Kafkas letzter Prozess. Benjamin Balint

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Kafkas letzter Prozess - Benjamin Balint

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können, weil ihre Katzen nicht in das Zimmer ihrer Mutter durften, wo die Papiere aufbewahrt wurden.

      In einer Gerichtsverhandlung im Februar 2011 unter Vorsitz von Richterin Kopelman Pardo nahm Hoffes Anwalt Margot Cohn ins Kreuzverhör. Er fragte, ob sie sich an die Farbe des Bücherregals in der Wohnung der Hoffes in der Spinoza-Straße erinnern könne.

      »Nein.«

      Wenn sie sich nicht an die Farbe des Bücherregals erinnere, hakte er nach, warum könne sie sich dann so lebhaft an die Unordnung und die Katzen erinnern?

      Ein Regal, erwiderte sie, »ist unter Jeckes [Juden deutscher Herkunft] normal und fiel mir nicht weiter auf. Aber Katzen und stapelweise Papier fand ich ungewöhnlich.«

      Einen Monat später wurde Cohn erneut vorgeladen, um sich zu der Frage zu äußern, ob Brod seine Kafka-Manuskripte an Hoffe übergeben habe.

      Cohn: »Dass er ihr Geschenke machte, wusste ich. Das war kein Geheimnis.«

      Richterin Kopelman Pardo: »Er machte ihr Geschenke?«

      Cohn: »Er schenkte ihr Bücher, Manuskripte.«

      Schmulik Cassouto, gerichtlich bestellter Verwalter für Ester Hoffes Nachlass, hielt dagegen, Margot Cohn hätte damals eine gerichtliche Anordnung für die Herausgabe der für die Bibliothek vorgesehenen Materialien erwirken können, wenn sich die Nationalbibliothek wirklich als Erbe der vernachlässigten Manuskriptstapel betrachtet hätte. Er rief dem Gericht zudem in Erinnerung, dass sich Cohn, die Brod nur einmal begegnet war, wohl kaum in der Position befand, etwas über seine Wünsche auszusagen. Man habe Cohn unbeabsichtigt »in eine unangenehme Lage gebracht, indem man sie als (ungeeignetes) Werkzeug für die Revision von Dr. Brods Testament missbrauchte«, so Cassouto. »Es gibt ein neues Deutschland, und Max Brod gehörte zu den Ersten, die das erkannten«, so der Anwalt. »Es gibt in der Tat ein neues Deutschland«, erwiderte Cohn mit einer gewissen Schärfe, »aber das heißt nicht, dass Brod erwogen hätte, sein Archiv dort unterzubringen.«

      Im Juni 1983 waren die langwierigen Gespräche zwischen Ester Hoffe und der Nationalbibliothek endgültig gescheitert. Der deutsche Literaturwissenschaftler Paul Raabe, ehemaliger Bibliotheksdirektor des Marbacher Literaturarchivs und Leiter der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, der Brod persönlich gekannt hatte, schrieb damals verärgert an Ester Hoffe:

      Es scheint wohl so zu sein, wie ich befürchtete: Sie können sich nicht entschließen, für Max Brod das zu tun, was nicht nur seine Freunde erwarten, sondern was Ihnen auch selbstverständlich sein sollte.

      Wenn es jetzt nicht zu einem Abkommen mit der Nationalbibliothek über den Nachlaß von Max Brod kommt, wird sein hundertster Geburtstag vorbeigehen, und damit werden Sie Max Brod den schlechtesten Dienst erweisen, dem [sic] Sie diesem gütigen Menschen erweisen können. So sehr ich verstehe, daß Sie tausend Zweifel und Bedenken haben, so möchte ich Ihnen doch sagen, daß Sie diese im Interesse Max Brods zurückstellen müssen. […]

      Es hat uns [Raabe und seine Frau] sehr bewegt, Sie in Tel-Aviv wiederzusehen. Ich habe auch Ihre Hilflosigkeit gefühlt, ich hatte Ihnen deshalb spontan meine Dienste angeboten. […] Wie gerne hätte ich mit Ihnen wieder zusammengearbeitet, und wie gern hätte ich Ihnen bei all Ihren Problemen zur Seite gestanden. Aber wenn Sie alle Welt verärgern, werden Sie in Kürze ganz allein dastehen. Das ist nicht nur für Sie schlimm, sondern auch für das Andenken an Max Brod und an Kafka katastrophal.

      Es tut mir leid, daß ich Ihnen so offen schreibe und schreiben muß, doch sie sollten meine Enttäuschung wissen, da ich zu Max Brods Verehrern gehöre und wir, liebe Frau Hoffe, immer in einer engen persönlichen Beziehung gestanden haben.

      In einem zweiten Brief fügte Raabe etwas später hinzu:

      Nun sehe ich, daß die Verhandlungen gescheitert sind, und ich möchte Ihnen nur sagen, daß ich darüber sehr traurig bin. Sie haben damit wohl die letzte Gelegenheit vertan, zu Ihren Lebzeiten die Papiere von Max Brod so unterzubringen, wie er es sich sicherlich in seinem Leben gewünscht hat, aber ja leider in seinem Testament nicht eindeutig verfügte. Nun werden auch diese Papiere eines Tages sowie die Papiere von Franz Kafka zum Spielball persönlicher Interessen, und dies hat Ihr guter Max Brod nicht verdient.3

      Es sei durchaus keine Seltenheit, schrieb Henry James 1914 an seinen Neffen, dass der Verwalter eines literarischen Nachlasses dessen Nutzung ganz und gar vereitele. In Raabes Augen hatte auch Ester Hoffe ihre Pflicht als Hüterin des Andenkens und der Arbeit von Max Brod verletzt. Wie T. S. Eliots Witwe Valerie, die vor ihrer Heirat acht Jahre lang Sekretärin des Dichters gewesen war, und wie Ted Hughes, Nachlassverwalter für das literarische Werk von Sylvia Plath nach ihrem Selbstmord 1963, hatte auch Ester Hoffe ihr Vetorecht missbraucht und Biografen und Forscher abgewimmelt. Aus lauter Besitzgier und Eifersucht drohte sie genau das Andenken zu beschädigen, dessen Schutz ihr anvertraut worden war. So zumindest sah es Raabe.

      Aber stimmte das auch? Behinderte Ester Hoffe in ihrer Habsucht die Forschung? Eva Hoffe betont, dass ihre Mutter Ende der siebziger und in den achtziger Jahren angesehenen Kafka-Forschern sehr wohl erlaubt habe, die Papiere einzusehen. »Dass wir Forschern den Zugang zu dem Material verweigert haben, ist eine Lüge«, sagte sie im Gespräch mit mir. Es ist wahr, dass Ester Hoffe dem Patriarchen des Suhrkamp Verlags, Siegfried Unseld, das Manuskript von Kafkas »Beschreibung eines Kampfes« verkaufte.4 Auch übertrug sie dem S. Fischer Verlag das Recht, Fotokopien von Der Prozess, Kafkas Briefen an Brod und den Reisetagebüchern Kafkas und Brods für die Kritische Ausgabe zu verwenden, an der Malcolm Pasley von der Universität Oxford damals arbeitete. Für diese Rechte erhielt Ester Hoffe 100.000 Schweizer Franken und aus der Startauflage fünf Exemplare jedes Bandes. Sie muss auch den deutschen Herausgebern von Walter Benjamins Gesammelten Werken Einblick gewährt haben; die Originale einiger Briefe Benjamins an Brod, die dort abgedruckt sind, wurden später in Ester Hoffes Nachlass gefunden.

      Wie vor ihm Raabe äußert auch Reiner Stach in seiner maßgeblichen dreibändigen Kafka-Biografie seinen Missmut: »Diese unbefriedigende Situation würde sich zweifellos entscheidend bessern, wenn mit dem Nachlass des langjährigen Freundes Max Brod eine literaturhistorisch erstrangige und keineswegs nur im Zusammenhang mit Kafka bedeutsame Quelle endlich der Forschung zugänglich würde.«5 Ich bat Stach, dies näher zu erläutern.

      In den 1970er Jahren machte Ester Hoffe die Papiere in ihrer Wohnung einigen Forschern zugänglich, unter ihnen Margarita Pazi [die sich mit deutsch-jüdischer Literatur und auch mit Brod befasste] und Paul Raabe; sie erhielten aber nicht die Gelegenheit, »systematisch« damit zu arbeiten. Deshalb zitierten sie in ihren Aufsätzen und Büchern auch nie daraus. Die einzige Ausnahme war (soweit ich weiß) Joachim Unseld [Siegfried Unselds Sohn]: Er kaufte ein Kafka-Manuskript und erhielt anschließend die Erlaubnis, einige Briefe Max Brods zu kopieren.

      Malcolm Pasley erhielt Zugang zu den Safes, weil der S. Fischer Verlag viel Geld für Kopien der Kafka-Manuskripte zahlte, die er für die Kritische Ausgabe brauchte. Er erhielt keinen Zugang zu den Papieren in der Wohnung, obwohl das für den Kommentar sehr wichtig gewesen wäre.

      Hans-Gerd Koch, der seit etwa 1990 am Kommentar arbeitet, erhielt nie Einsicht in die Papiere in der Wohnung, obwohl es auch für ihn und die Ausgabe sehr wichtig gewesen wäre.6

      Aus eben diesem Grund schrieb Stach den chronologisch ersten Band über Kafkas frühe Jahre als letzten. Seine amerikanische Übersetzerin Shelley Frisch erklärt in ihrem Vorwort zur englischen Ausgabe:

      Diese Reihenfolge, die auf den ersten Blick abwegig, ja geradezu »kafkaesk« anmutet, wurde von der gerichtlichen Auseinandersetzung um Max Brods literarischen Nachlass in Israel erzwungen; in dieser Zeit erhielten Forscher keinen Einblick

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