Zuber. Josef Oberhollenzer

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noch vor dem winter gereift sei, oder von den johannisbeeren15 essen können. Nur einmal, „das muß ich Ihnen jetzt erzählen“, habe die Blaaser Kreszenz an dieser stelle gesagt, sagt F., als der Kalber Vitus und der Blasegger Bonifaz auf den walcherschen kirschbaum hinauf seien, da sei der alte Walcher mit einem heustecken auf sie los – und auf den einbeinigen, den holzprothesenbehinderten Blasegger Bonifaz habe er derart eingedroschen, mit einer solchen wut, daß er ganz rot, kirschrot beinah geworden sei im gesicht und man schließlich den arzt habe holen müssen, nicht nur für den Blasegger Bonifaz. – „Es ist ein schöner tag, ich habe meine schwester nicht getötet“ –: Ja, da sei sie vielleicht siebzehn oder achtzehn gewesen, als der Kalber Vitus – „mit diesen beiden sätzen!“ – eine nur immer stärker werdende anziehungskraft auszuüben begonnen habe auf sie. „Nein, sechzehn“, habe sich die Blaaser Kreszenz korrigiert, denn es sei im dreiundsiebzigerjahr gewesen, als der Kalber Vitus „diese alles anfangenden obstgartensätze“ gesagt habe, „im mai, ja“, da erinnere sie sich genau; denn damals habe sie sich in Bozen – „in der Electronia“ – ihre erste musikkassette gekauft: The Dark Side of the Moon von Pink Floyd; den tag vergesse sie nie. Und am nächsten oder übernächsten tag sei sie eben, und sie wisse nicht, was der auslöser gewesen sei für ihren mut, die abkürzung durch den kalberschen obstgarten zu nehmen, vielleicht sei sie einfach gedankenlos, nein, eher wohl „voller Pink Floyd“, über den speltenzaun und, noch nicht mit beiden beinen auf kalberschem grund und boden, habe der Kalber Vitus –: „Mit diesen beiden obstgartensätzen hat er mich aufgetan.“ Drum sei dann schließlich zwischen ihnen geschehen, „was halt so geschieht zwischen mann und frau“, wenngleich seine querschnittlähmung – „Mein gott!, Mein gott!“ – –: „Ach was ist alles dies, was wir vor köstlich achten“, habe der Andreas Gryphius einmal, „so ungefähr!“, in einem gedicht gesagt; mehr sage sie dazu nicht, habe sie gesagt, sagt F.; und eine art monalisalächeln habe sich in ihr gesicht gelegt. – „Vielleicht an einem anderen tag ja einmal mehr.“

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      „Dann fangen wir an“, sagt F., habe die Blaaser Kreszenz im bozner Wirtshaus Vögele gesagt, wo sie sich, „wie aus alter gewohnheit?“16, verabredet hätten am letzten junidonnerstag in jenem achtzehnerjahr, das sie immer wieder im weiteren verlauf jenes ersten treffens als „sültzratherauferstehungsjahr“ bezeichnet habe bei jeder sich nur irgendwie ergebenden gelegenheit, und dann nach dem kellner gerufen und sich, vielleicht ja aufgrund des umstands, daß sie eben noch den sommer für sommer prallvollen marillenbaum an der friedhofzugewandten mauer des Kalberhofes im mund gehabt habe, als nachtisch die Marillen-Knödel mit Zimt-Mandelbrösel17 bestellt anstelle des als „sommerfrisch“ beworbenen Zitronenthymian-Honig-Halbgefrorenen mit geschmorten Kirschen „Rotwandterhof“, von dem sie bis zum eintreffen des kellners wie von etwas sehnsüchtig zu entdeckendem geschwärmt habe. Und er, „längst ungeduldig“, so F., die Blaaser Kreszenz endlich nicht in bloßen andeutungen und immer bloß satz- und ansatzweise und zwischen dem einen kauen und dem anderen kauen davon reden zu hören, was ihr der Vitus Sültzrather in jenen „sehnsuchtsstunden“, wie sie ihre gemeinsame zeit vorzugsweise genannt habe, „verraten“ habe, habe sich den nächsten Montenegro mit eis bringen lassen. Sie erzähle nur nach, habe sie dann, noch bevor der kellner das bestellte an den tisch gebracht habe, gesagt: „Ich erzähle nur nach“ – und, wie wenn endlich jemand einen erzählmotor angeworfen hätte in ihr, manchmal das andre vor das eine stellend, das ihr erzählte erzählt, zuerst aber noch einmal wiederholt und also aus den erinnerungskellern heraufgeholt, wie sie in den kalberschen obstgarten hinein sei, ihn nur durchqueren wollend, und wie dies nun die „initiation“ der verflechtungen ihrer beider geschichten zu der einen, gemeinsamen geschichte gewesen sei, von der sie aber nur am rande erzählen wolle. Denn zuerst müsse „in die nacht oder an den tag“ – „Halten Sie’s, wie Sie’s wollen!“ –, was der Vitus ihr anvertraut: Davon wisse, bisher, nämlich nur sie. – Jener obstgarten, im übrigen, in den sie im fernen mai dreiundsiebzig erstmals „eingedrungen“ sei18 – bei diesem wort habe sie sich, sagt F., zu ihm hingeneigt und mit einem augenzwinkernden lächeln leise gesagt: „wie aber der Kalber Vitus ja doch niemals in mich“ –, jener obstgarten, in dem die bäume tatsächlich noch bäume und die früchte noch nicht „unfehlbar und makellos“ gewesen seien und den der Vitus immer als seinen „kindheitsgarten“ bezeichnet habe, wenn sie dann, später, das wort „kindergarten“ danebengestellt habe19, von den kindergartenerfahrungen ihrer beiden kinder, ihrem Jonas und ihrer Julia20, erzählen wollend, habe sich kaum verändert mit den jahren, habe er erzählt, so seine kindheit aufbewahrend als eine, die dem neunzehnten jahrhundert in wirklichkeit näher gewesen sei21 als dem weltkriegsverheerten zwanzigsten, das an seinem ende ja als ein wirklichkeitsauslöschendes, als ein all die lebensgebirge scheinbar einebnendes, all die lebensebenen scheinbar auftürmendes sich gebärdet habe, so den menschen einen lebenseintopf, einen allzeit möglichen glückstopf vorgaukelnd22, in wirklichkeit aber größere unterschiede, abgründe und katastrophen zeitigend als all die zeit davor. So habe der Kalber Vitus es zu ihr gesagt, habe die Blaaser Kreszenz gesagt – und dann, unvermittelt, sagt F., und wie zusammenhanglos, während der kellner den teller mit den marillenknödeln vor sie hingestellt habe: „Wie hätte auch ich ein bub sein mögen, als kind!“

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      Wieder in der oberen stube, am gleichen tisch wie damals mit Rut, habe er gedacht, sagt F., und am Montenegro genippt; wie ihm alles sofort zur gewohnheit werde!, „wie sich alles wiederholt“. Und die Blaaser Kreszenz habe nun erzählt, wie alles angefangen habe: Wie ihr Vitus habe warten müssen, bis er an der reihe gewesen sei. Denn am selben tag, so habe er erzählt, habe die hebamme noch zwei buben auf die welt, vor ihm; und der eine, der nur mit einem bein ins leben hinein sei23 und der mit ihnen aber fußball gespielt habe von anfang an und der mit ihm hinauf auf die bäume sei, sei später auch auf die berge hinauf; der Blasegger Bonifaz sei ein guter kletterer gewesen, wendiger als viele zweibeinige, der sei am ende in die felsen gestürzt. An dem habe er sich kein beispiel genommen nach seiner querschnittbehinderung. Obwohl er von sich immer als von einem „glückskind“ geredet habe24, hätten sein vater und sein onkel, also des vaters lieblingsbruder und also sein lieblingsonkel, „obwohl – oder vielleicht gerade, weil ich mich an ihn nicht erinnere“, habe der Vitus gesagt, sei der, dessen name auch der seine sei, weshalb er anfangs oft erschrocken sei, wenn er auf dem grabkreuz dieses onkels seinen eigenen namen gelesen habe, doch nur monate nach seiner geburt gestorben, „gestorben an seinem kopf“, hätten sein vater und sein onkel, sein taufpatenonkel, auf dem heimweg von der taufe doch ein schwein vor sich hergetrieben, das – aber das habe damit nichts zu tun, habe der Vitus immer gesagt, wenn er davon erzählt habe, habe die Blaaser Kreszenz gesagt, sagt F. –, das wie immer im winter, „wie immer um neujahr herum“, geschlachtet werden sollte. Sein vater, habe der Vitus oft gesagt, habe weit über Aibeln hinaus den besten speck produziert; denn so, wie er seine bienen nicht mit zucker überwintert habe, nie zucker dazugefüttert habe, um dann mehr honig, „minderen“, aus den waben herauszuschleudern, habe er auch auf den fraß seiner schweine immer beide augen gehabt. Er wolle keinen „allesfresserspeck“, habe sein vater immer gesagt, wenn seine mutter etwa falsche essensreste in die weißblecherne schweinskanne in der küche habe schütten wollen, habe der Vitus gesagt.

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      „Wie alles angefangen hat“, habe die Blaaser Kreszenz gesagt – und wie der Vitus einmal gesagt habe, als sie wieder einmal in der von ihr nicht verstandenen „aperiodizität“ bei ihm gewesen sei in der nacht25 und also in jenen vormitternachtsstunden verzweifelter lustgraberei, heimlich und von niemandem gewußt, sozusagen als „gebenedeite medizin“ gegen seine „körperverlorenheit“ – „Wo hab ich dieses wort nur gehört?“ –, und die nach der erschöpfungsstummheit, wenn diese schließlich zur erschöpfungsstille geworden sei ein jedes mal, immer geendet hätten in Vitus’ kindheitserzählen, im graben „in jenem

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