Zuber. Josef Oberhollenzer

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geschaut hätten, sich die auseinander-, die ineinanderfließenden wolkenbilder erzählend, diesen „tag für tag neuen wolkenfilm“.40

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      Und dann, dann sei schon alles anders gewesen; sein körper, er erinnere sich41, sein kleiner körper habe es geahnt; das selbstverständliche sei ihm verschwunden daraus. Plötzlich sei das plätschern des wassers nicht mehr einfach da gewesen42 .. und die bienen, die blüten, die schmetterlinge, der schnee .. oder die katzen, die hunde und all das vogelvieh; da sei die gegenwart plötzlich in eine zukunft hinein, von der er gern gewußt hätte, „wie sie werden wird“, da habe die gegenwart, „allumfassend bis dahin“, sich einer vergangenheit zugeneigt.43 – „Sehen Sie“, habe die Blaaser Kreszenz gesagt, „wie ich mich noch erinnere daran, wie er es gesagt hat, der Vitus, der lügenbaron!“ Denn sie glaube ja nicht, „daß sich einer so erinnern kann“; sie selbst wisse kaum etwas aus ihren ersten jahrn: „Da ist das meiste hinein in jenen famosen vergessensschlund, von dem der Vitus in seinem Traumschleifer so schön geschrieben hat.“ – Und dann sitze er vorm haus, auf den kaum behauenen steinstufen vorm offenen tor, es sei sommer und die mutter mahne ihn, daß er etwas lernen, ja, daß er etwas üben soll; er erinnere sich nicht mehr, was; nämlich bald schon, bald fange die schule an. Zu was üben jetzt, zu was lernen, habe er empört gesagt – vor allem an die empörung erinnere er sich, „noch immer spüre ich sie“; auch wo er nichts mehr spüre, sei diese empörung seines siebten sommers immer noch da –, wozu sollte er dann im herbst noch in die schule gehn? – „So hat es der Vitus erzählt“, sie erinnere sich; so habe es der Vitus erzählt, sie erzähle nur nach, sie erzähle nur nach, sie –44

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      Da habe er das gespräch in eine andere richtung zu lenken versucht, sagt F., wovon er jetzt aber nicht reden werde, das sei hier nicht von belang. – Aber dann, sie seien, wie er irgendwann aufschauend bemerkt habe, die letzten gäste gewesen in der oberen stube des Wirtshauses Vögele, und nach dem kellner rufend sei seine rechte hand ihrer linken hand „unwillentlich“ vielleicht etwas zu nahe gekommen –, wahrscheinlich darum habe die Blaaser Kreszenz aus einer innentasche ihres graublauen blazers ein blatt genommen und wortlos ihm hingelegt. Als er nun vielleicht einen augenblick zu lange und zu fragend aufs blatt geschaut habe, sagt F., ohne es in die hand zu nehmen, da habe die Blaaser Kreszenz gesagt: „Da habe ich vorgestern begonnen, etwas aufzuschreiben über den Vitus für Sie“; wie er so als kind gewesen sein soll, habe sie gesagt. Und so habe er zu lesen begonnen, sagt F.: „In Aibeln erzählt man sich so. Der Vitus sei schon als Kind manchmal stundenlang wie weg gewesen, nicht mehr ansprechbar, auf den Knien sei er durchs Haus gerutscht und habe sich und der Luft Geschichten erzählt von Menschen, die es nie gegeben habe. Bald habe ihm keiner mehr zugehört, ja man habe sein Reden schließlich wie das Rauschen des Thinne Bachs nicht mehr gehört; als ob man ihn vergessen hätte, ‚als ob wir ihn ganz vergessen hätten‘, habe seine Mutter manchmal erschrocken gesagt. Und dann wieder – immer wieder, vielleicht ein paarmal im Jahr – sei er plötzlich jemandem hinterher und habe sich an dessen Beine geklammert, als wolle er ihn aufhalten, oft habe er sich an die Kittel der Frauen gehängt. Einmal sei er einer alten Frau unter ihr knöchellanges Kleid, daß die hellauf gejauchzt habe – und die einen sagen, als sei der Teufel hinter ihr her, und die anderen jedoch, als hätte sie – juschtla für einen Augenblick – die Lust, die zuflure gegangene Lust – –“ Und so weiter, und mehr; aber hier ende er; und sie solle mehr schreiben darüber, habe er zur Blaaser Kreszenz gesagt, „viel mehr“.

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      Die kindheit sei eine chimäre, habe der Vitus gesagt (und die Blaaser Kreszenz habe gesagt: „Was auch immer das ist!“), und die erinnerung obendrauf. „Dann hören wir auf“, sagt F. – und zahlt. – Aber noch in derselben nacht sagte er schon Zenzi zu ihr.

      10„PARADIES, n., ahd. paradîsi, paradîs, mhd. paradîse, paradîs, pardîs, [..] im älteren nhd. paradeise, paradeis (ei = mhd. î), [..] mit hebr. pardês aus dem zend. pairidaêza (umhegung, eingehegter garten) [..]“ (Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. 16 Bde. in 32 Teilbänden, Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971, Bd. 13, Sp. 1453)

      11Durs Grünbein, Die Jahre im Zoo, Berlin 2015, S. 38

      12W. G. Sebald, Echos aus der Vergangenheit. Gespräch mit Piet de Moor (1992), in: „Auf ungeheuer dünnem Eis“. Gespräche 1971 bis 2001, Frankfurt am Main 2011, S. 72

      13Daß der Vitus Sültzrather häufig mit sich selbst geredet habe, sei in Aibeln nicht der rede wert gewesen, habe man ihm gesagt, sagt F.; und doch habe manch eine, habe die eine oder der andere – etwas leiser werdend vielleicht und wie unauffällig um sich schauend, ob da keiner sei, der –, sich länger als notwendig im friedhof aufgehalten: an die einfriedungsmauer zum kalberschen obstgarten hin gelehnt –: „bloß um zu hören, was der so daherredet zu sich selbst“. Und hin und wieder habe man dann halt, wenn das wetter erschöpft gewesen sei und man die verstorbenen ausgeredet gehabt habe, über „dieses selbstgerede“ des Kalber Vitus geredet.

      14Auch wenn in diesem an den friedhof grenzenden oder, wie die Rut einmal so schön gesagt habe, „sich anlehnenden“ garten die längste zeit auch ein zwetschken-, ein birnen-, ein marillen- und zwei kirschbäume gewesen seien und dazu an den rändern, wie die nachbarn es ihm erzählt hätten, sagt F., noch himbeersträucher, rote und weiße johannisbeersträucher, grüne und blaue stachelbeersträucher, so sei dieser garten, auch wenn die Kreszenz Jaist, die aufgrund des hofna-mens von allen selbstverständlich Blaaser Kreszenz genannt worden sei, weshalb auch er sie so nennen werde im folgenden – ein nachname nämlich, sagt F., sei ja in wahrheit nichts als eine „behördliche krücke“, ein wenigstens auf dem land ein leben lang als fremd empfundener „überwurf“ –, auch wenn also die Blaaser Kreszenz im „vögelegespräch“ immer vom kalberschen obstgarten geredet habe, so sei der, sagt F., aufgrund der offensichtlichen überzahl an apfelbäumen doch mehr ein apfel- als ein obstgarten gewesen. – „Nicht?“ (Vgl. dazu das Notizbuch Nº 5, Aibeln 1971, wo Vitus Sültzrather auf S. 26 schreibt: „Jonathan, Weißer Klarapfel, Gravensteiner, Berner Rosenapfel, James Grieve und Goldparmäne heißen meine ersten Berge, wie ich jetzt weiß. Dieses Apfelbaumgebirge als mein erstes Klettergebiet. Und die Kirschbäume darin, prahlend und prunkend: Große Schwarze Knorpelkirsche?, Kassins Frühe Herzkirsche? Dort am Rande der Zwetschkenbaum, immer noch namenlos, und der unbestiegene Marillenbaum am Haus.“)

      15Und wie die Blaaser Kreszenz „quasi beiseitesprechend“ oder „wie in einer fußnote“ ergänzt habe, ergänzt F. später bzw. bei anderer gelegenheit seinen bericht über den bericht der Blaaser Kreszenz über das ihr von Vitus Sültzrather über seine kindheit berichtete, habe es andere beerenarten in den meisten aibelner gärten ja nicht gegeben. Denn stachelbeeren etwa habe damals kaum einer gekannt; und himbeeren oder erdbeeren seien bloß „in der freien natur“, also am rande von wegen, von wäldern, auf waldlichtungen oder auch bei steinmauern vorgekommen.

      16„Ja, richtig, stimmt“, bestätigt F. die hier vermutete gewohnheit auf eine nachfrage hin, auch das treffen mit Rut Thinnebach habe ja im Wirtshaus Vögele stattgefunden – „Wie das hirn die gewissheiten verliert!“ –, und so etabliere es sich eigentlich mehr und mehr als der eigentliche ort sültzratherschen erinnerns: „Ja.“ Darüber werde auf der nächsten sültzrathertagung zu reden sein.

      17Nicht aus versehen, sagt F., habe die Blaaser Kreszenz beim bestellen des nachtischs das den speisekartenbröseln fehlende n nicht ausgesprochen, „deutlich nicht ausgesprochen“, so F.: „sodaß der kellner

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