Die extreme Mitte. Tariq Ali

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die extreme Mitte - Tariq Ali страница 7

Автор:
Серия:
Издательство:
Die extreme Mitte - Tariq  Ali

Скачать книгу

im Gesundheitswesen, im Bildungswesen, im öffentlichen Sektor, bei Entlassungen, Kürzungen der staatlichen Rente und der Streichung von Leistungen für Arbeitslose dem Parlament vorgelegt und von diesem verabschiedet werden. Dann wird die Regierung dem Parlament einen Privatisierungsplan vorlegen und dafür sorgen, dass dieser verabschiedet wird. Die Troika besteht nach ihren eigenen Worten darauf, die Regierung sollte im Voraus darüber beraten, auch politische Entscheidungen anzunehmen, die noch nicht in diesem Memorandum enthalten sind. Das kann man nur noch finanziellen Halbkolonialismus nennen. Und die Bilanz der Troika im Bereich der Wirtschaftsführung ist katastrophal.

      In anderen Ländern haben die Parteien der extremen Rechten profitiert. Sie haben zwei miteinander verbundene Argumente entwickelt: Erstens, dass die EU-Politik zu Sparmaßnahmen geführt und den Armen geschadet hat, und zweitens, dass die Freizügigkeit von Arbeitskräften aus EU-Ländern mit niedrigen Löhnen und hoher Arbeitslosigkeit die Lage verschlechtert.

      Was den zweiten Punkt betrifft, so handelt es sich bei der Einwanderung um eine Reihe von Strategien, die seit Jahrhunderten akzeptiert werden. Die Welt wäre nicht das, was sie heute ist, wenn es keine Einwanderung gegeben hätte. Deutsche Unternehmen brauchten türkische Arbeitskräfte, Frankreich holte Menschen aus seinen ehemaligen Kolonien ins Land, damit sie in der französischen Industrie arbeiten, die britische Regierung schickte Enoch Powell auf die Karibischen Inseln, damit er dort Krankenschwestern für den neuen Nationalen Gesundheitsdienst anwarb. All dies geschieht schon seit Ewigkeiten, darum ist die Vorstellung, die Menschen, die an der Krise schuld sind, wären die Einwanderer, ein billiges, armseliges und schäbiges Vorurteil und hat keinerlei reale Grundlage. Aber heute sagen die Rechte und die extreme Rechte, Migranten aus Polen und Rumänien – aus Staaten der zweiten Reihe der verblassenden Sterne – nähmen uns unsere Arbeitsplätze weg.

      Das ist nun einmal etwas, zu dem man sich verpflichtet, wenn man der Europäischen Union beitritt. Es geht nicht nur um den freien Kapitalverkehr, sondern auch um die Freizügigkeit der Arbeitskräfte innerhalb der Grenzen der EU. Wenn man die abschaffte, würde das vielen europäischen Volkswirtschaften schweren Schaden zufügen. Die Politiker sind sich dieser Tatsache bewusst, aber man findet immer leicht Sündenböcke, wenn man die wahren Gründe nicht finden kann.

      Die Führer der Europäischen Union haben in weiten Teilen Europas ein Wirtschaftssystem geschaffen, das nicht richtig funktioniert, und nun stehen sie vor dem Problem, dass sich die Menschen in Scharen vom politischen Überbau abwenden, dessen Hauptziel es ist, dieses System um jeden Preis zu verteidigen. Vor allem junge Menschen interessieren sich nicht für die Mainstream-Politik. Viele gehen nicht mehr zur Wahl. Und daran ist nicht die Union, sondern daran sind die Bankiers schuld, die sie beherrschen und die die Politik bestimmen, der die Mitgliedsstaaten folgen müssen.

      Die EU ist das Mutterschiff der extremen Mitte mit dem Unterschied, dass sie im Gegensatz zu den ihr untergeordneten Vasallen keiner gewählten Körperschaft gegenüber verantwortlich ist. Diese Krise wird nicht verschwinden. Die für die von der Troika kontrollierten Länder vorgesehenen weiteren Kürzungen entbehren jeder wirtschaftlichen Begründung. Eine Reihe nicht gewählter Bürokraten, die für Banken, den IWF, die EZB usw. arbeiten, befehlen eigenständigen Regierungen: Dies dürft ihr tun und dies dürft ihr nicht tun! In einigen Fällen entheben sie Premierminister ihres Amtes und setzen neue Premierminister an deren Stelle.

      Wenn das so bleibt, kann es unmöglich besser werden. Wenn Bankiers, die nicht gewählt wurden, über die Bedürfnisse der Menschen in einigen europäischen Ländern entscheiden, was sie tatsächlich tun, wie kann es dann vorwärtsgehen? Aber das ist etwas, das die heutigen unkritischen Verteidiger Europas nicht verstehen. Für sie ist nichts daran auszusetzen, Europa ist großartig, es ist eine großartige Idee, lasst alles beim Alten!

      Ein Beispiel aus jüngster Zeit ist das liberale Manifest For Europe! des deutschen Grünen Daniel Cohn-Bendit und des ehemaligen belgischen Ministerpräsidenten Guy Verhofstadt. Die beiden schreiben: Nur die Europäische Union kann die sozialen Rechte aller europäischen Bürger gewährleisten und die Armut zu beseitigen. Nur Europa kann die Probleme der Globalisierung, die Probleme des Klimawandels und der sozialen Ungerechtigkeit lösen. Das leuchtende Vorbild Europa hat andere Kontinente inspiriert, den Weg der regionalen Zusammenarbeit einzuschlagen.

      Kein Kontinent ist besser gerüstet, seiner Vergangenheit voller Gewalttaten abzuschwören und nach einer friedlicheren Welt zu streben.

      Welches Europa könnten sie wohl meinen? Dies ist ein Blick aus dem Inneren der Blase. Sogar im stärksten der EU-Staaten, in Deutschland, wächst das Unbehagen an der Rolle, die die Nation zu spielen gezwungen wird, und einige Anti-EU-Parteien sind entstanden. Die meisten dieser Parteien sind fehlgeleitet, aber der Grund für ihr Entstehen ist der um sich greifende Verlust an Vertrauen in die Eliten, die die Parteipolitik beherrschen und die die Symbiose zwischen den wie durch eine Nabelschnur miteinander verbundenen großen Banken, großen Unternehmen und der Politik verkörpern. Die Feindseligkeit gegen die EU beschränkt sich nicht auf die Rechtsextremen. Der Mangel an scharfer Kritik an der EU sowohl bei der extremen Mitte als auch bei vielen Linken hat der Rechten eine solche Anziehungskraft verliehen.

      Weit davon entfernt, dass die Kritik an einer geheiligten EU die Reaktion und den nationalen Chauvinismus fördern würde, ist es das Fehlen einer ernsthaften Kritik, das den Prozess noch verschlimmert.

      Habermas ist natürlich ein Philosoph der extremen Mitte. Negri sollte es besser wissen. Die Kluft zwischen Regierenden und Regierten in Europa ist selten tiefer gewesen. Politisch gesehen verbindet sich die in den Strukturen der EU fehlende demokratische Verantwortung auf schädliche Weise mit der Wirtschaftslehre einer schuldengeplagten Stagnation. An der militärischen Front ist die Mitgliedschaft in der NATO für neue Mitglieder obligatorisch; das bindet sie in eine umfassendere imperiale Strategie ein. Die in der gesamten EU gefeierte Wiedervereinigung Deutschlands hat dazu geführt, dass das Land bei der Festlegung sozialer und wirtschaftlicher Prioritäten zum Schlüsselstaat geworden ist.

      Die Gleichheit der Mitgliedsstaaten wurde nach der Erweiterung zu einem Witz. Selbst als in den beiden Gründerstaaten Frankreich und in den Niederlanden 2005 Mehrheiten gegen die EU-Verfassung stimmten – vor allem weil sie den Neoliberalismus festschrieb –, wurde die in diesen Referenden zum Ausdruck gebrachte Volksmeinung tatsächlich ignoriert. Zurzeit setzt sich die Achse Berlin–Washington im Fall größerer politischer Meinungsverschiedenheiten über die archaischen und autoritären Strukturen der Europäischen Union hinweg. Das deutsch-französische Gleichgewicht ist bedeutungslos und überflüssig geworden. Wenn die Entscheidungen der Deutschen von Washington grünes Licht erhalten, werden sie den anderen Mitgliedsstaaten aufgezwungen.

      Die meisten ihrer Argumente, besonders die scharfe Kritik an der autoritären Verhängung von »Strukturreformen« unter Androhung von Sanktionen, sind stichhaltig und rational. Sie fordern ein Ende des Sadomonetarismus. Aber wer wird die von ihnen empfohlenen Veränderungen herbeiführen? Weder die Politiker der extremen Mitte noch die EZB und ihre Satelliten noch das US-Finanzministerium

Скачать книгу