Zuber. Josef Oberhollenzer

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gewesen ob dieser umarmenden anrede, wie aus dem nichts“, sagt F., sie hätten ja erst am anfang einer noch „vollkommen unsondierten“ bekanntschaft gestanden –, aber vielleicht habe er, „ganz kellneranstand, ganz kellnerhöflichkeit“, auch nur so getan, als höre er das fehlende, das unausgesprochene nicht und denke nun über sie, was sie zuerst, als er sie nicht „höflich korrigiert“ und den bröseln im üblichen, die bestellung bestätigenden wiederholungsritual das fehlende n nicht wie nebenbei und ganz selbstverständlich oder als wäre es schon immer ausgesprochen, schon immer da gewesen, angehängt habe, über ihn gedacht habe – „was wir beide über den kellner gedacht haben!“ –, nämlich, daß das fehlen des n, diese „N-Abwesenheit“, wie sie, so F., in einer innsbrucker vorlesung über den dritten fall vom großen leipziger linguisten Johannes Erben, „wenn ich mich recht erinnere“, einmal genannt worden sei, kein bloßes speisekartenversehen, keine nicht nur „hierzulande übliche speisekartenschluderei“ sei – „ist und gewesen ist“, habe die Blaaser Kreszenz betont –, wie sie von ihnen während des studiums der speisekarte „apostrophiert“ worden sei und wovon sie, „uns zuerst ja nur so aus spaß, bald aber immer wettstreitender uns übertreffend, uns steigernd in einen längst über die ufer der wirklichkeiten geratenen ereiferungs- und ausschließlichkeitsfuror hinein“, als von einem aus schludrigkeit, aus schlampigkeit geborenen, appetithemmenden begrüßungsritual geredet hätten, dem einer – „nicht nur hierzulande, haben Sie gesagt“ – inständig ausgesetzt sei, auch dort, wo man es nicht erwartete, sondern vielmehr ein „krebsartig wucherndes ignorantes unvermögen“ im beherrschen der eigenen sprache. – Und bevor sie dann, endlich, wieder in den kalberschen obstgarten gekommen seien in ihrem gespräch –, als er davor die Blaaser Kreszenz, die ja schulisch nicht weit gekommen sei, wie er zu ihr nicht gesagt habe, noch gefragt habe, wie wohl dieses sprachengespür, diese „stupende sprachempfindlichkeit“ in ihr gewachsen sei, habe sie nur gesagt: „Es ist der Sültzrather gewesen, das war der Kalber Vitus, mein lieber.“

      18Wie ihr leben wohl geworden wäre, hätte sie damals nicht den kalberschen obstgarten durchquert und hätte der Kalber Vitus sich nicht gerade aufgehalten darin in jenen paar augenblicken, habe die Blaaser Kreszenz ihre erzählung der sültzratherschen erzählung immer wieder unterbrochen, dabei ein ums andere mal denselben satz vors ende dieser lebensgeschichtlichen überlegungen stellend: „Daß sogar ein um ein eitzerl verzögerter gang aufs klo ein leben vollkommen umlenken und umleiten kann – oder ein blick aus dem fenster in einem anderen augenblick!“ Manchmal habe sie sich ja nicht mehr von der stelle „derrührt“; denn welche bewegung wohin oder welches stillestehn wie lange noch: veränderte ihr leben doch hinein in ein längeres glück, habe sie sich gefragt, sagt F., habe die Blaaser Kreszenz gesagt, bevor sie dann wieder weiter sei mit ihrem erzählen und zum Kalber Vitus zurück.

      19Vgl. die in kindergartenkreisen „sehr different“ interpretierte stelle in Vitus Sültzrathers neunzehntem notizbuch: „Hätte ich in Urgroßmutterzeiten gelebt; und hätte ich damals von heute aus denken können; oder wäre die Zeit ein Meer: In die oberlinsche Strickschule wär ich mit Freuden hinein, schon wegen Oberlin. – (Was für eine wunderbar verrückte, traumhaft gesätzte Geschichte Georg Büchner aus dem Lenz-Bericht Oberlins in die Welt gestrickt hat!) – In einen fröbelschen Kindergarten hätte mich kein Sarner Ochse erzogen; außer er wäre wegen der angezeigten atheistischen Umtriebe schon verboten gewesen. – Im ungarischen Buda, heißt es, sei anno 1820 von einer gewissen Teréz Gräfin von Brunszvik erstmals eine Art ‚Kindergarten‘ gegründet worden, der kam aber als ‚Engelgarten‘ daher; der Name allein hätte mich hineingezaubert, mein Gott! – Wie gut, daß ich in ein kindergartenloses Nest geboren wurde; wer weiß, was aus mir geworden wär!“ (Vitus Sültzrather, Notizbuch Nº 19, Aibeln 1995, S. 37)

      20Es sei, sagt F., selbstverständlich nichts als ein bösartiges gerücht, daß der Jonas „sültzratherschen ursprungs“ sei, wie von manch einem in Aibeln immer noch gemunkelt werde: „Das käme dann doch einem wunder gleich!“ Da sei schon eher eine jungfräuliche geburt – –: „Aber lassen wir das“, er wolle hier nicht ins blasphemische –: „Aus!“

      21„Auch Gärten, die aneinander grenzten und ihre Obstbaumzweige einander zureichten und ihre Zwetschen, Kirschen, Pflaumen, Äpfel und Birnen über lebendige Hecken weg nachbarschaftlich austheilten, gab es da noch zu unserer Zeit [..]“ (Wilhelm Raabe, Die Akten des Vogelsangs, Berlin 1896, S. 10)

      22Vgl. dazu erstens: „[..] / Hier saß ein Wurzelmann, der Otterhäute frißt; / Dort lag ein Charlatan, hier stund ein Glückstopf offen, / Und reizte manche Faust den reichsten Griff zu hoffen; / [..]“ (Johann Christian Günther, Träumende Gedanken bey Herrn Johann Christian Ernesti Philosophischer Doctorwürde. 1716. den 30. Apr., in: Johann Christian Günthers Gedichte. Sechste, verbesserte und geänderte Auflage, Breslau und Leipzig 1764, S. 559); oder zweitens: „[..] / Wir werffen das gelück in glückstopff immerhin, / Und können doch nicht draus errettung uns erwerben. / [..]“ (Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, Roselinde und Sophronille beklagen ihren einsamen Zustand, in: Herrn von Hoffmannswaldau und anderer Teutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte vierdter Theil, Leipzig 1710, S. 3)

      23Hier habe er, weswegen er mit seinen gedanken wohl kurz abwesend gewesen und darum vom anderen, dem dritten buben nun nichts mitbekommen habe, sagt F., an den anfang des herrlichen Tristram Shandy denken müssen. „Schauen Sie, da steht’s. Und wenn Sie’s zitieren wollen: Laurence Sterne, Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman. Band I, Zürich 1983, S. 9: ‚Ich wünschte, entweder mein Vater oder meine Mutter, oder fürwahr alle beide, denn von Rechts wegen oblag die Pflicht ihnen beiden zu gleichen Teilen, hätten bedacht, was sie da trieben, als sie mich zeugten ; hätten sie gebührend in Betracht gezogen, wie viel von dem abhing, was sie gerade taten ; –– daß es dabei nicht nur um die Hervorbringung eines vernünftigen Wesens ging, sondern‘, hören Sie zu: ‚daß womöglich die glückliche Bildung und Beschaffenheit seines Körpers‘ – undsoweiter, ja –“; ja, daran habe er gedacht, sagt F., und dabei wohl den anderen buben verpaßt.

      24Tagebucheintrag Vitus Sültzrathers aus dem jahr 1969, datiert mit „Sonntag, 18. Mai“: „Jahrtag: Es ist noch kein Dichter vom Himmel gefallen – außer mir.“ (Isidor Sültzrather (Hg.), Vitus Sültzrather, Tagebücher 2, Klausen 2016, S. 67)

      25„Aperiodisch, Kreszenz, komm aperiodisch!“, habe der Vitus mehr als einmal zu ihr gesagt; und als sie ihn gefragt habe, was das denn bedeuten solle und ob es vielleicht bedeuten solle, daß sie unregelmäßig zu ihm kommen solle, da habe er ihr nur immer geantwortet: „Nein, Kreszenz, das nicht; sondern komm, Kreszenz, wenn du kommen willst. Dann vielleicht oszilliere ich doch einmal vom unbewegten ins bewegte hinein – und verglüh.“ Immer habe er am schluß nach einer pause „und verglüh“ gesagt; und sie vermute nur, was er habe sagen wollen mit diesen sätzen, die sich in ihr hirn, die in ihr gedächtnis sich derart eingegraben hätten, wie es ihm – „im gegenteil“ – nicht gelungen sei, sich hinüberzugraben, „mit den bloßen händen, mein gott!“, unter der friedhofsmauer hinüber, vom kalberschen obstgarten aus, zu den toten nachbarn hinab. Das habe ihr die Rut erzählt, habe die Blaaser Kreszenz gesagt: „Mit der haben Sie ja auch geredet, hab ich gehört. Nicht?“ – Vgl. auch den tagebucheintrag Vitus Sültzrathers aus dem jahr 1999, datiert mit „Montag, 23. August“: „Granitstufen und eine Mauer verhindern die Vertreibung aus meinem Paradies; da nützen alle Äpfel nichts, die mir meine schöne Rut manchmal klaubt.“ (Isidor Sültzrather (Hg.), Vitus Sültzrather. Tagebücher 4, Klausen 2018, S. 17)

      26Vgl. dazu die passage in Vitus Sültzrathers roman Wie ein Taubenschlag (Heidelberg 1973, S. 126 f.), wo er Isidor Harrer, jenen „Redner für jede Gelegenheit“, wie dieser für sich auf seiner visitenkarte wirbt, in dessen schließlich mit einem eklat endenden totenrede auf den befreundeten antiquar Simon A. Bendroth sprechen läßt: „Und so grub er, als er alt geworden und ‚zu nichts mehr nütze‘

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