Kafkas letzter Prozess. Benjamin Balint

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Kafkas letzter Prozess - Benjamin Balint страница 8

Автор:
Серия:
Издательство:
Kafkas letzter Prozess - Benjamin Balint

Скачать книгу

denen er mir dafür dankte. Oft aber war ich ihm mit meinem Anfeuern auch lästig, er wünschte es zum Teufel, sein Tagebuch gibt Kunde davon. Ich spürte das auch, es lag mir aber nichts daran. Mir ging es um die Sache, um einen Hilfsdienst, allenfalls auch gegen den Willen des Freundes.44

      3

       Der erste Prozess

      Tel Aviv, Familiengericht, Ben-Gurion-Boulevard 38, Ramat Gan, September 2007

      Was tätig zerstört werden soll, muß vorher ganz fest gehalten worden sein […].

      FRANZ KAFKA, »Zürauer Aphorismen«1

      Nachdem Eva Hoffe und ihre Schwester im September 2007 mit dem Testament ihrer Mutter einen Erbschein beantragt hatten, wurden sie unsanft aus ihrer Trauer gerissen.

      Nach Ester Hoffes Tod suchte Evas Schwester Ruth die nötigen Unterlagen zusammen und brachte sie persönlich zum Nachlassgericht in der Ha’Arbaa-Straße in Tel Aviv. Eva Hoffe bezweifelte, dass die Sache reibungslos über die Bühne gehen würde, denn das Testament ihrer Mutter gleiche einem »Buschfeuer in einer Dornenhecke«. Doch sie fügte sich ihrer älteren Schwester.

      Nach dem israelischen Erbschaftsgesetz von 1965 kann ein Testament nur vollstreckt werden, wenn das israelische Nachlassgericht dessen Gültigkeit bestätigt. Für den entsprechenden Antrag muss eine vom Antragsteller unterzeichnete, notariell beglaubigte eidesstattliche Erklärung eingereicht werden, außerdem die Sterbeurkunde, das Originaltestament und Angaben zu anderen Erben oder Nutznießern. (Israel erhebt keine Erbschaftsteuer.) Damit Widerspruch gegen das Testament möglich ist, wird der Antrag veröffentlicht, meist in Form einer Zeitungsanzeige. Das Amt reicht den Antrag in Kopie an das Justizministerium weiter, das nach eigenem Ermessen einschreiten kann, sofern ein öffentliches Interesse vorliegt. Die offizielle Bestätigung des Testaments ist rechtlich bindend wie ein Gerichtsurteil.

      »Mein [Kanzlei-]Partner ging eines Tages zufällig durch die Bibliothek, als ihm ein älterer Herr einen Stoß Unterlagen in die Hand drückte«, sagte Meir Heller, der Anwalt der Nationalbibliothek, gegenüber der Sunday Times. »Und in diesem Stoß befand sich Max Brods Testament. Wie mir beim Lesen gleich klar wurde, sollte Ester Hoffe die Papiere nach Brods Willen zu seinen Lebzeiten verwahren. Nach seinem Tod sollten sie an ein öffentliches Archiv gehen. Im Internet sah ich, dass die Gerichtsanhörung über die Bestätigung von Ester Hoffes Testament zwei Tage später stattfinden sollte.« Weniger als 48 Stunden darauf hatte Heller seinen dramatischen Auftritt. »Ich stürmte in das Gericht und rief: ›Halt! Es gibt noch ein anderes Testament – das Testament von Max Brod!‹«

      Das Familiengericht belegt mehrere Stockwerke eines grauen Bürogebäudes an der Hauptstraße der Stadt Ramat Gan in der Nähe von Tel Aviv. Der zurückgesetzte Eingang ist von rot gefliesten Säulen gerahmt. Rechts daneben saßen vor einem Kiosk Anwälte und ihre Klienten auf orangefarbenen Plastikstühlen bei Sandwich, Falafel oder Schakschuka. Eva Hoffe und ihre Schwester Ruth kamen an jenem Morgen im September 2007 allein; Ruth war davon ausgegangen, dass es keinen Anlass zur Sorge gebe und kein Anwalt nötig sei. Als Heller auftauchte, war das ein Schock für die beiden, plötzlich standen sie der eisernen Maschinerie des staatlichen Rechtsapparates gegenüber. »Das war ein Hinterhalt«, sagte Eva Hoffe. »Man hatte uns getäuscht.«

      Hellers Intervention führte dazu, dass der Staat Israel – vor dem Familiengericht vertreten durch den staatlichen Treuhänder (apotropos), die Nationalbibliothek und den gerichtlich bestellten Verwalter für Brods Nachlass – die Bestätigung des Testaments verweigerte und Ester Hoffes Testament anfocht. In den folgenden fünf Jahren, bis zum Urteil im Oktober 2012, wurde der Fall in einem engen Raum des Familiengerichts von Richterin Talia Kopelman Pardo verhandelt, die auf Erbrecht spezialisiert war.

      Heller argumentierte, Brod habe Ester Hoffe die Kafka-Papiere nicht als Nutznießerin überlassen, sondern als Nachlassverwalterin. Da ihr die Manuskripte nie gehört hätten, könne sie sie auch nicht an ihre Töchter Eva und Ruth vererben. Ester Hoffe habe Brods Letzten Willen missachtet, behauptete Heller, genauso, wie Brod Kafkas Letzten Willen missachtet habe.

      Nach Ester Hoffes Tod seien Kafkas Manuskripte wieder dem Brod-Nachlass zuzuordnen, der laut seinem Testament aus dem Jahr 1961 nun der Israelischen Nationalbibliothek nicht verkauft, sondern vermacht werden müsse, ohne dass den Hoffes dafür eine finanzielle Entschädigung zustehe. Brod habe in seinem Testament verfügt, dass Ester Hoffe seinen literarischen Nachlass nach ihrem Ermessen »der Bibliothek der Hebräischen Universität Jerusalem [mittlerweile die Israelische Nationalbibliothek] oder der Städtischen Bibliothek Tel Aviv oder einem anderen öffentlichen Archiv im Inland oder Ausland zur Aufbewahrung« übergeben solle.2 Die Nationalbibliothek brannte darauf, die Kafka-Sammlung in den großen Bestand der dort bereits befindlichen Papiere deutsch-jüdischer Schriftsteller einzureihen, unter ihnen auch Dichter aus dem Prager Kreis.

      Meir Heller präsentierte Richterin Kopelman Pardo die Aussage seiner wichtigsten Zeugin Margot Cohn. Cohn, 1922 im Elsass geboren, wurde mit der Tapferkeitsmedaille der französischen Fremdenlegion ausgezeichnet, weil sie im Holocaust über ein geheimes Netzwerk unter Leitung von Georges Garel jüdische Kinder gerettet hatte. Sie emigrierte 1952 nach Israel, war von 1958 bis zu dessem Tod 1965 Sekretärin des Philosophen Martin Buber und arbeitete anschließend als Archivarin seines Nachlasses in der Nationalbibliothek in Jerusalem.

      Cohn zufolge hatte Brod 1968 wenige Monate vor seinem Tod gemeinsam mit Ester Hoffe die Nationalbibliothek besucht. »Brod hatte zuvörderst die Absicht, das Archiv in der Jerusalemer Bibliothek unterzubringen, wo sich auch die Archive seiner besten Freunde befinden«, erklärte sie. »Aus meinem Gespräch mit Brod ging für mich eindeutig hervor, dass er schon beschlossen hatte, sein Archiv der Bibliothek zu übergeben. […] Bei seinem Besuch in der Abteilung sollten die fachlichen Details für die korrekte Übergabe des Archivs geklärt werden.« Später ergänzte Cohn im Gespräch mit dem israelischen Journalisten Zwi Harel: »Während seines Besuchs bei uns [in der Nationalbibliothek] wich Frau Hoffe keine Sekunde von seiner Seite. Ich versuchte Brod zu erklären, wie ich Bubers Archiv verwalte. Sie ließ Brod nicht zu Wort kommen.« Auf Harels Frage, warum Brod in seinem Testament verfügt habe, sein literarischer Nachlass solle an Ester Hoffe gehen, äußerte Cohn die Vermutung, es könne daran gelegen haben, dass Brod »Frauen gegenüber sehr schwach war. Das war seine Schwäche.«

      Nach Brods Tod hatte die Nationalbibliothek Verhandlungen mit Ester Hoffe aufgenommen. Im Gegenzug für die Übergabe des Brod-Nachlasses und der Kafka-Manuskripte wollte sie sich verpflichten, die Brod-Forschung finanziell zu unterstützen, 1984 eine Ausstellung zu Brods 100. Geburtstag zu zeigen und ein internationales Symposium zu seinem Werk auszurichten. Doch Hoffe blieb unkooperativ.

      In einem letzten Versuch schickte die Nationalbibliothek 1982 den Leiter der Manuskript- und Archivabteilung Mordechai Nadav und seine Assistentin Margot Cohn erneut zu Ester Hoffe. Sie besuchten sie in ihrer Erdgeschosswohnung in einem kastigen rosa Wohnblock in der Spinoza-Straße 20. »Wir betonten, wie wichtig es sei, Brods und Kafkas Manuskripte der Bibliothek zu überlassen«, erzählte Cohn. »Wir versprachen, sie würden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, damit das intellektuelle Wirken Brods und seiner Prager Freunde eine Fortsetzung finden konnte.«

      Cohn beschrieb vor Gericht die Unordnung in der Wohnung, die Ester Hoffe mit Eva teilte. »Mit Erstaunen sah ich, dass sich in der Wohnung Papiere und Aktenordner stapelten«, erzählte sie von dem Besuch 1982. »Auf fast jedem Stoß saß eine der vielen Katzen, die durch die Wohnung streiften. Man konnte sich nirgends hinsetzen, und wir bekamen kaum Luft. Ich hatte den Eindruck, dass Frau Hoffe nicht daran interessiert war, das Archiv der Bibliothek zu übergeben, und am Ende gab sie die Schriften auch nicht her […] und ließ Brods Wunsch unerfüllt.«

      Hier

Скачать книгу