Die exzentrische Lebensgeschichte des Künstlers und Verbrechers Benvenuto Cellini. Uwe Neumahr
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die exzentrische Lebensgeschichte des Künstlers und Verbrechers Benvenuto Cellini - Uwe Neumahr страница 8
Die Goldschmiedekunst umfasste acht Haupttechniken. Der in diesem Metier Tätige war zugleich Goldschmied, Silberschmied, Edelsteinfasser, Graveur, Ziseleur, Emailleur, Vergolder und Metallgießer. Cellini war später stolz darauf, im Gegensatz zu den spezialisierten Kollegen in allen Bereichen Herausragendes geleistet zu haben. Wer die Lehre absolvierte, hatte nicht zwangsläufig das Berufsziel „Goldschmied“. Weder die Bildhauer Donatello und Verrocchio noch der als Architekt berühmt gewordene Brunelleschi, die allesamt eine solche Ausbildung durchliefen, arbeiteten später als Goldschmiede. Die umfassende Unterweisung, die auch Zeichnen und dekorative Gestaltung enthielt, wurde jedoch als vorbereitende Schule sehr geschätzt. Verschiedene große Künstler empfingen „Anregungen aus unserem Handwerk“, schrieb Cellini später in seinem Traktat über die Goldschmiedekunst.21 Der Goldschmied galt als universeller Handwerker. Er beherrschte den Umgang mit Erden, Metallen und Steinen, das Modellieren in Wachs, Gips und Ton, ja selbst den Bau von Schmelzöfen. Nur der Goldschmied konnte von sich behaupten, Umgang mit den vier Elementen zu haben. Was den Berufsstand darüber hinaus attraktiv machte, war der beständige Verkehr mit den Auftraggebern, den Großen und Reichen. Kunstvoll gestaltete Schmuckstücke bildeten einen wesentlichen Bestandteil des herrschaftlichen Kleiderluxus. Kleinodien zierten die Gewänder der Damen wie der Herren, ganz zu schweigen von Ketten, Broschen, Ringen oder Armbändern. Dies versetzte den Goldschmied unter seinen Kunsthandwerkerkollegen in eine höhere Sphäre.
Alessandro Fei, Goldschmiedewerkstatt, Gemälde, Florenz, Palazzo Vecchio
Cellini muss schon in jungen Jahren eine starke und unabhängige Persönlichkeit gewesen sein. Er wusste, dass er durch die Familie keine Förderung erwarten durfte. Von Jugend an löste er seine Probleme eigenständig. Seine Neugier war groß, ebenso sein Lernwille und seine Bereitschaft zu experimentieren. So eignete er sich autodidaktisch die Niellotechnik an, das Gravieren von Metall, das damals im Verfall war.22 Seine Detailversessenheit und sein Perfektionismus gingen später so weit, dass er für das Schwert des Perseus eine echte Stahlklinge schmiedete. Er gab sich nicht mit einer Attrappe aus minderwertigem Metall zufrieden. Anregungen nahm er dankbar und ohne kulturelle Scheuklappen auf. Cellini äußerte sich anerkennend über die arabesken Verzierungen osmanischer Dolche und eiferte auch muslimischen Goldschmieden nach.
Cellini war mit großer Leidenschaft Goldschmied und verteidigte das Handwerk ein Leben lang als hohe Kunst, die für ihn auf derselben Stufe mit Bildhauerei, Malerei und der Architektur stand. Letztere nannte Cellini gleichberechtigt die „leiblichen Schwestern“ der Goldschmiedekunst. Auch wenn er sich in späteren Jahren vornehmlich als Bildhauer großplastischer Werke hervortat – nicht zuletzt, weil er mit diesen öffentlichen Arbeiten Ruhm erlangen konnte –, bezeichnete er sich in der ersten Fassung des Titels seiner Vita stolz als „Goldschmied und Bildhauer“. Cellinis spätere Gegnerschaft zum Hofkünstler Giorgio Vasari gründete auch auf dem Umstand, dass Vasari in der ersten Ausgabe seiner Lebensbeschreibungen der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten (1550) die Goldschmiedekunst noch als wichtigen Bestandteil des künstlerischen Diskurses betrachtete, in der zweiten Ausgabe (1568) aber eine Abwertung zugunsten der Zeichenkunst vornahm und sie so auf den Rang des Sekundären degradierte.
Cellini legte stets großen Wert auf eine gute Berufsausbildung, wobei er Quereinsteigern gegenüber kritisch eingestellt war. So führte er das Fehlen „gewisser edler Vorzüge“ in den Werken Antonio da Sangallos auf die Tatsache zurück, dass dieser weder Maler noch Bildhauer gewesen sei, sondern „nur Tischlermeister“.23
Bildungsweg in unruhigen Zeiten
Nach Savonarolas Hinrichtung schwelte der Konflikt zwischen den Befürwortern einer Volksregierung und einer Oligarchie in Florenz weiter. Die kurze Amtsdauer von zwei Monaten, die einer Signoria und dem Gonfaloniere, ihrem Präsidenten, zur Verfügung standen, verhinderte eine ruhige und ordnungsgemäße Führung der Amtsgeschäfte. 1502 versuchte der Rat, diesem Problem wenigstens teilweise Herr zu werden, indem ein Gonfaloniere auf Lebenszeit gewählt wurde. Die Wahl fiel auf Piero Soderini, einen dem Volk freundlich gesinnten Patrioten, der sich weigerte, zum Werkzeug der großen Familien zu werden. Sein Ehrgeiz war allerdings nicht so ausgeprägt, dass die Florentiner diktatorische Gelüste befürchten mussten. Machiavelli, der zu seinen Ratgebern zählte, bemängelte seine Entscheidungsschwäche. Als verhängnisvoll sollte sich Soderinis Außenpolitik erweisen, denn Florenz hatte sich in die Abhängigkeit Frankreichs begeben. Nachdem es der Heiligen Liga unter der Führung von Papst Julius II. 1512 gelungen war, die Franzosen aus Italien zu vertreiben, wurde auf einem Landtag in Mantua beschlossen, den franzosenfreundlichen Soderini abzustrafen und die exilierten Medici wieder in Florenz einzusetzen. Spanische Truppen wurden zur Eroberung der Stadt entsandt. Florenz leistete Widerstand, und Machiavelli unternahm alles, um seine Verteidigung sicherzustellen. Doch nachdem Prato, ein Außenposten, eingenommen worden war und dort auf grauenvolle Weise gebrandschatzt wurde, trat Soderini von seinem Amt zurück, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Am 1. September 1512, nach achtzehnjähriger Verbannung, zogen die Medici unter dem Schutz des spanischen Vizekönigs wieder in Florenz ein. Machiavelli, der schärfste politische Beobachter seiner Zeit, schrieb, dass der Staat auf Befehl des spanischen Vizekönigs wieder so gestaltet werden sollte „wie zur Zeit Lorenzos des Prächtigen“.24 Es wurde eine Art oligarchische Staatsform errichtet, deren Ziel die Sicherung der Macht der Medici war. So traten bald die beiden Söhne des Prächtigen in Erscheinung: Kardinal Giovanni de’ Medici und sein Bruder Giuliano, Herzog von Nemours. Ihr Neffe Lorenzo begleitete sie. Giuliano, Erbe des Hauses Medici, wurde an die Spitze der Republik gesetzt, aber in Wirklichkeit behielt der Kardinal die Zügel in der Hand. Die palle, die Kugeln des Medici-Wappens, von den Gegnern der Medici systematisch ausgemerzt, wurden überall wieder angebracht als Symbol der neugewonnenen Souveränität. Die Medici verstanden es, Mäßigung zu üben, und ein Großteil der führenden Familien, der ständigen Unruhen überdrüssig, unterstützte die neuen Herren willig, empfand man die Herrschaft der Medici doch als Gewähr für Ordnung und Sicherheit. Bald bestieg Kardinal Giovanni unter dem Namen Leo X. den päpstlichen Stuhl. Die Florentiner feierten dieses Ereignis mit unbändiger Freude. Giuliano de’ Medici, ein friedfertiger und musisch veranlagter junger Mann, regierte Florenz jedoch nur ein knappes Jahr. Dann wich er seinem Neffen Lorenzo. Dieser ehrgeizige junge Herrscher, der nichts anderes als eine Marionette des Papstes war, starb nach sechs Jahren rücksichtslosen Regierens an der Syphilis. In der Folge gab Kardinal Giulio de’ Medici, ein illegitimer Sohn des Giuliano, den Leo X. zum Erzbischof von Florenz ernannt hatte, seiner Heimatstadt eine gute Verwaltung. Als er 1523 selbst Papst wurde und den Namen Clemens VII. annahm, regierte er die Stadt von Rom aus über einen Mittelsmann.
Die Wahl gleich zweier Medici zu Päpsten innerhalb kurzer Zeit war auch für die Cellinis vorteilhaft. Wechselhaft wie die meisten ihrer Mitbürger dienten sie sich den neuen Herren an. Giovanni Cellini hatte die Wahl Kardinal Giovannis zum Papst in einer öffentlich einsehbaren Inschrift unter deren Familienwappen vorhergesagt. Der geschmeichelte Papst, der das prophetische Epigramm zugeschickt bekam, rief ihn nach Rom, doch Giovanni weigerte sich zu kommen, womit sein Unglück laut Benvenuto Cellini begann. Republikanischer Gesinnung verdächtig, wurde Giovanni Cellini noch 1514 vom amtierenden Gonfaloniere seines Amtes bei den pifferi enthoben. Der väterliche Fehler – um einen solchen handelte es sich nach Benvenutos Ansicht – bedeutete für den Sohn eine willkommene Legitimierung. Denn mit Giovanni Cellinis Entlassung wurde klar, dass der Beruf des Stadtpfeifers keineswegs sicher war. Deshalb, aus existenziellen Gründen, „widmete ich mich der Goldschmiedekunst, […]“, bemerkt Cellini, um seine innere Abwendung von der Musik zu rechtfertigen, auch wenn die Jahre später verfasste Begründung vorgeschoben war. Denn