Die exzentrische Lebensgeschichte des Künstlers und Verbrechers Benvenuto Cellini. Uwe Neumahr
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Die Cellinis waren typische Angehörige des popolo minuto, der Florentiner Mittelschicht. Ursprünglich stammten sie aus dem zwischen Siena und Arezzo gelegenen Val d’Ambra. Der erste durch Archivalien nachweisbare Vertreter in Florenz ist Benvenutos Urgroßvater Cristofano, der aus dem Ambratal in die Arnostadt übersiedelte. 1487 wird dessen Sohn Andrea im Katasteramt der Stadt als „Maurer“ bezeichnet.4 Cellini hingegen schreibt, sein Großvater Andrea lebte von der Architektur. Diese vermeintliche Nobilitierung eines Maurers muss nicht der Selbsterhöhung Cellinis geschuldet sein. Es gab damals keine klar umrissene Ausbildung zum Architekten. Andrea war wohl in beiden Bereichen, dem praktischen wie dem theoretischen, als Baumeister tätig. Mit ihm jedenfalls entwuchs der Familienstammbaum seinen ländlichen Ursprüngen. Andreas Sohn Giovanni, Benvenutos Vater, interessierte sich dann ebenfalls für die Architektur. Doch bereits in jungen Jahren entflammte er für die Musik, eine Leidenschaft, unter der Benvenuto Cellini sehr zu leiden hatte.
Ein ehrgeiziger Vater
Es ist der Wunsch der meisten Väter: Der Sohn möge einmal ein zufriedenstellendes Auskommen haben, das ihm ein sorgenfreies Leben ermöglicht. Auch Giovanni Cellini hegte diesen Wunsch für seinen Sohn Benvenuto und betrieb dessen Realisierung nachdrücklich. Benvenuto sollte als Musiker in Giovanni Cellinis Fußstapfen treten, der als Stadtpfeifer für die Signoria tätig war. Bereits mit elf Jahren bekam Benvenuto durch Fürsprache des Vaters ein Engagement als Bläser in Diensten der Parte Guelfa, der politischen Gesellschaft der Guelfen-Fraktion, die eine kleine Musikkapelle unterhielt. Zahlungen sind überliefert, aus denen hervorgeht, dass dem Elfjährigen am 15. Dezember 1511 von den Kapitänen der Guelfen-Partei ein Honorar von 4 Lire für die Monate September bis Dezember ausbezahlt wurde.5 Giovanni Cellinis Wunsch erscheint umso verständlicher, wenn man die Begabung Benvenutos – er fand später immerhin Aufnahme in die Kapelle des Papstes6 – und die Privilegien des Pfeiferamtes in Betracht zieht. Die Stelle sicherte ein Grundeinkommen und erlaubte es Nebentätigkeiten nachzugehen. So war Giovanni Cellini auch als Instrumentenbauer, Kunsthandwerker, Ingenieur und Baumeister tätig und genoss Vergünstigungen wie gestellter Kleidung, Gratisessen und eine Pension, die ihm zustanden. Da das Amt üblicherweise durch Erbfolge vergeben wurde, war es das Sprungbrett für die nächste Generation. Doch zum Leidwesen Giovanni Cellinis, der ein leidenschaftlicher Musiker war, war der Beruf des Pfeifers auf Dauer nicht gut genug für Benvenuto, auch nicht als Brotberuf und Standbein, das ihm Zeit für andere Betätigungen ließ. Klagen über die „zu niedere Kunst“ durchziehen die ersten Kapitel seiner Lebensbeschreibung, ja ein regelrechter Widerwille gegen die Musik. Giovanni Cellini, überzeugt von der musikalischen Begabung des Sohnes, war ehrgeizig und muss ihn emotional unter Druck gesetzt haben. In klagendem Ton bedrängte er ihn. „Der größte Wunsch, den er – was mich betrifft – auf der Welt hatte, war, dass aus mir ein bedeutender Musiker werden sollte.“ Immer wieder liest man, dass es zu Konflikten mit dem Vater kam. Das subalterne Arbeitsverhältnis des piffero aber empfand Benvenuto Cellini als Fron. Er wollte mehr sein als ein Tuttist, der bei offiziellen Empfängen, bei Prozessionen, Turnieren oder Festen als einer unter vielen musizierte. Er war zu sehr Individualist, und der Wunsch, sich seiner Leidenschaft, dem Kunsthandwerk, zu widmen, wurde früh offensichtlich.
Benedetto da Maiano, Drei Pfeifer (links), Skulpturengruppe Incoronazione di Ferdinando d’Aragona, Marmor, Florenz, Museo Nazionale del Bargello
Dass der Beruf des piffero aber durchaus attraktiv war, beweist der Lebensweg des Vaters. Geboren im Jahr 1451, war Giovanni Cellini nicht nur ein erfolgreicher Musiker – mehrfach wird er in den überlieferten Dokumenten als musikalischer Leiter (maestro) der pifferi bezeichnet7 – sondern auch ein Universaltalent und Überlebenskünstler, der sich mit den verschiedenen Herrschern arrangierte. Es gelang ihm in den Wirren der Florentiner Innenpolitik, die sich durch stete Spannungen zwischen Medici-Anhängern und Medici-Gegnern auszeichnete, seine Stelle zu behaupten, ja sogar von den verschiedenen Machthabern geschätzt zu werden. Giovanni Cellinis Interesse galt ursprünglich der Architektur. Musik betrieb er nur als Nebenbeschäftigung. Einer Forderung des römischen Architekturtheoretikers Vitruv entsprechend musste ein guter Baumeister auch musikalische Kenntnisse haben, da sich die Harmoniegesetze der Musik, so glaubte man, in der Architektur spiegelten. Giovanni Cellini begann Viola und Flöte zu spielen. Bald entwickelte er eine Leidenschaft für die Instrumentalmusik, und seine Begabung blieb den pifferi nicht verborgen. 1480, unter der Regentschaft von Lorenzo de’ Medici, dem sogenannten Prächtigen, wurde er bei den Stadtpfeifern aufgenommen. Dennoch war er weiterhin auch als Baumeister gefragt. Luca Landucci berichtet, dass er am 4. Juli 1509 nach dem Tod des Architekten Simone del Pollaiuolo Giovanni Cellini eine Zeichnung gab, nach der gegenüber der Kirche San Lorenzo ein Gotteshaus für den Evangelisten Johannes gebaut werden sollte.
Als Giovanni Cellini 1480 seinen Dienst bei den pifferi antrat, befand sich Florenz in einer kulturellen Blüte. Es war jene Zeit innerhalb der Florentiner Hochkultur, in der die vom Kulturwissenschaftler Aby Warburg konstatierte Erneuerung der heidnischen Antike stattfand. Während der Herrschaft Lorenzos des Prächtigen war der christliche Schöpfergott aus der Mode gekommen. Man huldigte unverhohlen den alten Göttern der Römer und Griechen. Sie bevölkerten den Himmel der Astrologen, die Verse der Poeten und die Gemälde der Maler. So hat eines der berühmtesten Gemälde Botticellis keine christliche Legende, sondern einen antiken Mythos zum Gegenstand – die Geburt der Venus. Sinnlichkeit wurde in dieser neuheidnischen Welt geradezu als göttlich angesehen, und Musik galt als ein wesentlicher Bestandteil des irdischen Frohsinns. Benvenuto Cellini schrieb später, dass das Volk von Florenz sich in Sommernächten auf Straßen und Plätzen häufig versammelte, um improvisierten Gesängen beizuwohnen. Erotisch-blasphemische Karnevalsgesänge, deren Sprachcodes auch Cellini später in seine Gedichte übernahm,8 erfreuten sich großer Beliebtheit.
Das Musikleben in Florenz wurde maßgeblich von Lorenzo de’ Medici geprägt. Er musizierte selbst und gab Kompositionen in Auftrag. Sein Biograf Niccolò Valori, ein Zeitgenosse, schreibt, dass er sich ein Leben lang an der Musik ergötzt habe und er über außerordentliche musikalische Kenntnisse verfügt habe, sodass er es mit jedem anderen auf diesem Gebiet aufnehmen konnte.9 Es war dann aber gerade der Prächtige, bemerkt Cellini, der Giovanni Cellini 1491 zu dessen Unglück bei den pifferi entließ und durch einen deutschen Musiker ersetzte, allerdings nur, weil Lorenzo de’ Medici überzeugt war, Giovanni Cellini solle seine anderen Begabungen – Baukunst, Kunsthandwerk und Instrumentenbau – bevorzugt pflegen. Die Liebe zur Musik muss allerdings derart ausgeprägt gewesen sein, dass er 1495 nach der Vertreibung der Medici unter dem kunstkritischen Regiment Savonarolas zu den Stadtpfeifern zurückkehrte, um die Contralto- und Controbasso-Partien zu übernehmen, zunächst als Aushilfe ohne Honorar. Mit 50 Florin, die er einem gewissen Adamo Adami für dessen Ausscheiden bezahlte, kaufte sich Giovanni Cellini 1497 in das Ensemble ein und blieb bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1514. Wie wichtig ihm die Stelle war, zeigt, dass er sogar einen Rechtsbruch beging,