Kafkas letzter Prozess. Benjamin Balint

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Kafkas letzter Prozess - Benjamin Balint

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Unterlage schaffen.«13

      Der mit dem Zerfall der Habsburger Dynastie aufkommende Nationalismus gab Brods Mission eine neue Dringlichkeit. »Der Jude, der es mit dem nationalen Problem ernst meint, bewegt sich heute in folgendem Paradox«, so Brod. »Er muß den Nationalismus bekämpfen zu Gunsten einer allmenschlichen Verbrüderung […] und er muß zugleich mitten in der jungen jüdischen Nationalbewegung stehen.«14

      Während des Ersten Weltkriegs gab Brod Kurse zur Weltliteratur für junge Jüdinnen, die vor dem Krieg aus Osteuropa geflohen waren. Die Tätigkeit sei sein »einziger Trost in dieser entgeistigten Zeit«, schreibt er 1916 in der ersten Ausgabe der Zeitschrift Der Jude. »Eine bezaubernde Frische und Naivität geht von den Mädchen aus. Und dennoch sind sie durchaus geistig«, urteilte er. Einen Monat später verglich er in einem weiteren Aufsatz seine Studentinnen mit den oberflächlicheren »Westjüdinnen« und kam zu dem Schluss, »daß die galizischen Mädchen in ihrer Gesamtheit um so viel frischer und im Geiste wesenhafter, gesünder sind als unsere Mädchen«.15

      Die wachsende Bedeutung des Judentums in seinem Leben rechtfertigte Brod 1921 in seiner Abhandlung Heidentum, Christentum, Judentum. In seinem Opus – ob nun magnum oder nicht – unterscheidet er zwischen drei Haltungen zum Diesseits: die Diesseitsbejahung (Heidentum), die Ablehnung der sündigen Welt zugunsten des »Jenseits« (das Christentum mit dem Grundsatz »Mein Reich ist nicht von dieser Welt«) und schließlich die Überzeugung, dass diese unvollkommene Welt Erlösung finden kann (Judentum). Diese dritte Haltung bezeichnet Brod als »Diesseitswunder«. Robert Weltsch resümiert später, für Max Brod sei »das Heidentum die Religion des Diesseits, des menschlichen Lebens in dieser Welt, das alles ignoriert, was die sinnliche Erfahrung übersteigt. Das Christentum ist die Religion des Jenseits. Das Judentum […] ist die Religion, die beide Welten berücksichtigt und an die Gleichzeitigkeit von Gnade und Freiheit glaubt.«16

      Brod, den Sinnlichkeit und Spiritualität gleichermaßen anzogen, wählte das Judentum. Und diese Wahl umfasste auch den Zionismus. »Der Zionismus baut der jüdischen Religiosität ihren Körper, den sie verloren hatte«, schrieb Brod auf den letzten Seiten von Heidentum, Christentum, Judentum. Der Zionismus bot ihm einen Rückzugsort vor dem Neuheidentum, das Europa zu verschlingen drohte – »der Triumph der heidnischen Bestie« –, und sollte ihm später das Leben retten.17

      Am 13. August 1912 kam Kafka eine Stunde später als verabredet in Brods Wohnung in der Skořepka-Straße. Brod wollte für seine erste Veröffentlichung Betrachtungen die endgültige Reihenfolge der Texte mit ihm besprechen. Kaum hatte Kafka die Wohnung betreten, fiel sein Blick auf eine Vierundzwanzigjährige, eine entfernte Verwandte Brods, die bei ihm am Tisch saß. »Freier Hals. Übergeworfene Bluse«, notierte er in sein Tagebuch. »Sah ganz häuslich angezogen aus, trotzdem sie es, wie sich später zeigte, gar nicht war. (Ich entfremde ihr ein wenig dadurch, daß ich ihr so nahe an den Leib gehe. […]) Fast zerbrochene Nase. Blondes, etwas steifes reizloses Haar, starkes Kinn. Während ich mich setzte, sah ich sie zum erstenmal genauer an, als ich saß, hatte ich schon ein unerschütterliches Urteil.«18

      Die beiden kamen ins Gespräch, und die junge Frau erzählte, sie arbeite in der Berliner Firma Carl Lindström AG, deren neuartiges Diktiergerät sie vermarktete. Außerdem erwähnte sie, dass sie Hebräisch lerne. »Nun hatte sich also auch herausgestellt, daß Sie Zionistin wären und das war mir sehr recht«, schrieb ihr Kafka später.19 Er war so frei, für den folgenden Sommer eine gemeinsame Palästinareise vorzuschlagen. Sie willigte ein und gab ihm die Hand darauf. In der Jackentasche hatte Kafka an jenem Abend die August-Ausgabe der Zeitschrift Palästina, die in deutscher Übersetzung einen Aufsatz des Kulturzionisten Achad Ha’am über seinen jüngsten Besuch in Palästina enthielt. Kafka notierte die Berliner Adresse der jungen Frau auf der Titelseite, ehe er sie in ihr Hotel Zum blauen Stern begleitete (dasselbe, in dem Bismarck 1866 den Friedensvertrag zwischen dem Königreich Preußen und dem Kaisertum Österreich unterzeichnet hatte).

      Felice Bauer ist die Frau, die Kafka nie heiraten wird. In Hunderten von stürmischen Briefen (Kafka zitierte in Briefen an Brod manchmal aus seiner Korrespondenz mit Felice und umgekehrt) wirbt Kafka in den folgenden fünf Jahren um Felices Liebe, die ihn dann aber dermaßen erdrückt, dass er sich zurückzieht. Er liebt sie und er flieht sie. Getrennt durch eine sechsstündige Zugfahrt zwischen Prag und Berlin, verloben sich die beiden zweimal und trennen sich zweimal.

      Kafkas ambivalente Haltung zum Zionismus lässt sich als Subtext seiner Ambivalenz gegenüber Felice – und anderen Frauen, die er aus der Distanz liebt – lesen; als seien Zionismus und Ehe für ihn, der an einer lähmenden »Wir-Schwäche« litt, zwei Aspekte eines Gedankens, zwei Ausdrucksformen des »Wir«. Als hätte er diesen Subtext gespürt, schenkte Brod Kafka und Felice Bauer anlässlich ihrer ersten Verlobung Richard Lichtheims Buch Das Programm des Zionismus (1911).20 Doch Kafkas Ambivalenz verstärkte sich mit der Zeit nur. In einem Brief an Felices gute Freundin Grete Bloch gestand er 1914, »ich bewundere den Zionismus und ekle mich vor ihm«.21

      Kafka setzte nie einen Fuß auf palästinensischen Boden, doch in seinem ersten Brief an Felice, drei Wochen nach ihrer ersten Begegnung in Brods Wohnung, griff er für seinen Annäherungsversuch auf die Palästina-Fantasie zurück:

      Für den leicht möglichen Fall, daß Sie sich meiner auch im geringsten nicht mehr erinnern können, stelle ich mich noch einmal vor: Ich heiße Franz Kafka und bin der Mensch, der Sie zum erstenmal am Abend beim Herrn Direktor Brod in Prag begrüßte, Ihnen dann über den Tisch Photographien von einer Thaliareise, eine nach der andern, reichte und der schließlich in dieser Hand, mit der er jetzt die Tasten schlägt, Ihre Hand hielt, mit der Sie das Versprechen bekräftigten, im nächsten Jahr eine Palästinareise mit ihm machen zu wollen.22

      Dieses Versprechen setzte in Kafka etwas frei. In der Nacht zum Jom-Kippur-Fest, zwei Tage nach dem Brief an Felice, schrieb er in einem ekstatischen Lauf von zehn Uhr abends bis sechs Uhr morgens die Erzählung »Das Urteil«, die den eigentlichen Beginn seines Schriftstellerdaseins markiert. Er widmete die Erzählung Felice.

      Für Kafka sei Palästina »das bildliche Anderswo, wo Liebende hingehen, eine offene Zukunft, der Name für ein unbekanntes Ziel«, so Judith Butler, Professorin an der University of California in Berkeley. In ihrer Korrespondenz setzte Kafka Felice innerlich mit diesem Anderswo gleich. Im Februar 1913 schrieb er ihr, er habe zufällig einen Bekannten getroffen, einen jungen Zionisten, der ihn zu einer wichtigen zionistischen Zusammenkunft einlud. »[M]eine Gleichgültigkeit hinsichtlich seiner Person und jeden Zionismus war in dem Augenblick grenzenlos und unausdrückbar, aber ich fand […] keine gesellschaftlich durchführbare Möglichkeit des Abschieds […] und bot mich nur aus diesem Grunde an, ihn zu begleiten und begleitete ihn tatsächlich bis zur Tür jenes Kaffeehauses«, schrieb er. »Hineinziehen ließ ich mich aber nicht mehr«. Es war, als verharre Kafka in seinem Verhältnis zu Felice wie auch zum jüdischen Nationalbestreben – und zu seinem eigenen Schreiben – auf der Schwelle zur Vollendung.23

      Besonders drastisch kommt dies in Kafkas später, nicht abgeschlossener Erzählung »Der Bau« zum Ausdruck (der Titel stammt von Brod), die er im Winter 1923 verfasste. Darin widmet ein einsames dachsähnliches Tier sein Leben dem Bau einer ausgeklügelten unterirdischen Festung, mit der es sich vollständig identifiziert: »[D]ie Empfindlichkeit des Baues hat mich empfindlich gemacht«, erklärt das Tier.24 Doch es bewohnt sein gut geschütztes Refugium gar nicht, sondern hält draußen vor dem Bau Wache:

      Es ging so weit, daß ich manchmal den kindischen Wunsch bekam überhaupt nicht mehr in den Bau zurückzukehren sondern hier in der Nähe des Eingangs mich einzurichten, mein Leben in der Beobachtung des Eingangs zu verbringen und immerfort mir vor Augen zu halten und darin mein Glück zu finden, wie fest mich der Bau, wäre ich darin, zu sichern imstande wäre.25

      Nachdem er seine

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