Kafkas letzter Prozess. Benjamin Balint

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Kafkas letzter Prozess - Benjamin Balint

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Stach 2013 für seinen Band Kafka: Die frühen Jahre recherchierte, bat er nach eigener Aussage »Eva Hoffe in einem ausführlichen Brief, mir nur einige von Brods frühen Tagebüchern zu zeigen«. Sie lehnte ab. Eva Hoffe bestätigte mir das. »Ich erklärte ihm, dass mir die Hände gebunden seien«, sagte sie, »und dass ich die Schlüssel zu den Schließfächern nicht mehr hätte.«

      Meir Heller vermischte vor Gericht von Anfang an juristische Argumente und ideologische Erwägungen, unterstützt von einem Chor israelischer Beobachter, die Kafkas rechtmäßigen Platz in einer israelischen Einrichtung sahen. So erklärte der Kafka-Forscher Mark Gelber, Professor an der Ben-Gurion-Universität, gegenüber der New York Times, Kafkas »enges Verhältnis zum Zionismus und den Juden« untermauere den Anspruch, seine lange verschollenen Schriften in Israel zu belassen.

      Die Entscheidung, Ester Hoffes Testament anzufechten, machte Beobachter in Deutschland ebenso fassungslos wie Eva Hoffe. Das Deutsche Literaturarchiv in Marbach hatte mit ihr darüber verhandelt, den Brod-Nachlass einschließlich Kafkas Schriften zu erwerben. Das Literaturarchiv meldete sich als interessierte Partei beim Gericht und bekräftigte Eva Hoffes Anrecht auf die Manuskripte. Das Marbacher Literaturarchiv, das weltweit größte für moderne deutsche Literatur, ist für Deutschland mehr oder weniger, was die Nationalbibliothek für Israel darstellt. Finanziert wird es vom Land Baden-Württemberg, vom Bund und von Drittmitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (deren Gelder wiederum überwiegend vom Bund kommen).

      Anders als die Israelische Nationalbibliothek erhob Marbach keinen Anspruch auf die Manuskripte; man wollte lediglich das Recht erhalten, dafür zu bieten. Die Forderung Israels wirkte auf die Marbacher daher wie ein verzweifeltes, wenn auch cleveres Manöver. Wenn man dem Markt freien Lauf ließe, so argumentierten sie, würde Hoffe die Manuskripte nach Deutschland verkaufen.

      Als die Spannungen zunahmen, bestätigte der Direktor des Deutschen Literaturarchivs Ulrich Raulff Eva Hoffe brieflich, ihre Mutter Ester habe »mehrfach die Absicht geäußert, den Nachlass von Max Brod nach Marbach zu geben«. Raulff lobte die »modernsten Möglichkeiten der fachgerechten Lagerung und Verzeichnung« wie auch das Fachpersonal für Konservierung, Restaurierung, Entsäuerung und Digitalisierung und brachte seinen Wunsch zum Ausdruck, Kafkas Manuskripte in die Nachlässe der mehr als 1400 Schriftsteller im Marbacher Archiv einzureihen, die in speziellen Lagerräumen bei konstant 18 bis 19 Grad Celsius und einer relativen Luftfeuchtigkeit von 50 bis 55 Prozent aufbewahrt würden.7 Unter anderem lagerten dort das Helen und Kurt Wolff-Archiv mit den Nachlässen von mehr als zweihundert Schriftstellern und Gelehrten, die vom NS-Regime verfolgt worden und ins Exil gegangen waren.8 Raulff fügte hinzu, dass Marbach bereits die nach Oxford weltweit zweitgrößte Sammlung von Kafka-Manuskripten beherberge.9

      »Die Israelis sind anscheinend verrückt geworden«, kommentierte der Kafka-Experte Klaus Wagenbach (dessen Papiere ebenfalls in Marbach archiviert werden), als die Anfechtung von Ester Hoffes Testament bekannt wurde.10 Doch im Lauf der Verhandlung unter Richterin Kopelman Pardo rückte das Literaturarchiv von seiner konfrontativen Haltung ab und betonte, eine Schlacht um Kafka mit nur einem Sieger lasse sich durchaus vermeiden. Marcel Lepper, der damalige Leiter des Forschungsprogramms in Marbach, verwies darauf, dass das Deutsche Literaturarchiv im Jahr 2012, finanziell unterstützt vom Auswärtigen Amt, mit dem Franz Rosenzweig Minerva Research Center und der Hebräischen Universität Jerusalem ein Forschungsprojekt begonnen habe, bei dem es um die Bewahrung deutsch-jüdischer Sammlungen in israelischen Archiven gehe. »Kooperative, dezentrale Projekte sind im Kontext der deutschisraelischen Beziehungen besser mit der besonderen deutschen Verantwortung vereinbar.«11

      Eva Hoffe hatte dazu eine dezidierte Meinung. »Marbach traut sich nicht, den israelischen Behauptungen offen zu widersprechen«, wird sie im November 2009 in der Wochenzeitung Die Zeit zitiert. »Da ist immer noch ein schlechtes Gewissen wegen des Krieges und des Holocaust.«12 Mir gegenüber sagte sie, »Deutschland und Israel, die deutsche und die levantinische Kultur«, seien eben »einfach unvereinbar«.

      Das Archiv verpflichtete den israelischen Urheberrechtsexperten Sa’ar Plinner, die Marbacher Interessen im Fall Hoffe zu vertreten. Plinner legte dem Gericht eine Aussage des Archivleiters Ulrich von Bülow vor, der zufolge Brod in den 1960er Jahren das Archiv besucht und explizit den Wunsch geäußert habe, dass sein Nachlass nach Marbach gehen solle. Das Verfahren diene dem israelischen Staat lediglich als Vorwand, Privateigentum an sich zu reißen, so Plinner. Der ursprünglich private Austausch zwischen Kafka und Brod sei zunächst in Brods Besitz übergegangen, dann in den weiteren Kreis der Familie Hoffe, und nun falle er womöglich sogar an den Staat.

      In einer späteren Verhandlung verwies Plinner erneut auf die persönliche Beziehung, die am Beginn dieses Falls stehe: die Freundschaft zwischen Kafka und Brod. Das Gericht möge doch bitte unterscheiden zwischen den Manuskripten, die Kafka Brod geschenkt, und denen, die Brod nach Kafkas Tod aus dessen Schreibtisch geholt hatte. Letztere, so Plinner, gehörten rechtmäßig weder der Familie Hoffe noch der Nationalbibliothek, sondern höchstens Kafkas einzigem lebenden Erben, Michael Steiner in London.

      Doch auch Brods Anrecht auf die Geschenke, die er direkt von Kafka erhielt, ist durchaus umstritten. Kafka-Biograf Reiner Stach etwa schreibt, dass Brod zwar behauptete, Kafka habe ihm mehrere unvollendete Manuskripte geschenkt, doch tatsächlich habe Kafka sie Brod nur als eine Art »Dauerleihgabe« überlassen und ihn später ausdrücklich darum gebeten, sie zu verbrennen. Wegen seiner Verdienste um Kafkas literarisches Vermächtnis stellte allerdings kaum jemand Brods Behauptung infrage. Michael Steiner schrieb mir dazu:

      Den Kafka Estate interessierte in dieser Angelegenheit, ob Franz Kafka einige der Manuskripte, um die es in der Streitsache ging, Max Brod womöglich nie geschenkt hat und sie daher zum Kafka-Nachlass gehören. Wir brauchten viele Jahre, um eine Inventarliste zu bekommen, und da diese Liste nicht von einem Wissenschaftler erstellt worden war, bleiben bis heute Zweifel, ob bestimmte Manuskripte je als Schenkung an Brod gingen. Sämtliche Richter haben über die Jahre betont, dass sie sich mit dieser Frage nicht befasst hätten, sondern nur damit, wer der rechtmäßige Eigentümer der Manuskripte war, die laut Brods Letztem Willen ihm gehörten oder ihm zu Lebzeiten möglicherweise geschenkt worden waren.13

      Die Auseinandersetzungen vor Richterin Kopelman Pardo fanden auch außerhalb des Gerichtssaals Widerhall. Im Januar 2010 bezog Reiner Stach im Berliner Tagesspiegel Stellung:

      Marbach wäre sicher der richtige Ort für den Brod-Nachlass, weil man dort die Wissenschaftler und die Erfahrung hat im Umgang mit Kafka, Brod und der deutsch-jüdischen Literaturgeschichte. Dass die Hoffe-Töchter mit Marbach jetzt ernsthaft verhandeln, hat im Israelischen Nationalarchiv [sic] irgendwelche Ressentiments oder Begehrlichkeiten geweckt. Dort jedoch fehlen für diese deutschsprachigen Texte aus dem einstigen Kulturraum zwischen Wien, Prag und Berlin die sprach- und milieukundigen Leute. Brod hatte ja schon als junger Mann zahllose Kontakte geknüpft, zu Heinrich Mann, zu Rilke, Schnitzler, Karl Kraus, Wedekind oder zu Komponisten wie Janacek [sic], und er besprach diese Korrespondenzen mit Kafka. Aber das war Jahrzehnte, ehe er nach Palästina kam – hier von israelischem Kulturgut zu sprechen, erscheint mir ganz abwegig. In Israel gibt es heute weder eine Kafka-Gesamtausgabe noch eine einzige Straße, die nach Kafka benannt wäre. Und suchen Sie Brod auf Hebräisch, müssen Sie ins Antiquariat gehen.14

      Tatsächlich begann Mordechai Nadav erst 1966 mit dem Aufbau der Archivabteilung der Nationalbibliothek, als die literarischen Nachlässe von Martin Buber und dem israelischen Nobelpreisträger S. J. Agnon an die Bibliothek gingen. Und erst 2007 richtete sie eine gesonderte Abteilung für Handschriften und Nachlässe ein.15 Doch einige Israelis wehren sich gegen die Behauptung, Israel mangele es an Wissen und Ressourcen für die Aufbewahrung von Brods Manuskripten. Professor Otto Dov Kulka erklärte gegenüber der israelischen Zeitung Ha’aretz: »Als gebürtiger Prager, der an der Hebräischen Universität mit israelischen und ausländischen Kollegen die jüdische Kultur und Geschichte sämtlicher Epochen erforscht

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