht auf zu verkümmern.« An seine Verlobte Felice Bauer schrieb er: »Ich habe kein litterarisches Interesse, sondern bestehe aus Litteratur, ich bin nichts anderes und kann nichts anderes sein.«14

      Die beiden waren auch in anderen Punkten sehr unterschiedlich. Brod, ein versierter Komponist und Pianist, verfügte in Fragen der Musik über eine fundierte Urteilskraft und einen feinen Geschmack. Er vertonte Texte von Heine, Schiller, Flaubert und Goethe. (Brod hatte bei Adolf Schreiber, einem Schüler Antonín Dvořáks, Komposition studiert und war stolz auf seine entfernte Verwandtschaft mit dem berühmten französischen Oboisten Henri Brod.) »Seine schmalen mädchenhaften Hände, sie gehen weich über ein Klavier«, erinnerte sich Stefan Zweig später. Im Jahr 1912, als Albert Einstein an der Universität Prag lehrte, spielte der Physiker eines Abends eine Violinsonate, begleitet von Max Brod am Klavier. Leon Botstein, amerikanischer Dirigent und Präsident des Bard College, mutmaßte, dass für Brod »die Musik möglich machte, was in der Politik unmöglich schien: die Herstellung einer Kommunikation zwischen dem Tschechischen und dem Deutschen«.15

      Kafka dagegen konnte »Musik nicht zusammenhängend genießen«, hatte für Oper oder klassische Konzerte nicht viel übrig.16 Brod gegenüber räumte er ein, er könne eine Operette Franz Lehárs nicht von einer Oper Richard Wagners unterscheiden. (Brod bewunderte die Musik Wagners, dessen antisemitische Tiraden er, wie er bekundete, nie gelesen habe.)

      Dabei spielt Musik in Kafkas Werken durchaus eine Rolle. In seiner Erzählung »Die Verwandlung« etwa folgt Gregor Samsa in seiner Gestalt als abstoßendes Ungeziefer dem Violinspiel seiner Schwester Grete. »War er ein Tier, da ihn Musik so ergriff? Ihm war, als zeige sich ihm der Weg zu der ersehnten unbekannten Nahrung. Er war entschlossen, bis zur Schwester vorzudringen, sie am Rock zu zupfen und ihr dadurch anzudeuten, sie möge doch mit ihrer Violine in sein Zimmer kommen, denn niemand lohnte hier das Spiel so, wie er es lohnen wollte.«17 In seinem ersten Roman Der Verschollene packt Karl sein Heimweh in ein stümperhaft intoniertes Soldatenlied aus der alten Heimat. In der Erzählung »Forschungen eines Hundes« widmet der Hundeerzähler sein Leben einer wissenschaftlichen Studie über das Rätsel sieben tanzender »Musikerhunde«, deren Melodien ihn tief beeindrucken und am Ende in die Hundegesellschaft zurückführen.

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