Kafkas letzter Prozess. Benjamin Balint

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Kafkas letzter Prozess - Benjamin Balint

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      In Kafkas unmittelbarer Umgebung probten 1922 Studenten der Deutschen Universität in Prag den Aufstand, als sie ihre Diplome von einem jüdischen Rektor entgegennehmen sollten. Im gleichen Jahr scheiterte Kafka an dem Versuch, eine Rezension der antisemitischen Schrift Secessio Judaica zu verfassen, deren Autor Hans Blüher die »jüdische Mimikry« verurteilte und empfahl, Juden von Deutschen abzusondern.37 Kafka beobachtete den fanatischen Hass und gab sich keinen Illusionen hin. Als etwa der deutsche Außenminister Walther Rathenau, ein Jude, 1922 ermordet wurde, kommentierte Kafka in einem Brief an Brod: »Unbegreiflich, daß man ihn so lange leben ließ«.38

      Während Kafka also den aufwallenden Antisemitismus wachsam beobachtete, führte er mit Bergmann und Brod einen ständigen Dialog über die prekäre Stellung der Juden in Europa. Im Jahr 1920 las er Brods Studie Sozialismus im Zionismus. Anders als seine beiden Freunde suchte Kafka die Lösung dieser Problematik allerdings nicht in der zionistischen Ideologie. »Die ganzen Nachmittage bin ich jetzt auf den Gassen und bade im Judenhaß«, schrieb der sechsunddreißigjährige Kafka während eines Pogroms im April 1920 in Prag. »›Prašivé plemeno‹ [räudige Brut] habe ich jetzt einmal die Juden nennen hören. Ist es nicht das Selbstverständliche, daß man von dort weggeht, wo man so gehaßt wird (Zionismus oder Volksgefühl ist dafür gar nicht nötig)? Das Heldentum, das darin besteht doch zu bleiben, ist jenes der Schaben, die auch nicht aus dem Badezimmer auszurotten sind.«39

      Im September 1916 schrieb Kafka auf einer Postkarte an Felice vom »dunklen Komplex des allgemeinen Judentums, der so vielerlei Undurchdringliches enthält«. Um dieses Undurchdringliche doch zu durchdringen und die Grammatik zu verstehen, in der es formuliert wird, begann Kafka im Jahr 1917 ernsthaft, Hebräisch zu lernen. Wer das jüdische Volk kennenlernen wolle, so hatte auch Hugo Bergmann schon 1904 erklärt, müsse zuallererst seine Sprache lernen.40

      Für seine Hebräischstudien verwendete Kafka ein damals beliebtes Lehrbuch von Moses Rath; außerdem nahm er Konversationsstunden bei seinen Freunden Friedrich Thieberger und Georg (Jiří) Mordechai Langer.41 Langer hatte Kafka 1915 über den gemeinsamen Freund Max Brod kennengelernt. Der homosexuelle Langer hatte im Alter von 19 Jahren seine Familie und damit die Bourgeoisie verlassen und sich einem chassidischen Rebbe angeschlossen. Er verfasste das Buch Die Erotik der Kabbala (1923), das Brod herausgab (und begeistert rezensierte). 1929 schrieb er auf Hebräisch eine Elegie für Kafka. 1941, zwei Jahre vor seinem frühzeitigen Tod, beschrieb Langer, der in der Nähe Brods in Tel Aviv wohnte, die Freude seines Schülers Kafka an der hebräischen Sprache:

      Ja. Kafka sprach Ivrith. In seinen letzten Jahren haben wir die ganze Zeit Ivrith gesprochen. Er, der immer wieder beteuerte, er sei kein Zionist, hat unsere Sprache in erwachsenem Alter und mit großem Fleiß gelernt. Und anders als die Prager Zionisten, sprach er fließend Hebräisch, was ihm eine besondere Befriedigung bereitete, und ich glaube, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, daß er insgeheim stolz darauf war.

      Zum Beispiel einmal, als wir in der Straßenbahn fuhren und uns über die Flugzeuge unterhielten, die in diesem Moment über uns am Himmel Prags kreisten, da fragten uns die Tschechen, die mit uns fuhren, als sie die Klänge unserer Sprache hörten, die sie wohl als wohlklingend empfanden, was für eine Sprache wir denn sprechen würden. Und als wir ihnen antworteten, welche Sprache das sei und worüber wir gerade geredet hätten, staunten sie sehr, daß man auf Ivrith sogar über Flugzeuge sprechen könne. […] Wie sehr leuchtete da Kafkas Gesicht vor Freude und Stolz!

      »Kafka war kein Zionist«, fügte Langer hinzu, »aber er beneidete zutiefst jene, die den großen Grundsatz des Zionismus selbst verwirklichten, was schlicht bedeutet, nach Erez Israel einzuwandern. Er war kein Zionist, aber alles, was in unserem Land passierte, bewegte ihn sehr.«42

      Im Jahr 1918 schlug Kafka Brod vor, auf Hebräisch zu korrespondieren. Auch Brod hatte sporadisch versucht, die Sprache zu erlernen. In seiner Autobiografie schreibt er später: »Als braver Zionist habe ich im Ausland immer wieder angefangen, Hebräisch zu lernen. Jahr für Jahr. Immer von vorn. Ich bin aber immer wieder steckengeblieben, bin nur bis zum Hifil gekommen.«43 (Der »Hifil« ist die kausative Verbform im Hebräischen.) Sein Lyrikband Das gelobte Land aus dem Jahr 1917 enthält auch ein Gedicht mit dem Titel »Hebräische Lektion«. Es beginnt mit den Versen:

      Dreißig Jahre alt bin ich geworden,

      Eh ich begann, die Sprache meines Volks zu lernen.

      Da war es mir, als sei ich dreißig Jahre taub gewesen.44

      Kafka habe die Sprache mit »besonderem Eifer« gelernt, so Brod, und »schließlich hat er mich durch Vertiefung in die hebräische Sprache auch auf diesem Gebiet weit überholt«.45

      Trotz seines schlechten Gesundheitszustands nahm Kafka im Herbst 1922 zweimal wöchentlich Hebräischunterricht bei einer neunzehnjährigen Studentin aus Jerusalem. Puah Ben-Tovim – »die kleine Palästinenserin«, wie er sie nannte – wohnte in Prag bei Hugo Bergmanns Mutter zur Untermiete.46 Puahs Eltern waren in den 1880er Jahren mit der Immigrantenwelle aus Russland nach Palästina gekommen. Zehn Jahre lang hatte sie ihrem Vater, einem renommierten Hebraisten, geholfen, den Schülern der ersten Blindenschule Jerusalems vorzulesen. Nach dem Ersten Weltkrieg besuchte sie die erste Abschlussklasse des Hebräischen Gymnasiums in Jerusalem. Noch als Schülerin half sie in ihrer Freizeit Hugo Bergmann in der Nationalbibliothek bei der Katalogisierung der deutschen Bücher.

      »Manchmal hatte er während einer Stunde einen schmerzhaften Hustenanfall, so daß ich den Unterricht abbrechen wollte«, erzählte Puah Ben-Tovim später. »Dann schaute er mich an, er konnte nicht sprechen, flehte mich aber mit seinen großen dunklen Augen an, zu bleiben und ihm noch ein Wort zu sagen, und dann noch eins und noch eins. Es war beinahe so, als ob er sich von dem Unterricht eine Art Wunderheilung erwartete.«47

      Mit Puahs Hilfe füllte Kafka in einer geschwungenen kindlichen Schrift Vokabelhefte mit hebräischen Wörtern und ihren deutschen Entsprechungen: faschistische Bewegung, Tuberkulose, Heiligkeit, Sieg, Genie. Er hielt auch hebräische Redewendungen fest. (Ich konnte mir in der Nationalbibliothek in Jerusalem ein 18 Seiten starkes Heft ansehen, dem früheren Direktor des Handschriften- und Archivabteilung Raphael Weiser zufolge ein Geschenk der Familie Schocken.)

      »Er fühlte sich unstreitig von mir angezogen, aber eher von einem Ideal als von dem realen Mädchen, das ich war, und zwar von dem Bild des fernen Jerusalem, über das er mich unentwegt ausfragte und wohin er mich bei meiner Rückkehr begleiten wollte. Er hing an mir, weil ich der erste ›hebräisch sprechende Vogel‹ war, der aus Palästina kam, weil ich eine Vertreterin jener Juden war, die nicht in Angst vor Pogromen und Demütigungen leben mußten. […] Der Wunsch, mit mir nach Jerusalem zurückzukehren, bestand trotz der Schwere seines Leidens noch immer«, so Puah Ben-Tovim. »Mir wurde schnell klar, daß er sich emotionell in der Lage eines Ertrinkenden befand, der wild um sich schlägt und sich an alles festklammert, was in seine Nähe kommt.«48

      Doch Kafka, für den das Fremdsein an der Wurzel seines Schaffens stand, entzog sich allen Angeboten einer kollektiven Zugehörigkeit. »Zum Zionismus hingezogen fühlte er sich wegen seiner Sehnsucht nach Zugehörigkeit und nach Selbstsicherheit, die mit einer solchen Zugehörigkeit einhergeht«, so Vivian Liska, Professorin für deutsche Literatur und Direktorin des Instituts für Jüdische Studien an der Universität Antwerpen. »Doch seine Angst vor der Auflösung des Ich in der Gruppe verhinderte, dass er sich vollständig an sie band.« Der Kafka-Experte Hans Dieter Zimmermann formuliert knapp und deutlich, Kafka sei jedenfalls »nicht Zionist« gewesen, sondern »›zügelloser‹ Individualist, wie er einmal schreibt.«49

      Im Jahr 1922 schlug Brod Kafka vor, als Redakteur der zionistischen Monatszeitschrift Der Jude anzufangen, die Martin Buber herausgab

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