Die exzentrische Lebensgeschichte des Künstlers und Verbrechers Benvenuto Cellini. Uwe Neumahr

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Die exzentrische Lebensgeschichte des Künstlers und Verbrechers Benvenuto Cellini - Uwe Neumahr

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Staat in Florenz errichtet und Christus zum König ausgerufen. Nach der Herrschaft der Medici sollte in den politischen Gremien nun auch das Gemeinwesen breiter repräsentiert werden. Um der Vision einer befriedeten und solidarischen Kommune gerecht zu werden, beschränkte man die Macht der alten Oligarchenfamilien. Dies kam einer politischen Revolution gleich und sorgte für sozialen Sprengstoff. Savonarola schuf nach dem Vorbild Venedigs den Großen Rat, der mehr als dreitausendsechshundert Mitglieder umfasste und über die wichtigsten Angelegenheiten der Verwaltung entschied. Oberstes Ziel des Dominikaners aber war eine moralische Erneuerung. In apokalyptischen Predigten geißelte er die menschliche Verderbtheit, die kirchliche Korruption, intellektuelle Überheblichkeit und fleischliche Begierde. Eine Sittenpolizei wurde eigens mit der Kontrolle der Florentiner betraut. Bald war der kulturelle Glanz der Stadt in Angst und Bespitzelung erstickt. Am letzten Karnevalstag des Jahres 1497 kam es zu einem beeindruckenden Autodafé. Ein Scheiterhaufen wurde auf der Piazza della Signoria errichtet, auf dem unter Beteiligung der Bevölkerung weltliche Eitelkeiten zum Opfer gebracht wurden. Zuunterst lagen Würfel, Spiegel, falsche Bärte, Perücken, Spielkarten, Schmuck und Parfümflaschen. Darüber befanden sich Bücher nichtchristlichen Inhalts, unter anderem das Epos Morgante von Luigi Pulci, in dem der Autor mit seinem berühmten Credo in blasphemischer Ironie das Glaubensbekenntnis parodiert, neben Zeichnungen, Büsten und Porträts berühmter Florentiner Schönheiten. Die Maler Fra Bartolommeo und Lorenzo di Credi, treue Anhänger Savonarolas, sollen ihre Bilder eigenhändig den Flammen übergeben haben. Viele Florentiner befanden sich in einem religiösen Trancezustand.

      In Rom allerdings erwuchs Savonarola in Papst Alexander VI. ein übermächtiger Gegner. Der spanische Papst war verärgert, dass Savonarola ihn in Predigten attackierte und so schwerwiegender Dinge wie der Simonie und Ketzerei beschuldigte. Noch mehr erzürnte ihn aber, dass Savonarola den französischen König Karl VIII. unterstützte. Alexander VI. leistete der von Venedig geführten Liga gegen Frankreich Beistand, die den Expansionsgelüsten des französischen Königs Einhalt gebieten wollte. Unter Androhung eines Interdikts forderte der Papst im Frühjahr 1498 Savonarola gefangen zu nehmen und exkommunizierte ihn. Savonarolas Schicksal nahm seinen Lauf, als turnusgemäß eine neue Stadtregierung die Arbeit aufnahm, in der seine Feinde in der Mehrheit waren. Savonarola wurde festgenommen und seine unter Folter erpressten Antworten manipuliert. Der Ketzerei und schismatischer Bestrebungen überführt, wurde er am 23. Mai 1498 mit zwei weiteren Ordensbrüdern öffentlich degradiert, gehängt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

      Der Maler Sandro Botticelli gab der allgemeinen Stimmung um die Jahrhundertwende Ausdruck, als er sein Gemälde Anbetung des Kindes mit einer apokalyptischen Prophezeiung versah und auf einer Inschrift festhielt, er habe das Bild in den gegenwärtigen „Wirren“ gemalt. Savonarolas Erbe war eine politische Polarisierung und ein hasserfülltes Misstrauen innerhalb der Bürgerschaft. Die piagnoni (die Weinerlichen), die Regierenden zur Zeit des Bußpredigers, mussten nach dem Tod ihres geistigen Führers widerwillig ihre politischen Ämter den Gegnern überlassen. Jene arrabiati (die Wütenden), wie die Widersacher Savonarolas hießen, zogen gegen die Bewunderer des Predigers offen zu Felde. Dann waren da noch die palleschi, die Anhänger der Medici. Obwohl sie 1494 vertrieben worden waren, befanden sich noch immer zahlreiche Unterstützer der Familie in der Stadt. Die exilierten Medici warteten nur auf ihre Chance, in Florenz wieder an die Macht zu gelangen. Zu den politischen Wirren kamen in zunehmendem Maß wirtschaftliche Schwierigkeiten. Die für die Arnostadt wichtige Textilindustrie bekam immer stärkere Konkurrenz aus England, Frankreich und Flandern. Ständige Kriege führten dazu, dass die Gesamtwirtschaft stagnierte. Selbst der berühmte Finanz- und Bankensektor hatte an Bedeutung verloren.

      Es gärte buchstäblich in Florenz. Die Signoria, das republikanische Parlament, für viele Florentiner der Lauheit verdächtig, sah sich gezwungen Exempel zu statuieren. Der Apotheker Luca Landucci schrieb in sein Tagebuch, dass am 29. Dezember 1500, wenige Wochen nach Cellinis Geburt, zwei Männer geköpft wurden, weil sie sich der Signoria widersetzt hätten.1 Wenige Tage später, am 14. Januar, griffen junge Männer Mitarbeiter des Podestà an. Zwei Wachmänner starben. Besonders die arrabiati waren in Aufruhr.

      In seiner Lebensbeschreibung geht Cellini auf einen Vorfall ein, der zeigen soll, wie einflussreich die Anhänger Savonarolas noch fünfundzwanzig Jahre nach dessen Hinrichtung in den städtischen Gremien waren. Als Cellini 1523 nach einer gewaltsamen Auseinandersetzung zum Tod verurteilt wurde, seien es vor allem die arronzinati cappuccetti (die umgebogenen Kappen) – wie man nun die ehemaligen Anhänger Savonarolas nannte – unter den Richtern gewesen, die die Todesstrafe verhängt hätten. Cellinis despektierlicher Tonfall ihnen gegenüber, ja sein gesamtes Sündenregister, das von Mehrfachmord, Körperverletzung, Unzucht mit Minderjährigen bis zum Vorwurf des Diebstahls von Kirchenbesitz reicht, zeigt, dass er mit Savonarolas Moralvorstellungen wenig anfangen konnte – und dies, obwohl er später selbst für zwei Jahre die niederen Weihen annahm. Der Bußprediger hatte mit seinem moralischen Feldzug gegen nahezu alles gekämpft, was Cellini den Zeitgenossen gegenüber verkörperte, etwa seine Gewalttätigkeit und Sinnenfreudigkeit, die exzentrische Selbstgefälligkeit, die Lust am Wettspiel oder Cellinis Bekenntnis zur Männerliebe. In Rom beschäftigte Cellini sich später mit okkulter Literatur und unterstützte den bisexuellen Dichter Luigi Pulci, den Enkel des gleichnamigen Morgante-Verfassers, dessen Epos Savonarola verbrennen ließ. Selbst an Cellinis Lebensbeschreibung hätte Savonarola Anstoß genommen, kollidierte autobiografisches Schreiben und damit das Streben nach Ruhm doch mit dem christlichen Demutsideal. Letztlich waren die Anhänger Savonarolas für Cellini aber nur ein geringes Problem. Ihrem Rigorismus entzog er sich durch Flucht. Cellini gelang es, in schwierigen Zeiten einundsiebzig Jahre alt zu werden, ungeachtet der Tatsache, dass er in seinem Leben mit den unterschiedlichsten politischen Kräftekonstellationen und Gefahren konfrontiert wurde. Der Florentiner hatte viele Feinde. Er arbeitete für die Medici und verkehrte gleichzeitig mit deren Kontrahenten. Cellini kämpfte als Soldat gegen die Truppen Kaiser Karls V. und duellierte sich. In einer Zeit, in der Gewalt zur Ökonomie des Daseins gehörte, wurden auch auf ihn Mordanschläge verübt. Cellini unternahm einen tollkühnen Fluchtversuch aus der Engelsburg, bei dem er sich schwer verletzte, ganz zu schweigen von gewaltsamen Auseinandersetzungen, Gefängnisaufenthalten, Prozessen, existenziellen Anfeindungen und Krankheiten. Cellini zeigt sich in seiner Lebensbeschreibung tief verwundert, dass er bei all dem „Leid“, das ihm widerfahren war, überhaupt ein so hohes Alter erreichen konnte. Er hatte allen Grund dazu, auch wenn sein Leid oft daraus resultierte, dass er anderen ein solches zufügte.

      Die Vorfahren

      Er sei von bescheidener Herkunft, bemerkt Cellini. Dabei rechnet er sich zu großer Ehre an, seiner Familie Ruhm verschafft zu haben. Ursprünglich stamme seine Sippe von dem römischen Hauptmann Fiorino da Cellino ab, der unter Julius Cäsar tapfer diente. Dieser Fiorino sei niemand Geringerer als der Namensgeber der Stadt Florenz.

      Mit sinnlicher Kraft und Leidenschaft beginnt Cellini seine Lebensbeschreibung,2 von seiner Fantasie mitgerissen und mit gehöriger Großsprecherei. Als Leser historischer Schriften weiß er, dass Städte häufig nach dem Namen ihres Gründers benannt wurden, von Konstantinopel bis Pienza, und so beansprucht er den klingenden Städtenamen Fi(o)renze für seine Familie, um den durch Taten erlangten Wert seiner Sippschaft unter Beweis zu stellen. Dass er überdies aus einer alten Familie kommt und eine Verbindung zur Antike herstellen kann, adelt ihn im Selbstverständnis seiner Mitbürger zusätzlich.

      Fiorino da Cellino, ursprünglich aus der Nähe von Bolsena stammend, habe sein Lager unterhalb von Fiesole am Fluss Arno aufgeschlagen, an dem heute Florenz liegt. Einschränkend fügt Cellini hinzu, dass an jenem Ort auch eine Überfülle an Blumen (fiori) wuchs. Der Stadtgründer Cäsar habe sich bei der Namensgebung sowohl von den schönen Blumen als auch vom Namen des Hauptmanns inspirieren lassen, dem er sehr gewogen war. Den möglichen Einwand etymologisch geschulter Humanisten, die Stadt verdanke ihren Namen der Lage am Lauf des Arno, abgeleitet von fluentia, entkräftet Cellini mit einem entwaffnenden Beweisschluss: „Denn Rom liegt am Lauf des Tiber, Ferrara an dem des Po […] und Paris an der Seine, und trotzdem haben sie ganz

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