Zuber. Josef Oberhollenzer

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rasch, sonst geschieht ein Unglück!“ / Auch das Verhalten der unverletzten Italiener unmittelbar nach dem Unglück war einigermaßen eigentümlich. Die Bewohner eines dem Tatort nahegelegenen Hauses sprangen, durch die Schüsse aus dem Schlafe geweckt, ans Fenster und sahen, wie ein Mann die Straße hinauf, ein anderer in entgegengesetzter Richtung lief, die sich noch einige italienische Worte zuriefen. Es scheint also doch mehr als ein Italiener die Ermordeten begleitet zu haben. Das Auffallende der Tatsache, daß der Karabiniere Moßna, der als einzig Ueberlebender gilt, am Hause des Doktors vorbei und zum Gemeindesekretär lief, ist ja bereits in früheren Berichten hervorgehoben worden. Moßna, der sich vom Anfang an bis heute auf freiem Fuß befand, und niemals in Untersuchungshaft oder wenigstens in Verwahrung genommen worden war, wird jetzt als irrsinnig bezeichnet.

      Die Thinnetaler Opfer immer noch in Haft. / Die vier Thinnetaler, die von den Italienern ungerechterweise des Mordes an den beiden Karabinieri und dem italienischen Lehrer bezichtigt werden, sind seit mehr als fünf Monaten in Haft. Einmal schien es, als hätten die Italiener selbst den Wunsch nach einer Möglichkeit, sie mit einer großmütigen Geste freilassen zu können,

      Frau Dr. von Lutz nach Ponza abgereist. / Nach vielem Drängen hat Frau Dr. von Lutz endlich die Erlaubnis erhalten, zu ihrem auf der Insel Ponza konfinierten Mann zu reisen. Da sie noch eine Rekursverhandlung in einem Verfahren, das gegen sie als ehemalige deutsche Lehrerin wegen angeblicher Verleitung von Schulkindern zu Tätlichkeiten gegen eine italienische Lehrerin nach mehr als Jahresfrist angestrengt wurde, abzuwarten hatte, gab man ihr die Reisegenehmigung bisher nicht. / Das Befinden Dr. von Lutz’ in seiner Verbannung ist leidlich gut. Die Art und Weise des Vorgehens gegen ihn wurde wieder verschärft; so muß er z.B. über Befehl des Konfinierungslagerkommandos die Nacht wieder mit anderen Konfinierten in der Baracke zubringen, während er einige Zeit hindurch ein Einzelzimmer hatte.

      1Tagebucheintrag Vitus Sültzrathers aus dem jahr 1969, datiert mit „Montag, 19. Mai“, überschrieben mit „Vermischte Erinnerungen (1)“; zitiert nach: Isidor Sültzrather (Hg.), Vitus Sültzrather, Tagebücher 2, Klausen 2016, S. 68. – In den veröffentlichten tagebüchern Vitus Sültzrathers – manches scheine nämlich zu fehlen, es könne nur darüber spekuliert werden, warum, sagt F. – gebe es insgesamt 21 solcher mit „Vermischte Erinnerungen“ überschriebene ausgedehntere „erinnerungsblöcke“.

      2Und aber noch ein zweites mal, nämlich am peterundpaultag des jahres neunundfünzig, an einem 29. juni also, würde eine meterhohe schlamm- und steinlawine sich durch Aibeln wälzen und noch einmal die räume zwischen den häusern füllen, 42 tage nach Vitus Sültzrathers sturz von einem baugerüst im nachbarsdorf Garn.

      3In Aibeln, sagt F., habe er kaum je etwas gegenteiliges gehört; nur immer wieder den satz: Der Kalberhof sei ja zugrunde gegangen wegen dem, der habe die weingärten ja vollkommen verkommen und verwildern lassen und nichts als geschrieben die ganze zeit – „oder was“; immer am ende dieses hinterhergeworfene „oder was“, sagt F., „diesen letzten tritt“.

      4Vgl. Karl Philipp Moritz, Erinnerungen aus den frühesten Jahren der Kindheit, in: Gnothi Seauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde als ein Lesebuch für Gelehrte und Ungelehrte. Mit Unterstützung mehrerer Wahrheitsfreunde herausgegeben von Carl Philipp Moritz. Ersten Bandes erstes Stück, Berlin 1783, S. 65 f.: „Die allerersten Eindrücke, welche wir in unsrer frühesten Kindheit bekommen, sind gewiß nicht so unwichtig, daß sie nicht vorzüglich bemerkt zu werden verdienten. Diese Eindrücke machen doch gewissermaßen die Grundlage aller folgenden aus; sie mischen sich oft unmerklich unter unsre übrigen Ideen, und geben denselben eine Richtung, die sie sonst vielleicht nicht würden genommen haben. [..] Sollten vielleicht gar die Kindheitsideen das feine unmerkliche Band seyn, welches unsern gegenwärtigen Zustand an den vergangnen knüpft, wenn anders dasjenige, was jetzt unser Ich ausmacht, schon einmal, in andern Verhältnissen, da war?“

      5„Stell sie an die wand! Stell sie an die wand und erschieße sie! Knall sie ab!“

      6Soweit er das beurteilen könne, sagt F., dürften die einzelnen zeitungsausschnitte „doch einigermaßen chronologisch“ aufgeklebt worden sein, auch wenn nicht immer klar sei, ob der darunter- oder danebengeklebte ausschnitt der folgende sei. Es seien zwar handschriftlich datumsangaben dazugefügt worden – „15. Juni 29“, „1. Juli 29“ und „1. November 29“ –, eine exakte zuordnung traue er sich „aber noch nicht“ zu, da habe er noch zu recherchieren, was aber heutzutage – die meisten deutschsprachigen zeitungen des tirolischen raums seien mittlerweile ja in der Landesbibliothek Teßmann digital abrufbar – ein leichtes sein sollte. Aufgrund der deutlich antiitalienischen einstellung des schreibers oder der schreiber käme ja sowieso nur eine im österreichischen Tirol erscheinende zeitung in frage, wahrscheinlich, so nehme er es jedenfalls im augenblick aufgrund des gleich bleibenden schriftbilds an, eine einzige, nämlich Der Südtiroler, der damals halbmonatlich in Innsbruck erschienen sei.

      7Die unterstreichungen – in welcher farbe, sagt F., sei auf der kopie natürlich nicht auszumachen – „sind sicher vom Sültzrather“.

      8Immer wieder habe Vitus Sültzrather – denn daß dieser die zeitungsartikel ausgeschnitten und zusammengefügt habe, daran könne wohl kein zweifel sein – die einzelnen „vielfach doch sehr einseitig berichtenden berichte“, so F., nicht vollständig oder als ein ganzes aneinandergefügt, sondern habe mitten im artikel und sogar mitten in einem satz den schnitt gemacht: Er habe sie sich zurechtgeschnitten, „ja“, aber was er weggeschnitten, was er weggelassen habe, „danach gehe ich in den nächsten wochen auf die jagd“.

      9Großvater von Dr. Hieronymus von Lutz, dem totenbeschauer Vitus Sültzrathers.

      „Was werden wir uns zu erzählen haben, Klaus“

       oder: Die kindheit ein paradies 10

      „Glück ist, wenn gräsergleich dich Erinnerung

      Streift an den Schläfen. Wenn diese erste Welt

      Der Blicke und der Benennungen wiederkehrt“

      (Durs Grünbein, Die Jahre im Zoo)11

      „Nichts ist mehr, was es war. Und deshalb sind auch wir

      nicht mehr, was wir einst waren; wir müssen inzwischen etwas völlig

      anderes geworden sein, aber wir wissen nicht genau, was.“

      (W. G. Sebald, Echos aus der Vergangenheit)12

       1

      „Dann fangen wir an“, sagt F. und ist dann eine weile still; als überlegte er, wie er anfangen soll. – „Es ist ein schöner tag, ich habe meine schwester nicht getötet“, habe der Kalber Vitus wie zu sich selbst vor sich hingeredet13, als sie sich das erste mal zu ihm hinübergetraut habe, habe ihm die Jaist Kreszenz vom Blaaserhof erzählt, sagt F., denn, habe sie gesagt, es habe ja immer geheißen „Der spinnt!“ und „Dem ist nicht zu traun!“ und „Wie der schon dreinschaut!“ und „Es ist ja nichts geworden aus dem!“ und „Wie es die Schilcher Notburga nur aushält bei dem!“ und „Wenn der nicht im rollstuhl säße, wer weiß ..“. Hinterm Kalberhof im kalberschen obstgarten sei das gewesen, die apfelbäume hätten gerade geblüht14, sie habe die abkürzung in den friedhof hinauf durch eben diesen kalberschen garten genommen, wie es früher, als sie noch ein kind gewesen sei, „der Kalber Vitus, müssen Sie wissen,

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