Die exzentrische Lebensgeschichte des Künstlers und Verbrechers Benvenuto Cellini. Uwe Neumahr
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Skorpion und Salamander. Frühe Jahre
Die Cellinis wohnten bereits seit drei Generationen in Florenz in der Via Chiara 4 in der Nähe des Klosters Sant’Orsola, als Benvenuto am 3. November 1500 geboren wurde. Nach heutiger Zeitrechnung wäre es der 14. November gewesen, da im Florenz des frühen 16. Jahrhunderts noch der julianische Kalender galt.15 Es war ungewöhnlich kalt für die Jahreszeit. Luca Landucci schreibt, dass es Ende November ununterbrochen schneite. Nie sei in Florenz mehr Schnee und ein derart lang anhaltender Schneefall gesehen worden. Die Florentiner nutzten das Spektakel und verwandelten die Piazza della Signoria in einen Eisskulpturenpark. Löwen, das Wappentier von Florenz, und menschliche Figuren wurden aus Schnee gebaut. Wie üblich beteiligten sich auch Kunsthandwerker an der Erschaffung der Skulpturen und wetteiferten um die schönste.
Cellini erhielt den Vornamen Benvenuto (Willkommen), denn seine Eltern hatten sich nach vielen kinderlosen Ehejahren auf ein Mädchen eingestellt und erlebten seine Geburt als eine angenehme Überraschung.16 Wie Cellini berichtet, sei die Geburt eines Knaben auch deshalb verblüffend für sie gewesen, weil die Mutter dieselben kulinarischen Gelüste auch während der Schwangerschaft mit seiner Schwester Rosa verspürt habe. So diente bereits Cellinis Lebensbeginn dazu, seine persönliche Legende zu fördern. In der Durchbrechung gynäkologischer Weisheiten der Zeit kündigte sich seine Auserwähltheit an.17 Dass er sein Geburtsdatum regelmäßig auf den 1. November oder die Nacht auf den 2. November zurückdatiert, somit in die Nähe des Patronatsfests Allerheiligen, steht ebenfalls in diesem Zusammenhang. Seinem Gefühl des Erwähltseins haftet etwas Messianisches an.
Cellini erinnert sich an zwei symbolträchtige Ereignisse aus seiner Kindheit. Als er etwa drei Jahre alt war, nahm er unbekümmert einen giftigen Skorpion in die Hand, der aus einer Wasserleitung kroch. Begeistert zeigte der Junge den vermeintlichen Krebs seinem Vater und seinem Großvater. Der Großvater versuchte ihm voller Entsetzen das Untier abzuschmeicheln. Doch auf dessen ängstliches Zureden, er möge es fallen lassen, reagierte Benvenuto mit Trotz, bis der Vater kurz entschlossen eine Schere nahm und dem Tier Schwanz und Zange abschnitt. Damit war die Gefahr für Benvenutos Leben gebannt.
Das Geschehen hat einen symbolischen Subtext. Es soll – so die implizite Forderung des Autors – als Zeichen gedeutet werden, da einem von Gott Auserwählten ein giftiges Tier nicht schaden kann. Im Lukasevangelium 10,19 findet sich das entsprechende Zitat: „Siehe, ich habe euch die Macht gegeben, auf Schlangen und Skorpione zu treten, und über alle Gewalt des Feindes: er wird Euch keinen Schaden zufügen.“18 Cellini nimmt damit die weitere Erzählung in seiner Lebensbeschreibung vorweg, denn im Lauf der Jahre wird er noch mit zahlreichen Feinden konfrontiert. Trotz aller Kümmernisse wird er nicht besiegt. So zumindest berichtet er es. Sein Vater, der die Bedeutung des Ereignisses erkannte, sah dies als gutes Vorzeichen.
Es war wiederum der Vater, der dem fünfjährigen Benvenuto eines Tages auf ein besonderes Tier aufmerksam machte und ihm dabei eine schallende Ohrfeige gab. Im Kaminfeuer wärmte sich ein Feuersalamander, ohne Schaden an den Flammen zu nehmen. Dem bestürzten Benvenuto, der sich keiner Schuld bewusst war, sagte der Vater: „Ich habe dir diese Ohrfeige nicht gegeben, weil du etwas Böses getan hast, sondern nur, damit du dich an diese Eidechse erinnerst, […] Es ist ein Salamander, wie ihn noch nie jemand gesehen hat, […].“ Wiederum deutete der Vater die Zeichen richtig. Die Ohrfeige war lediglich eine einprägsame Gedächtnishilfe. Denn der Salamander, Ausdruck der Lebenskraft unter widrigen Umständen, war auch das Emblemtier des französischen Königs Franz I., an dessen Hof Cellini später erfolgreich arbeitete. Selbststilisierung geht in dieser Textpassage mit dem Glauben an Vorherbestimmung und göttliche Zeichen einher.19
Cellini ist in seiner Lebensbeschreibung ein Meister des emblematischen Schreibens und der Selbstcharismatisierung. Feinde oder Bedrohungen dienen ihm, wie in jedem Heldenmythos, als dramaturgischer Kunstgriff, als unverzichtbarer Hintergrund, der die Charakterisierung des Helden erst ermöglicht. Damit zusammenhängend unterschlägt er Informationen, die seinem Renommee schaden. Mit keiner Silbe erwähnt Cellini, dass er bis zu seinem neunzehnten Lebensjahr als Pfeifer für die Kapelle der Parte Guelfa tätig war. Im Zeitraum von 1511 bis 1519 sind sechzehn Honorarbelege überliefert, die beweisen, dass er, jeweils für einen Zeitraum von mehreren Monaten, als piffero für die Parte Guelfa musizierte. Die Kapelle muss ein Fixpunkt in seinem Leben gewesen sein. Cellinis Verdienst trug zum Erhalt der Familie bei. Aus den Honorarabrechnungen geht auch hervor, dass er sich von den Kapitänen der Guelfen-Fraktion Geld lieh.20
Die Parte Guelfa war im 13. Jahrhundert als politische und militärische Organisation der Florentiner Guelfen im Kampf gegen den kaisertreuen Ghibellinen gegründet worden. Mit dem Sieg der Guelfen wurde die Partei zu einem wichtigen Machtfaktor in der Florentiner Politik. Die Kapitäne bildeten ein Ratskollegium, sie berieten die Stadtregierung und nahmen an Wahlen für kommunale Ämter teil. Zu repräsentativen Zwecken unterhielten sie auch eine Musikkapelle. Dass Cellini Aufnahme in die Kapelle fand, hing wohl mit dem beruflichen Netzwerk der Cellinis zusammen. Seit dem 15. Jahrhundert bekam die Guelfen-Fraktion immer mehr technikorientierte Institutionen zugesprochen, bis sie schließlich zu einer umfassenden Baubehörde wurde. Die Cellinis waren namhafte Baumeister. Dass man sich über die Branche kannte, dürfte der Berufung Benvenutos förderlich gewesen sein, zumal der Vater weiterhin in beiden Bereichen arbeitete. Als Cellini für die Parte Guelfa als Musiker tätig wurde, hatte sie den Zenit ihrer Macht allerdings längst überschritten. So bedeutete es für die städtischen Musiker durchaus einen Unterschied, ob sie für die Signoria musizierten oder lediglich für die Guelfen-Partei. Es ist wohl diesem minderen Renommee der Kapelle und deren zweitrangigem Status zuzuschreiben, dass Cellini sein über Jahre fortdauerndes Engagement verschweigt. Denn wenn er auf die Musikgruppen zu sprechen kommt, für die er spielte – als Kind mit dem Vater für die Signoria, später in der Kapelle des Papstes –, handelt es sich um die Ensembles der politischen und geistlichen Elite.
Zwischen Notenblatt und Goldschmiedearbeit
Der regelmäßige Wechsel von der Bühne zur Werkbank, von der Schalmei zum Hammer bestimmte die ersten siebenundzwanzig Jahre im Leben Cellinis. Um 1513 durfte er auf eigenen Wunsch als Lehrling in die Goldschmiedewerkstatt des Michelangelo Brandini eintreten, wo er auch dessen Sohn, seinem späteren Erzfeind Baccio Bandinelli, begegnete. Giovanni Cellini änderte aber bald seine Meinung und holte ihn rasch wieder zurück. Zum Unwillen des Vaters ging Cellini dann 1515 bei dem Goldschmied Antonio di Sandro Giamberti, genannt Marcone, in die Lehre.
Während er sich der Feinarbeit des Metallhandwerks widmete, schuf die Malergeneration um Fra Bartolommeo und Andrea del Sarto in Florenz eine neue Monumentalität der menschlichen Figur innerhalb des Raums. Cellini sollte sich später wie Andrea del Sarto, der auch als Goldschmied begonnen hatte, der großen Form zugehörig fühlen, der Großplastik. Doch zunächst musste er eine vierjährige Goldschmiedelehre absolvieren.
Auch wenn Cellini in seinen Schriften nur wenige Informationen über seine Ausbildung erteilt, kann man sich aus einem zeitgenössischen Gemälde des Malers Alessandro Fei, das eine Goldschmiedewerkstatt zeigt, ein ungefähres Bild seines Arbeitsplatzes machen: Werkbänke, auf denen Handwerker mit Feilen, Zangen, Blechscheren und Hämmerchen hantieren. Im Vordergrund wird eine goldene Kanne von einem bebrillten Meister inspiziert, die ein Lehrling hält. Im Hintergrund arbeiten zwei Handwerker gemeinsam an einem Objekt, kleine Modelle dienen als Vorlage; an einem Mauervorsprung sind Musterzeichnungen für Ornamente befestigt. Gesellen feuern die Esse an. Überall sieht man umtriebige Arbeit an Pokalen, Schüsseln, sogar an einer Krone. Obwohl das Gemälde im Palazzo Vecchio zweifellos stilisiert ist, um einen