Die exzentrische Lebensgeschichte des Künstlers und Verbrechers Benvenuto Cellini. Uwe Neumahr
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Obwohl er über keinerlei Ausbildung auf dem Gebiet der Literatur verfügte, war Cellini ein origineller Autor und durchaus belesen. Hinter der vermeintlich naiven Diktion seiner Lebensbeschreibung verbergen sich zahlreiche literarische Reminiszenzen. Er amalgamierte Texte Dantes, Petrarcas und Boccaccios, vermengte Gattungen wie Abenteuerroman und Pícaro-Erzählung sowie Künstler- und Heiligenvita und kannte, zumindest rudimentär, den philosophischen und medizinischen Diskurs seiner Zeit. Einen ausgezeichneten medizinischen Ratgeber hatte Cellini in Guido Guidi, dem Leibarzt von König Franz I., der mit Cellini mehrere Jahre in Paris unter einem Dach lebte. Wie Guido Guidi in seinem Traktat Chirurgia schreibt, arbeitete Cellini aktiv mit Chirurgen zusammen, etwa mit Giacomo Rastelli, dem Arzt von Papst Clemens VII., für den Cellini chirurgische Instrumente fertigte.27 Neuplatonische Gedanken, die die Präsenz des Göttlichen in den irdischen Elementen betonen, kommen in Cellinis Schriften als Vulgata der Thesen Marsilio Ficinos vor. In Cellinis Lebensbeschreibung finden sich zudem alchemistische Anklänge.28 Als Dichter war er kreativ, indem er neue Worte erfand, etwa das Verb ducare,29 zudem entwickelte er eigene Erzählstrategien. Dass Cellini so bunt und lebendig zu erzählen wusste, ist auch auf die vielen direkten Reden zurückzuführen, die er in seine Lebensbeschreibung einfügte. In keinem zeitgenössischen Lebensbericht kommen sie so häufig vor wie in Cellinis Vita.30 Weil er unter anderem einen kurzen Essay über die führenden Praktiker und Theoretiker der Architektur schrieb und sich sogar mit der Pädagogik des Zeichnens befasste, nannten ihn einige Forscher einen uomo universale, was zweifellos übertrieben ist.
Cellini hatte keinen universellen Bildungsanspruch. Systematisches Denken oder gar Theoretisieren waren ihm fremd. Er empfand auch keine Leidenschaft für die Empirie wie Leonardo da Vinci. Seine Äußerungen im Rangstreit der Künste deuten darauf hin, dass er eher spontan argumentierte. Seine Aussagen sind manchmal widersprüchlich. So schreibt er in einem Brief an Benedetto Varchi, ein Werk der Bildhauerei müsse acht Ansichten haben, während er in seiner Abhandlung anlässlich Michelangelos Totenfeier behauptet, ein solches Werk solle über „hundert Ansichten oder mehr“ verfügen. In seinem Traktat über die Zeichenkunst reduziert Cellini die Ansichten schließlich wieder auf „vierzig oder mehr“. Cellini pflegte jedoch mit vorgeschobenem Understatement seine Rolle als intellektueller Außenseiter und suchte nach Bestätigung, etwa wenn er von seinem „beschränkten Geist“ (basso ingegno) oder seiner „Wald- und Wiesenphilosophie“ (boschereccia filosofia) spricht. Der beständige Verweis auf seinen Durchschnittsintellekt, insbesondere in seinen Gedichten zum Rangstreit der Künste, war natürlich auch ein schlauer Kunstgriff. Er gewährte Cellini in der Auseinandersetzung mit humanistisch gebildeten Gegnern Narrenfreiheit. Indem sich Cellini als ungebildet bezeichnete, hatte er die Freiheit zu sagen was er wollte. Bezeichnend für sein wechselhaftes Temperament ist aber auch, dass er sich mitunter ganz anders gab. In seiner Lebensbeschreibung stilisiert er sich immer wieder als gelehrter Künstler, der – welch Triumph für den Emporkömmling aus der Florentiner Mittelschicht – sogar den französischen König belehrt, indem er ihm die allegorischen Bedeutungen seiner Figuren erklärt.
Wanderjahre
Wie neuere Archivfunde beweisen, muss sich Cellinis erster Zusammenstoß mit der Justiz, der im Handlungsgeschehen der Lebensbeschreibung auf 1516 datiert, drei Jahre später ereignet haben. Cellini begann seine Vita im Alter von achtundfünfzig Jahren zu diktieren. Ob die chronologischen Ungenauigkeiten, die vor allem in den Kapiteln über seine Jugend enthalten sind, dem schlechten Erinnerungsvermögen eines älteren Mannes geschuldet sind, oder ob sich Cellini bei der Schilderung seiner Taten bewusst verjüngte, vermag niemand zu sagen. Seiner Erzählung folgend wurde sein Alltag zwischen Werkstatt und Notenblatt durch einen Zwischenfall jäh unterbrochen. Cecchino, Cellinis jüngerer Bruder, war eines Sonntags in einen Straßenkampf außerhalb der Porta San Gallo verwickelt worden. Er eilte zu Hilfe, stellte sich dem Kampf, und nur das beherzte Eingreifen einiger Soldaten verhinderte Schlimmeres, nachdem Cecchino bereits verwundet worden war. Die Otto di Guardia e Balìa, der Magistrat der florentinischen Staatspolizei, der für die innere Sicherheit verantwortlich war, ließ die Gegner der Cellini-Brüder auf Jahre verbannen. Doch auch die beiden Cellini mussten Florenz für sechs Monate verlassen. Sie begaben sich nach Siena. Benvenuto machte aus der Not eine Tugend und nutzte den Ortswechsel, um sich bei dem Goldschmied Francesco Castoro weiterzubilden, den er bereits von einem früheren Aufenthalt kannte.
So ehrenwert und mutig die Hilfestellung für einen Sechzehnjährigen gewesen wäre – Cellini war bei seinem Einschreiten und seiner späteren Verurteilung durch die Otto di Guardia e Balìa bereits achtzehn Jahre alt. Das Urteil gegen ihn samt einer Geldstrafe erging am 13. Januar 1519.31
Der Vater im heimischen Florenz setzte alle Hebel in Bewegung, um die Verbannung aufzuheben. Giovanni Cellini intervenierte bei Kardinal Giulio de’ Medici, der seine Zustimmung zur Rückkehr erteilte. Ob Benvenuto über seine Rückkehr erfreut war, ist allerdings fraglich, denn sein Vater schickte ihn unter freundlicher Zuhilfenahme des Kardinals gleich nach Bologna, wo er zu seinem Leidwesen Musikunterricht bei Ercole del Piffero nehmen musste. In Bologna fand er jedoch rasch eine Möglichkeit, sich anderweitig künstlerisch fortzubilden. Er ging bei dem Buchmaler Scipione Cavaletti in die Lehre, für den er Aufträge ausführte. Widerstand dem Vater gegenüber zeigte aber auch Cecchino. Dazu bestimmt, Jurist zu werden, verließ er die Lateinschule, um sich als Soldat den „Schwarzen Banden“ des Condottiere Giovanni delle Bande Nere anzuschließen, einer berüchtigten