Die exzentrische Lebensgeschichte des Künstlers und Verbrechers Benvenuto Cellini. Uwe Neumahr
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Wie gewalttätig Cellini war, darüber gibt es in der Forschung unterschiedliche Meinungen. Cellinis englischer Biograf John Pope-Hennessy sah seine Gewaltbereitschaft für die Verhältnisse der Zeit eher unterdurchschnittlich ausgeprägt, zumindest im Hinblick auf mortale Gewaltakte. „Die Mord-Quote war sehr hoch, Cellinis Rate war klein – drei Tote in siebzig Jahren; und Mord war ein akzeptiertes Mittel der Politik […]“.35 Eher psychologisch urteilt der Kunsthistoriker Horst Bredekamp: „Cellinis größter Feind war seine eigene Gewalt.“36 Die Erschaffung von Kunstwerken sei geradezu existenziell für Cellini gewesen. Denn nur mit seinen Werken konnte er sich bei den frühabsolutistischen Machthabern für seine Untaten freikaufen, die dafür auf Strafverfolgung verzichteten. Gewalt begriff er „nicht als Gegenpol, sondern als Stimulus der künstlerischen Gestaltung“,37 womit Bredekamp in Cellini eine Art Vorläufer spätromantischer Genieästhetik sieht: Das besessene und energische Genie, das die unterschiedlichsten Lebensbereiche der Kreativität nutzbar macht, das sich über das Gesetz, die Regeln der Gesellschaft und Widerstände hinwegsetzt, um ausschließlich dem Werk zu dienen. Dass Cellini Gewalt aber nicht immer als Anreiz für sein Schaffen benötigte, zeigen die zahlreichen Gedichte, die im Gefängnis in Isolierhaft entstanden, wo sich ihm keine Angriffsfläche bot. In Cellinis Leben gibt es viele Jahre, aus denen keine Gewalttaten aktenkundig sind, er aber trotzdem produktiv war. Der letzte bekannte Gewaltprozess datiert aus dem Jahr 1556, als Cellini den Goldschmied Giovanni di Lorenzo Papi verletzte. Danach verlagerte er seine Konflikte auf Zivilprozesse. Cellini ging sehr oft vor Gericht, um Geschäftspartner und säumige Zahler zu verklagen. Fragt man nach einem Anreiz für sein Schaffen, so scheint dies eher der Kampf gewesen zu sein, der mitunter auch in körperliche Gewalt münden konnte. Seien es Kerkerhaft, Intrigen, Betrugsversuche, Angriffe auf seine Ehre, sein Einsatz im Rangstreit der Künste oder die Diffamierung seiner Homosexualität. Stets fühlte sich Cellini herausgefordert, einen Kampf aufzunehmen. Oft wurde die Auseinandersetzung für ihn zu einer kunstfördernden Stimulanz, die sich in bildkünstlerischen Werken, Schriften und Versen materialisierte. Wenn Cellini keine äußeren Gegner hatte, wurde er sein eigener, indem er seine Erstentwürfe zu übertreffen und seine Werke zu optimieren versuchte.
Cellini war nicht der einzige Künstler, der gewalttätig war. Sein Zeitgenosse und Feind Leone Leoni, der nach Cellinis Inhaftierung dessen Nachfolger an der päpstlichen Münze wurde, kam ihm an Heftigkeit des Temperaments gleich. Leoni erschlug einen Kollegen, verletzte in Zweikämpfen mehrere Gegner und leistete Strafdienst auf päpstlichen Galeeren. Leoni soll es auch gewesen sein, der Cellini später mit einem zerstoßenen Diamanten vergiften wollte. Aber im Gegensatz zu Leoni definierte Cellini seine Persönlichkeit auch über das Soldatendasein und damit über das anerkannte Handwerk des Tötens. Cellini bemerkt in einem Kapitel seiner Vita ausdrücklich, dass der Soldatenberuf der ihm entsprechende sei. Er ähnelte damit seinen Ahnen, die sich dem Waffenhandwerk widmeten: „kann ich mich [doch] rühmen, meine Herkunft auf tapfere Vorfahren zurückzuführen“.
Die virtuose Anwendung von Gewalt, sei es im Duell oder im Krieg, war für Cellini eine Kunstform, wie im Übrigen alle seine Handlungen künstlerischen Charakter haben. Cellinis Handhabung der Kanonen in der Engelsburg, die er so eindrücklich schildert, ist nichts anderes als eine Überführung seiner produzierenden Kunst in eine zerstörende.38 Gewalt war für Cellini auch eine Tugend im Sinne Machiavellis. Auf dem Revers seiner Medaille für König Franz I. hat Cellini einen Reiter abgebildet, der brutal mit einer Keule auf eine auf dem Boden liegende Frau einschlägt. FORTUNAM VIRTUTE DEVICIT, lautet die Umschrift, „Fortuna durch Virtus besiegt“.39 Machiavelli empfiehlt in Der Fürst, gegen die Schicksalsgöttin Fortuna, da sie eine Frau sei, am besten gewaltsam vorzugehen. Diese misogyne Forderung übertrug Cellini auf der Medaille durch eine brutale Darstellung. Und er nahm Machiavellis Diktum durchaus wörtlich, wenn sich ihm das Schicksal in Form eines Widersachers entgegensetzte. Dann nämlich stach er zu.
Gewalt war für Cellini ein natürliches Ventil, ein Ausweis von Autonomie, aber auch ein Vergnügen. Er war sadistisch veranlagt. Seine Rachsucht setzt er einmal mit der Liebesleidenschaft gleich (mia innamorata): Die Schilderung der Beziehung zu seiner Geliebten Caterina, die er, wenn sie ihn betrog, schlug, bevor er mit ihr schlief, trägt ebenfalls sadistische Züge, auch wenn es sich vielleicht nur um eine literarische Sexualfantasie handelt. Ein Blick auf Cellinis bildkünstlerisches Werk scheint seine Lust an der Gewalt zu bestätigen. Die Beine der Medusa unter dem bronzenen Perseus sind verdreht und eingeknickt. Das linke Bein ist zur rechten Seite verrenkt. Bevor Perseus Medusa köpfte, malträtierte er ihren Körper mit äußerster Brutalität. Freilich haben die verkrümmten Beine der Medusa auch eine geometrische Ordnungsfunktion in der Gesamtstatue inne. Sie umgrenzen die Sockelplatte und die Standfläche des Perseus.40 In den Erzählungen der Sage aber, etwa bei Ovid, findet sich zu einer derartigen Brutalität keinerlei Hinweis, im Gegenteil, Perseus enthauptete Medusa im Schlaf.
Die Zeitgenossen nahmen Cellinis Gewalttätigkeit differenziert wahr. Bandinelli nannte Cellini „grausam“, Vasari hingegen terribilissimo, was nicht in der Bedeutung des heutigen italienisch „äußerst schrecklich, furchtbar“ oder „entsetzlich“ meint, sondern im positiven Sinn „gewaltig“ und „furchterregend“. Terribiltà, jene ästhetische und moralische Eigenschaft, mit der Vasari gemeinhin die Werke Michelangelos kennzeichnete, kann die Wirkung eines künstlerischen Werks, die Persönlichkeit des Künstlers oder auch eine Einheit von Künstler und Kunstwerk charakterisieren.41 Vasari sah Letzteres in Cellini verkörpert.
Cellini führte ein rastloses und unstetes Leben unter dem Vorzeichen des nur sich selbst verantwortlichen Genies. Seinen Charakter kennzeichneten Narzissmus,42 eine kaum vorhandene Frustrationstoleranz, Maßlosigkeit in künstlerischem Ehrgeiz und Stolz sowie Rachsucht bis zur völligen Erniedrigung oder gar Vernichtung des Gegners. Mit Genugtuung berichtet Cellini, wie er einem Wirt auf der Rückreise von Venedig alle vier Betten zerschnitt und einen Schaden von über 50 Scudi hinterließ, nur weil dieser, in herrischem Ton, für die Übernachtung vorab bezahlt werden wollte. Dazu gesellten sich weitere Charakterschwächen wie Jähzorn, Neid auf Kollegen, übersteigertes Ehrgefühl, mangelnde Empathie und hochfahrendes, cholerisches Verhalten. Der Mangel an Impulskontrolle führte zu emotionalen Überreaktionen, die nicht selten in Gewaltanwendung mündeten.
Cellinis Unfähigkeit, auf die Gefühle anderer einzugehen, wird in seiner Vita auch auf stilistischer Ebene ersichtlich: Alle, Päpste, Könige, Herzöge oder Diener, teilen Cellinis Stil. So gut wie nie trägt er individuellen Ausdrucksweisen Rechnung. Umso erstaunlicher ist es, wie Cellini bei seinen emotionalen Schwankungen und aggressiven Impulsen Skulpturen schaffen konnte, die sich durch Ausgeglichenheit, Anmut und innere Ruhe auszeichnen. Man denke nur an seine Büste des Bindo Altoviti oder die Götterfiguren der Saliera.
Cellini hatte das Geltungsbedürfnis des Aufsteigers. Trotz seines zur Schau gestellten Stolzes und seines parvenühaften Verhaltens litt er unter Minderwertigkeitskomplexen. Fast zwanghaft suchte er den Wettbewerb. Häufige Erkrankungen deuten darauf hin, dass in den Tiefen manches Unerledigte schwelte. Cellini hatte die unbegrenzte Fähigkeit, sich selbst etwas vorzumachen. Wunschvorstellungen nahm er gerne schon als Wirklichkeit. Seine mangelnde Bildung kompensierte er durch Selbstironie, und Angriffe auf seine Ehre konnten für den Beleidiger tödlich enden.
Cellini nannte die Dinge beim Namen und konnte mit Worten verletzen, was ihm zahlreiche Auseinandersetzungen eintrug. Bandinellis Marmorgruppe Herkules mit Cacus, die noch heute auf der Piazza della Signoria steht, hatte er mit einem in sich zusammengefallenen Sack Melonen verglichen. Einige jedoch schätzten seine Offenheit. Der Satiriker Antonfrancesco Grazzini schrieb nach Cellinis Tod ein Gedicht, in dem er sich Cellini zurückwünschte, denn Cellini nehme kein Blatt vor den Mund: „Über schlecht gemachte Sachen sprach er schlecht“.43 Dieser oft brüskierenden Freimütigkeit im Alltagsgespräch stand sein selbst geschaffener Mythos als moralisch integre Persönlichkeit gegenüber. Sie tritt besonders im