Die extreme Mitte. Tariq Ali

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die extreme Mitte - Tariq Ali страница 5

Автор:
Серия:
Издательство:
Die extreme Mitte - Tariq  Ali

Скачать книгу

seiner eingeschränkten Souveränität das stärkste Land in Europa und die EU, die infolge des englisch-amerikanischen Drucks außer Kontrolle geraten ist, stöhnt wie ein kranker Stier.

      Frühe Versuche des Franzosen Jacques Delors, ein »soziales Europa« zu schaffen, scheiterten am wiedergeborenen Fanatismus des Washington Consensus: Neoliberaler Kapitalismus sei der einzige Weg nach vorn. Die EU musste die neuen Regeln akzeptieren: Privatisierung im Inland, Kriege und Besetzungen im Ausland. Die Nordeuropäer (Großbritannien und Skandinavien) und die Osteuropäer (die entzückt waren, einen neuen Satelliten-Status annehmen zu dürfen, bei dem die USA die UdSSR ersetzten) erwiesen sich als die loyalsten und gefügigsten EU-Vasallenstaaten. Das Ergebnis ist eine Katastrophe für die EU als Ganze.

      Im Inneren wurde sie zu einem Europa der Bankiers mit wenig Rücksicht auf irgendetwas anderes als auf die Bedürfnisse des Finanzkapitals. Die daraus folgende Wirtschaftskrise hat bisher noch keinen wirklichen Wandel im Grundparadigma bewirkt. Auf die Wunde wurde ein in antiseptischer Flüssigkeit getränkter Verband gelegt, aber noch sieht man das Blut und es wird bald wieder hervorquellen.

      Über zehn Jahre nach dem Crash von 2008 steckten die amerikanischen und europäischen Wirtschaften in Arbeitslosigkeit und Stagnation fest. Die Anarchie der Kreditschöpfung wurde unter eine gewisse Kontrolle gebracht, aber ihre Grundlagen bleiben so solide wie eh und je. Bankiers, Gauner und Betrüger warteten geduldig auf die Wiederherstellung, damit sie ihre Arbeit bei geringstmöglicher Regulierung wieder aufnehmen können. Und wie zur Bestätigung beschlossen die Deutschen, Luxemburg – das Geldwäschezentrum der europäischen Reichen – zu belohnen, indem sie den Starpolitiker Jean-Claude Juncker zum Präsidenten des Europäischen Rates wählten.

      Die Unfähigkeit der westlichen Regierungen, das System von Grund auf zu reformieren, hatte zu einer Verschärfung der Krise geführt, die nun das Funktionieren der Demokratie an sich bedrohte. In Griechenland und Italien regierten die Bankiers das Land. Die soziale Schicht, die die Krise verursacht hat, lieferte nun Bürokraten, die sich über die Politik hinwegsetzen. Anderswo übte die extreme Mitte die Macht aus, indem sie Sparmaßnahmen förderte, die die Reichen privilegieren, und Kriege und Besetzungen im Ausland unterstützt.

      Wie ist es so weit gekommen? Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus 1991 verdarb das Geld die Politik und das große Geld verdarb sie vollkommen. In den Kernländern des Kapitals wurden wir zu Zeugen des Entstehens effektiver Koalitionen: in den Vereinigten Staaten der Republikaner und Demokraten, in Großbritannien von New Labour und den Tories, in Frankreich von den Sozialisten und einem Gemisch aus verschiedenen Konservativen, in Deutschland verschiedene Koalitionen, in denen sich die Grünen weitgehend als übertriebene Atlantiker auszeichneten, in Skandinavien die fast identischen Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Koalitionen, die zaghaft vor dem Angesicht des Empires miteinander konkurrierten. In fast allen Fällen verformte sich das Zwei-/Drei-Parteien-System in eine erfolgreiche nationale Regierung.

      Ein neuer Marktextremismus kam ins Spiel. Der Eintritt des Kapitals in die heiligsten Bereiche der Sozialleistungen wurde als eine notwendige »Reform« angepriesen. Private Finanzinitiativen bestraften den öffentlichen Sektor und wurden zur Norm. Länder (wie Frankreich und Deutschland), die nicht schnell genug zum neoliberalen Paradies unterwegs waren, wurden deswegen regelmäßig im Economist und in den Financial Times gerügt. Als konservative Dinosaurier wurden jene beschimpft, die Folgendes taten: diese Wendung infrage stellen, den öffentlichen Sektor verteidigen, die staatliche Eigentümerschaft von Versorgungsunternehmen befürworten, den Ausverkauf von Sozialwohnungen anfechten.

      Die Politiker der extremen Mitte waren, berauscht vom Triumph des Kapitalismus, nicht auf die Krise von 2008 vorbereitet. Ebenso wenig waren es die meisten Bürger, die sich von der Verfügbarkeit billiger Kredite und von zahmen, unkritischen Medien täuschen ließen und glaubten, alles stünde zum Besten. Ihre Führer mochten ja nicht gerade charismatisch sein, aber sie verständen doch, das System zu handhaben. Überlasst nur alles den Politikern! Der Preis für diese zur Norm gewordene Apathie wird jetzt gezahlt.

      (Fairerweise muss man sagen, dass das irische, niederländische und französische Volk in den Auseinandersetzungen um die EU-Verfassung, die den Neoliberalismus festschrieb, eine Katastrophe witterten und gegen sie stimmten. Sie wurden ignoriert).

      Dennoch war es für viele Wirtschaftswissenschaftler offensichtlich, dass die Wall Street die Immobilienblase absichtlich aufpumpte, indem sie Milliarden für Werbekampagnen ausgab, um die Menschen dazu zu verleiten, eine zweite Hypothek aufzunehmen und mehr Schulden zu machen, um das geliehene Geld blindlings für Konsumgüter auszugeben. Die Blase musste platzen, und als sie platzte, wankte das System, bis der Staat die Banken vor dem völligen Zusammenbruch rettete.

      Als die Krise auf Europa übergriff, wurden alle Binnenmarkt- und Wettbewerbsregeln im Zuge der EU-Rettungsaktion für nichtig erklärt. Die Lehren des Marktes fielen praktischerweise dem Vergessen anheim.

      Als einige Länder zusammenbrachen (Island, Irland, Griechenland) und andere (Portugal, Spanien, Italien) in den Abgrund starrten, griff die EU ein, um Sparmaßnahmen durchzusetzen und das deutsche, französische und britische Bankensystem zu retten. Dass es Spannungen zwischen Markt und demokratischer Verantwortlichkeit gab, konnte nun nicht mehr verschleiert werden.

      Die griechische Elite wurde dazu erpresst, sich vollkommen zu unterwerfen, während die Sparmaßnahmen, die die Bürger schlucken mussten, das Land an den Rand einer Revolution brachten. Griechenland ist das schwächste Glied in der Kette des europäischen Kapitalismus, seine Demokratie wurde längst von den Wellen des krisengeschüttelten Kapitalismus weggeschwemmt. Generalstreiks und kreative Proteste machten es der extremen Mitte sehr schwer, ihre Aufgabe zu erfüllen.

      Die Menschen suchen nach Alternativen, aber das geschieht, ohne dass sie die politischen Parteien daran beteiligen, da sich alle als unfähig erwiesen haben. Das Vorgehen in vielen Ländern war ganz anders als bei früheren Protesten. Es waren Aktionen, die in Zeiten wachsender Arbeitslosigkeit und an Orten stattfanden, an denen die Zukunft düster aussieht. Die meisten jungen Menschen werden nur studieren können, wenn sie erhebliche Summen aufbringen, und schon bald wird die Bevölkerung einem Zweiklassengesundheitssystem ausgesetzt sein. Die kapitalistische Demokratie setzt heute eine grundlegende Übereinstimmung der wichtigsten im Parlament vertretenen Parteien voraus, sodass ihr noch dazu durch Mäßigung begrenztes Gezänk völlig unbedeutend wird. Diese Ideologie kann als Demokratismus bezeichnet werden, aber die Demokratie an sich bietet keine wirklichen Alternativen.

      Die Besetzungen und Straßenproteste gegen den Kapitalismus ähneln in gewisser Weise den Protesten der Bauern in früheren Jahrhunderten. Unannehmbare Lebensumstände führen zu Aufständen, die dann meist zerschlagen werden oder von sich aus abflauen. Wichtig ist, dass sie oft Vorboten dessen sind, was kommen wird, wenn sich die Lage nicht bessert. Keine Bewegung kann überleben, wenn sie nicht eine dauerhafte demokratische Struktur schafft, die die politische Kontinuität wahrt. Je breiter die Unterstützung für eine solche Bewegung ist, desto notwendiger ist es, dass sie in irgendeiner Form organisiert wird.

      Die südamerikanischen Rebellionen gegen den Neoliberalismus und seine globalen Institutionen sind in dieser Hinsicht vorbildlich. Große und erfolgreiche Kämpfe gegen den IWF in Venezuela, gegen die Wasserprivatisierung in Bolivien und gegen die Stromprivatisierung in Peru schufen die Grundlage für eine neue Politik, die in den beiden erstgenannten Ländern sowie in Ecuador und Paraguay bei den Wahlen triumphierte. Nach ihrer Wahl begannen die neuen Regierungen mit der Umsetzung der versprochenen sozialen und wirtschaftlichen Reformen – mit unterschiedlichem Erfolg.

      Den Rat, den Professor H. D. Dickinson 1958 der Labour-Partei in Großbritannien gab, lehnte diese zwar ab, aber rund vierzig Jahre später akzeptierten ihn die bolivarischen Führer in Venezuela und Bolivien:

      Wenn der Wohlfahrtsstaat überleben soll, muss er eine eigene Einkommensquelle finden, auf die er einen Anspruch hat, der vor dem eines

Скачать книгу