Die exzentrische Lebensgeschichte des Künstlers und Verbrechers Benvenuto Cellini. Uwe Neumahr
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Bereits der Kulturhistoriker Jacob Burckhardt sah in Cellini das „Urbild des modernen Menschen“.1 Modern ist, aus heutiger Perspektive betrachtet, vieles an Cellinis Persönlichkeit. So etwa seine Haltung den Großen und Mächtigen gegenüber. Cellini hatte stets das Verlangen, sich vom Diener-Herr-Verhältnis des Künstlers zu emanzipieren und Gleichwertigkeit zu beanspruchen, teilweise mit drastischen Konsequenzen für sich selbst. Noch heute wird Cellini als Vorkämpfer für die Anerkennung des Künstlers in einer Welt gefeiert, die Künstler entwertet, zuletzt im Musical Cellini.2 Wagemut und Durchhaltevermögen zeichneten ihn aus, ja man kann Cellini als vormodernen Self-Made-Man bezeichnen. Er hatte sich aus eigener Kraft hochgearbeitet, weitgehend ohne Unterstützung und gegen den Widerstand vieler.
Doch nicht nur in gesellschaftlicher Hinsicht, auch auf technischem und künstlerischem Gebiet war Cellini ein Grenzüberschreiter. Bei der Herstellung von Münzpressen erwies er sich als Innovator. Dass Cellini seine bronzene Perseus-Figur aus einem Stück goss und sie nicht aus mehreren zusammensetzte, war eine staunenerregende Meisterleistung. Da er als Kunsthandwerker auch den kreativen Akt der Erfindung (invezione) beanspruchte, leistete er einen wichtigen Beitrag zum modernen Begriff des „Künstlers“. Münzmeister und Medailleure galten als Handwerker, die größtenteils nach fremden Entwürfen arbeiteten, da man sie nur in geringem Maße zu kreativer Eigenleistung fähig hielt. Nicht so Cellini, der einen Ganzheitsanspruch hatte. Er ist ein Beispiel für autonomes Künstlertum, das aus dem subalternen Kunsthandwerk hervorging.
Cellini muss ein attraktiver Mann gewesen sein. Einen Bischof lässt er über sich sagen, er habe eine gute Symmetrie des Körpers und der Physiognomie. Das einzig authentische Porträt scheint dieses Eigenlob zu bestätigen. Auf Vasaris Deckengemälde im Palazzo Vecchio sieht man Cellini, bereits sechzigjährig, mit hoher Stirn, wohlgeformter Nase, gleichmäßigen Gesichtszügen und grauem Vollbart.
Er zeugte zahlreiche Kinder, hatte aber auch eine erotische Disposition für junge Männer. Im Gegensatz zu anderen Künstlern der italienischen Renaissance, die ebenfalls unter dem Verdacht der Homosexualität standen, war Cellini einer der wenigen, der seine Homophilie vor Gericht zugeben musste. Dafür wurde er schwer bestraft. Weil er auch mit künstlerischen Mitteln für die Enttabuisierung der Homosexualität eintrat, wurde er zu einer Ikone der Homosexuellenbewegung des 20. Jahrhunderts.
Cellinis Leben bot Anlass zu konträren Deutungen. Oscar Wilde, der selbst wegen Homosexualität eingekerkert wurde, nannte ihn bei aller Bewunderung den „Erzschurken der Renaissance“.3 Für den englischen Literaturkritiker John Addington Symonds war Cellini ein Symbol der Lasterhaftigkeit. Seine Begierden seien „animalisch, zügellos und fast brutal“ gewesen.4 Friedrich Nietzsche hingegen, der Verächter aller christlichen Moral, sah in Cellini „die harmonische Ganzheit und den vielstimmigen Zusammenhalt in einer Natur“ verkörpert. Nach Nietzsche lebte Cellini seinen natürlichen Instinkten gemäß – jenseits von Gut und Böse.5 Goethe wiederum, für den Cellini zur Projektionsfläche seiner Sturm-und-Drang-Sehnsüchte im Weimarer Alltag wurde, sah in Cellini einen „Repräsentanten sämtlicher Menschheit“. Er deute das an, was „in jeden menschlichen Busen eingeschrieben“ sei.6 Held, Antiheld oder Künstlerverbrecher, so wird Cellini auch in Romanen, Filmen und Opernlibretti dargestellt.7 In Hector Berlioz romantischer Oper Benvenuto Cellini ist Cellini ein verkannter Künstler, der sich und sein Werk absolut setzt und am Ende alles gewinnt. In Kurt Weills Operette The Firebrand of Florence ist er der zweifelhafte Held einer derben Sexklamotte. Es ist schwierig, aus Cellinis literarischer Selbststilisierung und dem Firnis der Projektionen die historische Persönlichkeit herauszuarbeiten. Cellini hinterließ der Nachwelt eine Maske, hinter der er sich verbarg. Er widersprach sich häufig, war ein Mensch voller Obsessionen und Gegensätzlichkeiten. Gläubig, vertraute er gleichzeitig der Astrologie, und doch war seine Triebfeder die schöpferische Tat. Psychoanalytiker zu Beginn des 20. Jahrhunderts unterstellten ihm Paranoia und Paraphrenie, eine leichte Form der Schizophrenie.8 Sie zogen bei ihren Untersuchungen jedoch primär Cellinis Lebensbericht zu Rate, in dem Cellini seinen eigenen Mythos schafft und das Erlebte (um-)deutet. Auch bergen solch starre Auslegungen die Gefahr, dass Cellinis literarischem Hauptwerk ein falscher Akzent verliehen wird. Die Aufgabe des Biografen kann nun nicht nur darin bestehen, den Firnis abzutragen und vorzuführen, wie sehr Cellini die Fakten verzerrt. Vielmehr sollte er versuchen, die Modelle, denen Cellini folgte, zu identifizieren und zu analysieren, welche Funktion sie erfüllten, was sie leisteten, und schließlich, im Fall von Cellinis literarischen Texten, den Spannungen nachzuspüren, die zwischen dem Niedergeschriebenen und verfügbaren literarischen Formen bestanden.
Das vorliegende Buch, eine Einführung in Leben und Werk, ist die erste deutschsprachige Biografie des Künstlers. Dargestellt wird Cellinis Schaffen im Kontext seiner Zeit. Die Lebensbeschreibung ist auch ein Versuch, die innere Entwicklung Cellinis nachzuzeichnen, wie sie sich aus Briefen, Einträgen in seinen ökonomischen Tagebüchern und Dokumenten rekonstruieren lässt. Besonders akzentuiert wird Cellinis Rolle im „Feld der Kunst“ wie im „Feld der Macht“ (Pierre Bourdieu). Denn eines musste Cellini, der unter Machthabern erheblich zu leiden hatte, schmerzhaft erfahren: Große Fürsten können es „übel vermerken, wenn einer ihrer Diener […] die Wahrheit über ihr Benehmen äußert“.9
Florenz. Zwischen Schalmei und Werkbank (1500–1523)
Florenz um 1500
Es waren unruhige Zeiten, als Benvenuto Cellini am 3. November 1500 in Florenz geboren wurde. Vierzig Jahre lang hatte das durch den Frieden von Lodi bewährte Gleichgewicht zwischen den Großmächten Rom, Neapel, Mailand, Venedig und Florenz Bestand gehabt und eine Einmischung ausländischer Mächte in italienische Angelegenheiten verhindert. Diese Balance wurde 1494 zerstört, als der französische König Karl VIII. in Italien einfiel, um Erbansprüche auf Neapel geltend zu machen. Der Monarch hatte mit seiner Invasion die Florentiner vom Joch der Medici befreit. Doch hatte der Eroberungszug auch die Unabhängigkeit der Stadt Pisa zur Folge, die lange unter der Herrschaft von Florenz gestanden hatte. Militärische Kampagnen, etwa im Juli 1499, um Pisa zurückzuerobern, scheiterten. Als die Florentiner ihren Befehlshaber, den Condottiere Paolo Vitelli, verhafteten und wegen Erfolglosigkeit und vermeintlichen Verrats hinrichten ließen, machten sie sich dessen Bruder Vitellozzo zum unversöhnlichen Feind. Vitellozzo Vitelli machte fortan gemeinsame Sache mit den Feinden der Republik: Piero de’ Medici, dem vertriebenen Oberhaupt der Familie Medici, den Nachbarrepubliken und Cesare Borgia, der während seiner Eroberungszüge in der Romagna auch ein Auge auf die Arnometropole geworfen hatte. Niccolò Machiavelli, damals Sekretär beim Rat der Zehn, wo er für Florentiner Außen- und Verteidigungspolitik zuständig war, musste auf Gesandtschaftsreisen sein ganzes diplomatisches Geschick aufwenden, um im Auftrag seiner Dienstherren Bündnisse zu schmieden oder die Neutralität der Republik zu wahren – oft in großer Verzweiflung über die Mut- und Orientierungslosigkeit der Stadtväter.
Lucantonio degli Uberti, Stadtansicht von Florenz, sog. Kettenplan, um 1470, Holzschnitt, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett
Im Inneren war Florenz durch das vierjährige Interregnum des Bußpredigers