Zuber. Josef Oberhollenzer

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gesagt. Aber kein kindheitsarchäologe im allgemeinen, nein, das hätte ihn nicht interessiert, nie – „in keinster weise“, habe der Vitus gesagt, oder manchmal auch: „nicht im mindesten“ –, dann hätte er gleich „kindheitshistoriker“ werden können und „alles über den objektiven kamm scheren“, so habe er sich ausgedrückt; nein, kindheitserfinder im eigenen, selbstlebenserfinder, reisender in die ersten jahre hinab27, „die so voller verdichteter gegenwart sind“, habe der Vitus gesagt, daß sie „alles, was war“, daß sie all die zeit aufgesogen hätten wie ein schwarzes loch: ausgelöscht wie sein letztes werk, „damit alles bleibt, wie es gewesen ist“, habe der Vitus gesagt, und nicht erinnernd sich veränderte in ein anderes – und also verschwände. Was nicht erinnert werde, bleibe immer gleich. – Alles ausgegrabene, ja, habe noch die unschärfe der erinnerung, „diese scharfe unschärfe, Kreszenz“, habe der Vitus ein andermal gesagt, nicht scheuend die widersprüche oder die abweichungen, und sei noch auslegbar wie ein mythos, wie ein teppich oder wie der vogelflug – oder, habe er gesagt, „auch wie ein blatt tarot“: „Können Sie tarock? – Nein? – Soll ich Ihnen die zukunft weisen?“28 Denn sie habe ein tarockdeck in der tasche, „immer schon“, habe die Blaaser Kreszenz gesagt, sagt F., „sehen Sie?“; und den kellner rufend, habe sie begonnen, die karten vor sich auszulegen: zuerst den narren, dann den turm, dann den tod, „Zwei Montenegro, bitte!“, dann die sonne –29: „Wissen Sie“, habe sie gesagt, „wie sie mir meinen Jonas zerstört haben?“ Da habe ihr Jonas im kindergarten eine sonne gemalt, schwarz, ganz schwarz, kohlrabenschwarz; und da habe ihm „eine sogenannte tante“, die Tante L. habe ihm da, wie er weinend erzählt habe nach dem einschlafgebet, seine sonne zerrissen, zornig, habe er gesagt, „ganz zornig und laut“, und habe ihn angeschrien, was das denn solle, eine schwarze sonne, es gebe keine schwarzen sonnen, „Ja hast du noch nie eine sonne gesehn?“, sonnen seien gelb, oder golden, und wenn er nicht sofort eine gelbe, eine richtige sonne male, da gehe sie mit ihm hinaus und lasse ihn in die sonne schauen, „so lang“, habe sie geschrien, „bis du’s endlich begreifst“! Aber er habe ja eine nachtsonne malen wollen, in der nacht sei die sonne ja schwarz, „nicht, mama?“, sonst sähe man sie ja, wenn sie nicht schwarz wäre in der nacht! – Und nun, nachdem die Blaaser Kreszenz den Montenegro „in einem zug“ in sich hineingeschüttet gehabt habe, sagt F., habe sie erzählt, wie ihr der Vitus, nachdem sie ihm diese geschichte berichtet gehabt habe, erzählt habe, auch er habe eine schwarze sonne gemalt. „Ja, ja“, jetzt erinnere er sich, er habe immer, immer nur schwarze sonnen gemalt; eine nach der anderen, er erinnere sich: wie er im garten liege, auf dem bauch, wie er eine schwarze sonne nach der anderen male, wie seine mutter komme, wahrscheinlich habe er malend nicht gehört, wie sie ihn gerufen habe, so sehr müsse er in seine schwarzen sonnen versunken gewesen sein. „Essen, Vitus!“, jetzt erinnere er sich, wie sie sich die sonnen anschaut; eine nach der anderen habe sie in die hand genommen und sich angeschaut – und habe endlich gesagt, ihn hochhebend zu sich: „Schön, mein Vitusl, schön! Endlich malt einmal einer die sonne in der nacht – daß man sie sieht!“

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      „Willkommen in der welt!“, so habe ihm sein onkel Ignaz einmal geschrieben, aus Vancouver, wohin der ausgewandert sei nach dem krieg – „ohne sprache, ohne englisch“, habe der Vitus gesagt, sei der da hinüber und habe sich als holzfäller holzflößer ein leben gemacht, „daß er es drin zufrieden gewesen ist“ –, mit „Willkommen in der welt!“ habe ihn, den Vitus, nur ihn habe seine schwägerin morgen für morgen so geweckt und in den sommern und in den wintern –, immer, wenn das wetter einigermaßen „aushaltbar“ gewesen sei, habe sie ihn als erstes hinaus in den obstgarten geschickt: „Als die katzen ins haus durften, durftest du schon hinaus“30, habe ihm der onkel Ignaz geschrieben, habe ihr der Vitus erzählt –: Hinaus und in den „wärmeren jahrzeiten“ auf die paar kurzstämmigen apfelbäume hinauf oder im winter sich kugelnd zwischen den bäumen im schnee und an der gefrorenen wäsche reißend, die – „Wie lang?“ – an sonnigen wintertagen manchmal zum trocknen im freien gehangen sei –, „herumtollend“ also, bis er sich nicht mehr gespürt, bis es ihn „genägelt“ habe in den fingern und an den zehen, wenn er endlich wieder in die warme stube sei; oder watend im kleinen waal, in welchem das brunnenwasser31 aus dem garten hinaus und unterm speltenzaun hindurch und dann über den abhang dahinter hinunter in den Thinne Bach geflossen sei – wie sie sich auch noch erinnern könne, habe die Blaaser Kreszenz gesagt; oder mit den beiden kindheitshunden spielend, bastarde wahrscheinlich, Thea und Fips: an die er sich vielleicht noch erinnere, „wie ich mit denen spiel“, habe der Vitus gesagt, aber vielleicht seien es bloß die drei schwarzweißfotos, acht mal sechs und mit gezacktem rand, auf denen er im sommergarten stehe32: einmal an der hand des vaters, der sich hinunterbeuge zu ihm, während die mutter sich zu einem der hunde bücke, „werweißwarum“, einmal allein und dem einen hund ein paar margeriten hinstreckend, „während der andre im gras nach etwas zu wühlen scheint“, und einmal endlich hutlos in die kamera lächelnd unter dem zu einer tolle gekämmten, weißblonden haar neben dem einen an seiner dreiviertelhose schnuppernden hund, die paar margeriten noch in der linken hand –, vielleicht seien es diese drei fotos, die seiner erinnerung nachgeholfen hätten, und vielleicht hätten sie sie überhaupt erst auf die beine gestellt und in seinen schädel getan: „Willkommen in der welt!“

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      Schon damals, sagt F., in dieser „kurzen zeit der ewigen gegenwart“33, habe die Blaaser Kreszenz gesagt, sei der Kohlhaus Klaus, der etwa gleich alt, der nur ungefähr einen monat jünger gewesen sei als der Vitus, sein freund geworden: „mein kindheitsfreund ein ganzes leben lang“, wie der Vitus immer wieder gesagt habe34; und er sei es, so habe der Vitus weiter gesagt, auch wenn sie sich nach seinem sturz vom baugerüst kaum mehr gesehen hätten, die lebenswege seien danach halt einfach „vollkommen andere“ geworden, geblieben bis zu seinem, bis zu Klaus’ frühem tod. Und auch den Klaus hätte dessen mutter immer, wenn das wetter „einigermaßen aushaltbar“ gewesen sei, bald nach dem aufstehen ins freie geschickt, in den kohlhausschen garten hinaus; und durch eine lücke im zaun, da seien zwei drei spelten „ganz locker“ gewesen, sie hätten sie, habe der Vitus erzählt, immer wieder angelehnt, sodaß man lange nicht draufgekommen sei, wie der Kohlhaus Klaus denn in ihren, den kalberschen obstgarten gelangt sei, durch eine zaunlücke sei der Klaus dann herüber zu ihm, in seinen „kindheitsgarten“, wo sie sich nun die spiele erfunden hätten, die sie dann „einmal oder nie wieder“ ausprobiert hätten – oder die sie gespielt hätten, bis sie, so habe es der Vitus gesagt, „bis wir weit hinausgewachsen waren über unser spiel“35. – Und einmal, habe der Vitus nicht nur einmal erzählt, dabei das erzählte in den details variierend, einzelheiten verändernd, hier das eine weglassend oder dort ein anderes hinzufügend und auch die beteiligten personen vertauschend manches mal, einmal sei so ein spiel fast in den tod hinein. Da hätten sie, wie ja auch die kinder in der grimmschen geschichte Wie Kinder Schlachtens mit einander gespielt haben36, da hätten sie das schweineschlachten nachspielen wollen. Daran erinnere er sich, als sei es gestern gewesen, habe der Vitus gesagt, wahrscheinlich habe er sich dieses spiel „doch zu oft erzählt“. Der Staller Georg, mit einem kalbstrick festgebunden an den einen marillenbaum an der friedhofzugewandten hausmauer, blute schon am hals und der Blasegger Bonifaz hole schon mit einem küchenmesser aus, als in ihr „aufgeheiztes“ gejohle hinein – „Stich ihn ab! Stich ihn ab! Stich endlich den Georg ab!“37 – die Kohlhausmutter plötzlich aufgetaucht sei – und die habe „geschrien wie am spieß“, da seien sie alle „auf und davon“. Manchmal, habe der Vitus gesagt, nein, immer wieder hole ihn dieses schreien mitten im schreiben ein; da bringe er keinen ordentlichen satz mehr aus sich heraus. – Der Klaus habe danach lang nicht mehr zu ihm herüber gedurft; seine mutter, habe er ihm irgendwann erzählt, habe ihn damals im haus eingesperrt; aber auch von den anderen „spielgefährten“ sei in jenem sommer nur noch selten einer zu ihm. Da habe er vielleicht das alleinsein gelernt, das verlassensein –: im garten, „der mir bis dahin wie ein paradiesgarten gewesen war“38, habe der Vitus gesagt, „abenteuerlich übellos“.

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