Kafkas letzter Prozess. Benjamin Balint

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Kafkas letzter Prozess - Benjamin Balint страница 12

Автор:
Серия:
Издательство:
Kafkas letzter Prozess - Benjamin Balint

Скачать книгу

Land

      Festsaal im Hotel Central, Prag, 20. Januar 1909

      [Ich wäre], wenn schon nicht nach Palästina übersiedelt, doch mit dem Finger auf der Landkarte hingefahren.

      FRANZ KAFKA, 19181

      Der Theologe Martin Buber, Apostel eines neuen, geistig dynamischen Judentums, hielt einen Vortrag im Prager Hotel Central. Eingeladen hatte der zionistische Studentenverein Bar Kochba, der von Hugo Bergmann geleitet wurde. Bergmann hatte, ebenso wie Felix Weltsch und Hans Kohn, mit Kafka die erste bis zwölfte Klasse besucht.2 Für Buber, Herausgeber von beliebten Anthologien traditioneller chassidischer Erzählungen aus dem 18. Jahrhundert, war es der erste von drei Vorträgen (im Januar 1909 und im April und Dezember 1910) über die Wiederbelebung des Judentums.3 Es war nicht die erste Begegnung zwischen den Prager Zionisten und Buber, der Prag bereits 1903 anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Bar-Kochba-Vereins besucht hatte, wohl aber der bedeutsamste.

      Max Brod, damals 25, hatte in dem vollbesetzten Festsaal bereits dem Vorprogramm beigewohnt: Die sechzehnjährige Schauspielerin Lia Rosen rezitierte mit verführerischer Stimme Gedichte Hugo von Hofmannsthals (mit dem Rainer Maria Rilke sie im November 1907 in Wien bekannt gemacht hatte).4 Auch sang sie Richard Beer-Hofmanns »Schlaflied für Mirjam« mit den Zeilen:

      Was ich gewonnen, gräbt man mit mir ein.

      Keiner kann keinem ein Erbe hier sein.

      Als Buber die Bühne betrat, war Brod beeindruckt von der wachen Intelligenz, die in seinen Augen loderte. Ihn begeisterten die ausgefeilten Sätze zur jüdischen Selbstbestimmung, die wortgewaltigen Ausführungen über die geistige Erneuerung. »Warum nennen wir uns Juden?«, fragte Buber. »Weil wir es sind? Was bedeutet das, daß wir es sind?« Er frage nicht nach den »Formationen des äußeren Lebens, sondern nach der inneren Wirklichkeit«.5

      In seiner Autobiografie schrieb Brod, er habe bis dahin dem jüdischen Studentenverein als »Gast und Opponent« angehört, sei jedoch als Zionist aus Bubers Vorträgen herausgekommen. Zuvor habe er keinerlei jüdischen Selbsthass in sich gespürt, aber auch keinen besonderen jüdischen Stolz. Die Begegnung mit Buber veränderte Brods Haltung zum jüdischen Leben und in der Folge auch seine Haltung zu Kafka und zu Kafkas Literatur. Hier habe sein Kampf für, ja sein »Kampf um das Judentum« begonnen, wie der Titel eines seiner Bücher lautete. Bubers Vorträge spornten Brod an, etwas zu artikulieren, das er und viele andere deutschsprachigen Juden bis dahin nur vage gespürt hatten: Der Versuch, sich mit dem »deutschen Geist« zu identifizieren, war gescheitert. Diesem Scheitern folgte eine intensive Auseinandersetzung mit der »persönlichen Judenfrage«, wie Robert Weltsch es später formulierte. Brod sei von der fast ausschließlichen und bewussten Beschäftigung mit ästhetischen Aspekten zu einer vollständigen Identifizierung mit dem jüdischen Volk gelangt, so Weltsch.6

      Ausgangspunkt für diese Auseinandersetzung war das Gefühl der Fremde. »Der deutsche Jude im tschechischen Prag verkörperte sozusagen das Fremde und das bewusste Fremdsein«, schreibt Pavel Eisner. »Er war ein Volksfeind ohne eigenes Volk.«7 Einige Prager Juden entkamen dieser Fremdheit durch Flucht in die Ferne, weil sie hofften, dort ihren Schwebezustand zu überwinden: nach Wien (Franz Werfel), Berlin (Willy Haas) oder nach Amerika (wie die Eltern von Louis D. Brandeis). Manche wandten sich dem radikalen Sozialismus zu (so Egon Erwin Kisch) oder ließen sich christlich taufen. Einige Prager Juden – Gershom Scholem verspottete sie als Hatschi-Zionisten – betrieben eine Art Mode-Zionismus. Wieder andere, wie Max Brod, wandten sich dem Zionismus mit großer Ernsthaftigkeit zu.8

      Prags bekanntermaßen winzige zionistische Zirkel kreisten um den Studentenverein Bar Kochba, der nach dem Anführer des letzten Judenaufstands gegen die Römer benannt war. Wenn in einem bestimmten Café die Decke einbräche, so erzählte man sich scherzhaft, wäre die gesamte zionistische Bewegung Prags mit einem Schlag ausgelöscht. So klein die Bewegung zahlenmäßig auch gewesen sein mag, hatte sie mit ihrer Mischung aus Zionismus und Sozialismus dennoch eine solche Sogwirkung, dass die Zionisten nach 1918 sogar zwei Sitze im Prager Stadtrat eroberten. Brod erklärt das so:

      Dazu kam aber als fester Tatbestand etwas sehr Eigentümliches, Seltenes: das Faktum, daß sich als Anreger und Hauptorganisatoren der zionistischen Strömung junge Männer von einzigartiger Reinheit des Charakters und von intensivster Geistigkeit zusammengefunden hatten, eine Gruppe von leuchtender Vorbildlichkeit, wie ich sie in meinem weiteren Leben nie wieder angetroffen habe – nur eben im Prag jener stürmischen und erwartungsvollen Jahre. Der Studentenverein Bar-Kochba war die Kristallisationsmitte. […] Viele unter uns waren Sozialisten. Andere übten Buße und Umkehr in einsamen Zonen. Doch was uns alle einte, war die Überzeugung, daß unsere Arbeit durch persönliche Opfer und Taten, durch ein von Grund auf verändertes Leben jedes einzelnen geschehen müsse. Nicht durch Leitartikel, nicht durch Agitationsreden, sondern in stillem Bemühen, im engsten Kreise des Volkes. Also in erster Linie auf eine Versittlichung der erniedrigten, gelästerten, durch die Diaspora auch in der Tat vielfach verderbten jüdischen Gemeinschaft hinzielend – und daher auch universal-sittlich in der Tendenz, der ganzen Menschheit zum Heile gereichend, eine echte Brüderschaft, die zwischen den entsühnten Völkern zu stiften war. – Der jüdische Staat, den wir »drüben«, in Palästina, vorbereiteten, sollte auf Gerechtigkeit und selbstloser Liebe jedes einzelnen zu jedem einzelnen begründet sein und selbstverständlich unseren nächsten Nachbarn, den Arabern, Freundschaft und Hilfe bringen, Rettung aus ihrer demütigenden materiellen Not.9

      Vor 1909 hatte sich Brod nicht weiter für die zionistische Begeisterung des Bar-Kochba-Vereins interessiert. Bis 1905 hatte er nach eigener Aussage noch nie von Theodor Herzl gehört, dem Gründervater des politischen Zionismus; als er Herzls Porträt an der Wand von Hugo Bergmanns Wohnzimmer im Prager Vorort Podbaba zum ersten Mal sah, fragte er: »Wer ist denn das?«10

      Doch im Jahr 1909 begann er, der Bedeutung der jüdischen Identität und den damit einhergehenden moralischen Verpflichtungen auf den Grund zu gehen. Nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie und der Gründung der Tschechoslowakei im Jahr 1918 wurde Brod Ehrenmitglied (»Alter Herr«) des Bar-Kochba-Vereins und Zweiter Vorsitzender des Jüdischen Nationalrats. In der neu ausgerufenen Republik entwickelte er sich zu einem wichtigen Sprachrohr der tschechischen Juden und trug in Verhandlungen entscheidend zu den beträchtlichen Autonomiezugeständnissen Präsident Masaryks bei. Befeuert habe seinen selbstlosen Einsatz für den Zionismus, so Brod, ein Satz aus Kafkas Kurzgeschichte »Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse«:

      [A]ber das Volk, ruhig, ohne sichtbare Enttäuschung, herrisch, eine in sich ruhende Masse, die förmlich, auch wenn der Anschein dagegen spricht, Geschenke nur geben, niemals empfangen kann, auch von Josefine nicht, dieses Volk zieht weiter seines Weges.11

      Kafkas Erzähler zufolge ist Josefine »eine kleine Episode in der ewigen Geschichte unseres Volkes«. Und er fügt hinzu, dass das Volk der Mäuse »sich noch immer irgendwie selbst gerettet hat, sei es auch unter Opfern, über die der Geschichtsforscher […] vor Schrecken erstarrt«.

      Mit seiner Hinwendung zum Kulturzionismus wollte Brod nicht nur ein neues Verhältnis zum jüdischen Volk entwickeln. Er kritisierte auch, dass die neuen Nationalstaaten die kollektive Identität von Minderheiten aushöhlten. »Für mich«, schrieb er in der zionistischen Wochenzeitung Selbstwehr, »unterliegt es keinem Zweifel, dass ein ›Jüdisch-Nationaler‹ kein ›Nationaler‹ im heute üblichen Sinne des Wortes sein darf. Es ist die Sendung der jüdischen Nationalbewegung, des Zionismus, dem Worte ›Nation‹ einen neuen Sinn zu geben.«12 Die Erneuerung des Judentums – und die Wiederbelebung der hebräischen Sprache – könne nur gelingen, wenn sie im Land Israel verwurzelt sei. 1924 schrieb Brod an die in Prag geborene Schriftstellerin Auguste Hauschner: »Vor allem das eine: Der jüdische

Скачать книгу