Die extreme Mitte. Tariq Ali

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Die extreme Mitte - Tariq  Ali

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verlangt eine geeignete inländische und internationale Rechtsgrundlage und Schiedsrichter, die im Streit zwischen Unternehmen und über Eigentumsrechte entscheiden, aber eine wirkliche Notwendigkeit für eine demokratische Struktur besteht nicht, außer für die Schaufenstergestaltung. Wie lange sich unsere Herrscher noch die Mühe machen werden, die Formen der Demokratie zu wahren, während sie sie eines jeden wahren Inhalts berauben, ist ein Thema für eine ernsthafte Debatte.5

      Wir, die wir – einige glücklicher als andere – im Westen leben, sind Bürger einer ungeordneten Welt. Eine große Mehrheit von uns hat in unterschiedlichem Ausmaß Anteil an neuen kollektiven Erfahrungen: Arbeitslosigkeit oder Teilzeitbeschäftigung, Verschuldung der privaten Haushalte, Obdachlosigkeit, dazu die Abnahme von Qualität und Verfügbarkeit von Dienstleistungen: Gesundheitsdienst, Bildung, Sozialwohnungen, öffentlicher Transport- und Verkehr, öffentlich-rechtliches Radio und Fernsehen, erschwingliche Gegenstände des täglichen Bedarfs; das sind Dienstleistungen, die in den vier Jahrzehnten, die auf den Zweiten Weltkrieg folgten – durchaus nicht länger –, als wesentlich galten.

      Als der alte Sowjetstaat und seine Satelliten in Osteuropa schon schwankten, wurde in Washington eine umfassende Strategie entworfen. Ihr Ziel war ganz einfach, einen neuen Kurs in Richtung globaler Kapitalismus einzuschlagen, der die abnehmende Profitrate rückgängig machen und alle Hindernisse, die im Weg standen, beseitigen würde: Länder, Institutionen, Bürger. Die Weltbank fasste die Grundlagen der neuen Wirtschaftsordnung folgendermaßen zusammen: rücksichtslose Kürzungen der öffentlichen Ausgaben, Steuer»reformen« (das heißt, Steuern für die Reichen senken und sie zum Beispiel mit dem Instrument der Mehrwertsteuer für die Armen erhöhen), den Märkten (Banken) ermöglichen, die Zinsraten zu bestimmen, Abschaffung von Kontingenten und Zöllen und damit direkte Förderung ausländischer Investitionen, systematische Privatisierung aller Staatsunternehmen und effektive Deregulierung. Fortan würde es keine unantastbaren Bereiche des öffentlichen Eigentums mehr geben: Der Markt bzw. die Unternehmen entscheiden alles.

      Dieses waren die wirtschaftlichen Pfeiler der Diktatur des Kapitals. Das Ergebnis war offensichtlich. Die Politik in den alten Hochburgen des Kapitalismus würde zu kaum mehr als konzentrierter Wirtschaftswissenschaft verkommen. Der Staat, der all diese Veränderungen ermöglichte und über sie wachte, würde als Exekutivkomitee des Finanzkapitalismus fungieren, er würde dessen Verteidigung stärken und, wenn notwendig, eingreifen, um alles vor dem totalen Zusammenbruch zu bewahren, wie 2008/2009 geschehen. Das strukturell angepasste System forderte einen neuen Typ Politiker im Gefolge der Pioniere der neuen Ordnung Ronald Reagan und Margaret Thatcher. Der Erstere war ein zweitrangiger Schauspieler, der wie ein Zombie handelte, dem eine Gehirnwäsche verpasst worden war, und der sich im Weißen Haus überfordert fühlte. Zwar hatte er seinen Text gut gelernt und wurde so lange als großer Darsteller gelobt, bis ihm schließlich nicht mehr einfiel, in welcher lateinamerikanischen Hauptstadt er gerade gelandet war – und er auch noch sein Redemanuskript zu Hause vergessen hatte.

      In Wirklichkeit wurden die USA unter Reagan von einer Kabale von rechten Eiferern geleitet, einem imperialen Politbüro, das die meisten wichtigen Entscheidungen dieser wichtigen Periode traf. Diese Eiferer verbreiteten sich über die Welt durch ihren Präsidenten, dessen Ansehen seinen Höhepunkt erreichte, als der letzte sowjetische Führer, Michail Gorbatschow, beschloss, Washington und nicht Peking zu folgen. Reagans Nachfolger war sein (von der CIA entsandte) Vizepräsident George H. W. Bush. Er erlebte nur eine einzige Amtszeit und wurde dann vom Demokraten Bill Clinton besiegt. Aber das Vermächtnis war bei den New Democrats in sicheren Händen: Clinton erwies sich als eifriger und erfolgreicher Verteidiger der Reagan-Revolution und noch von vielem anderen.

      Aber ihre eigenen Parteikollegen, die sich Sorgen über ihre zunehmende Realitätsferne machten und eine Wahlniederlage befürchteten, brachten sie zu Fall. Das war vielleicht eine Schande – es wäre viel besser gewesen, wenn sie durch die Umfragen besiegt worden wäre.

      Ein Jahr, bevor Thatcher zum ersten Mal gewählt wurde, hielt Lord Hailsham eine vorausschauende Rede über die Verfassung. Er fürchtete, eine linksgerichtete Labour-Partei, die durch militante Gewerkschaften unterstützt würde, sei im Begriff zurückzukehren. In der Rede sagte er: »Es gab immer eine unserer Verfassung innewohnende Gefahr, dass eine Wahldiktatur die Herrschaft übernehmen werde.«

      In dem Fall kam die Gefahr (und nicht nur in Großbritannien) weder von der Linken noch von der Rechten, sondern von all den Mainstream-Parlamentsparteien, die sich darin einig waren, den Kapitalismus zu verteidigen: von der extremen Mitte. Aus dieser Tatsache ergibt sich, dass das herrschende Wirtschaftssystem seinem Wesen nach Demokratisierung ausschließt. Der Widerspruch zwischen der hohen Konzentration des Kapitals und den Bedürfnissen der Mehrheit der Bevölkerung wird immer brisanter. Aber die Aushöhlung der Demokratie ist kein Prozess, den allein ein Parlamentsdekret rückgängig machen könnte.

      Dazu bedarf es einer Massenmobilisierung und Volksversammlungen, durch die neue Bewegungen und Parteien geschaffen werden. Diese werden ihrerseits neue Verfassungen brauchen, die eine Radikaldemokratie stärken. Wir müssen einer neuen Form der Politik den Weg bereiten, die die extreme Mitte herausfordern und hoffentlich besiegen wird.

      1 Eine Umfrage von CBS News deckte 2011 auf, dass acht von zehn Amerikanern davon überzeugt sind, dass die von ihnen gewählten Repräsentanten im Kongress »stärker daran interessiert sind, den Bedürfnissen besonderer Interessengruppen zu dienen, als den Menschen, die sie repräsentieren«. Vgl. »Poll: Americans Angry with DC Politics«, CBSnews.com. Der Kongress gehört gewissermaßen den großen Banken. Unternehmen geben Milliarden für Lobby-Arbeit und Spitzenanwälte aus, die sich damit beschäftigen, Schlupflöcher in jedes auch nur im mindesten bedrohliche, weil regulierende Gesetz zu bohren.

      2 Ein klassisches Beispiel war Blairs Reaktion auf die Schwangerschaft seiner Frau. Er erklärte: »Ein Kind produzieren ist viel wichtiger als eine allgemeine Wahl gewinnen.«

      3 Es gab noch eine weitere Verwendung eines solchen Personals. Die New York Times berichtete, dass mindestens tausend Nazi-Spione und Nazi-Offiziere von US-Agenturen im Kalten Krieg rekrutiert wurden. »In den 1970er-Jahren tauchten in der Öffentlichkeit Beweise für Verbindungen zwischen der Regierung und Nazi-Spionen auf, dazu Tausende von Datensätzen aus freigegebenen Dateien. Nachfragen im Zuge des Gesetzes über Informationsfreiheit und andere Quellen sowie Interviews mit zahlreichen derzeitigen und ehemaligen Regierungsbeamten

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