Zuber. Josef Oberhollenzer

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Zuber - Josef Oberhollenzer страница 9

Zuber - Josef Oberhollenzer Transfer Bibliothek

Скачать книгу

erzählte davon, wie es einmal gewesen war; wie es einmal gewesen war, als er zu werden begann und seine Zukunft sich dehnte wie ein weites, ein noch unbeschriebenes, wie ein gelobtes Land. Aber da hörte ihm schon niemand mehr zu – keiner von euch!“

      27Auf seine spätere nachfrage per e-mail, ob Vitus Sültzrather in diesem zusammenhang auch den begriff des „kindheitsreisenden“ verwendet habe, habe ihm, F., die Blaaser Kreszenz u. a. geantwortet: „[..] und es ist sowieso fraglich, ob der Vitus all das, was ich Ihnen damals im Wirtshaus Vögele als von ihm Gesagtes gesagt habe, genau so gesagt hat. (Meine Wörter purzeln manchmal etwas durcheinander, verzeihen Sie.) Denn mit unserem Körper verändert sich ja sicher auch alles, was in unserem Kopfe ist, in unserem Hirn. Und so altern halt auch unsere Erinnerungen und bekommen Runzeln und Altersflecken. Wie einem dann die Welt, wenn das Augenlicht schwächer wird, mehr und mehr verschwimmt, so wird einem dann wohl die Welt auch verschwimmen im Kopf. ‚Mit der Erinnerung ist es so eine Sache‘, hat zum Beispiel mein Großvater immer gesagt, bevor er wieder für eine Weile still gewesen ist, wenn die Großmutter ihn korrigiert hat im Erzählen. Sie hat ihn oft korrigiert, wahrscheinlich zu oft! Denn in den letzten Jahren hat er kaum mehr etwas erzählt; sogar dann nicht, wenn die Großmutter nicht dabei gewesen ist. Verlassen Sie sich nicht auf meinen Bericht – auch wenn ich immer versucht habe, Ihnen die Wahrheit zu sagen [..]“ (15.05.2018, 17:33)

      28Vgl. folgende notiz Peter Handkes vom „28. Oktober 1982“: „Totschlag findet statt vor dem Tarockspiel, auf einem Umweg (L. ist zu früh dran)“ (Peter Handke, Phantasien der Wiederholung; Losers Geschichte; Die Schwellen, Notizbuch, 160 Seiten, 18.08.1982 bis 16.12.1982, S. 96; zit. nach: https://handkeonline.onb.ac.at/node/384)

      29Er erinnere sich, sagt F., und er erwähne es hier, auch wenn es, wie er glaube, ja im grunde nicht von belang sei – aber wer wisse schon im rechten augenblick, was von belang; drum –, wie plötzlich ein satz in ihm aufgetaucht sei aus dem in all den jahren in ihm längst ins uferlose sich geweiteten wörtermeer: „Bei der ersten Kartenrunde, wo man mich endlich mittun ließ, ging unten auf der Straße ein Leichenzug vorüber.“ (Peter Handke, Der Chinese des Schmerzes, Frankfurt am Main 1983, S. 83; er habe nachgeforscht, sagt F.)

      30Letzthin, so F., habe jemand auf ebay „Lora, die mumifizierte Katze des Dichters Vitus Sültzrather“ angeboten. Ob aber dies nun – er erinnere an den großen Francesco Petrarca, in dessen letztem wohnhaus in Arquà, das sich seit 1870 Arquà Petrarca nenne, man seit langem „die eingetrocknete Mumie der Katze des Sonettenschreibers in einer gläsernen Schachtel über dem Kamin“ bestaunen könne in der sogenannten „stanza della gatta“: „Da ricordare, inoltre, la nicchia in cui è custodita la mummia della gatta che si dice fosse appartenuta al Poeta“, so wirbt der ort, der auf den Euganeischen Hügeln liegt –, ob aber dies nun „endlich“ ein zeichen eines einsetzenden kults um Sültzrather sei? „Was sonst“, sagt F. – und er probiert, ob’s möglich wär: „Aibeln Sültzrather?“ Obwohl, sagt F., dies sei doch noch dazu gesagt, ja sowohl Petrarcas lieblingstier – wie aus älteren porträts „ganz klar“ ersichtlich sei – als auch jenes Sültzrathers wohl nicht eine katze, sondern, „vielmehr“, ein hund gewesen sei: namenlos bei dem einen, Cato bei dem anderen –: „Ob aber die weißfellige Lora auf Laura verweist? .. ‚La testa òr fino, et calda neve il volto‘ / ‚Das Haupt rein Gold und warmer Schnee die Wangen‘ –“

      31Sommers wie winters habe seine mutter am holzverschlaggeschützten trog, „wo das wasser wie selbstverständlich nie zu rinnen aufgehört hat“, die wäsche gewaschen, wenn sie „ersichtlich dreckig“ gewesen sei, habe sie übers waschbrett gerieben und saubergebürstet und dann ausgewrungen, habe die wäsche im ummauerten waschofen in der tiefe des südseits offenen holzverschlags gekocht: Die mutterhände seien dann immer fleischrot gewesen, frostrot wie das vom vater auf dem stubentisch zerteilte fleisch des immer wintervormittags gestochenen schweins, dessen blut er mit einer pfanne habe auffangen dürfen: seit er denken könne, habe der Vitus gesagt, von anfang an und schon in der vorschulischen zeit.

      32Isidor Sültzrather, Mein wunderbarer Großonkel. Erinnerungen an den Dichter Vitus Sültzrather, Klausen 2012, S. 37: „Und dann fand ich in Die helle Kammer. Bemerkung zur Photographie, dem letzten Buch Roland Barthes’, ein Schwarzweißfoto des vielleicht zwei- oder dreijährigen Großonkels an der Hand seines Vaters, mit seiner Mutter daneben und zwei kleinen Hunden mittendrin; und am Rand der linken Seite und sicherlich als Reaktion auf den dortigen Satz ‚Ich betrachtete das kleine Mädchen und fand endlich meine Mutter wieder‘ (rechts, ganzseitig: ein Frauenfoto mit dem Titel ‚Nadar – Mutter oder Frau des Künstlers – 1853‘) fand ich nun die bleistiftliche Anmerkung: ‚Wer ist das, der man einmal war? Ich betrachtete den kleinen Buben und fand mich nicht.‘“

      33Diese formulierung habe die Blaaser Kreszenz „mit ziemlicher sicherheit“ bei Sültzrather aufgeschnappt, sagt F.; „nicht zufällig“ stehe in seinen tagebüchern der satz: „Die Kindheit ist die Zeit der ewigen Gegenwart: Nichts als Jetztzeit all die Zeit, all die ungeteilte Zeit!“ (Isidor Sültzrather (Hg.), Vitus Sültzrather. Tagebücher 4, Klausen 2018, S. 23)

      34Kaum hätten sie kriechen können, habe die alte Mühleggerin einmal auf dem friedhof zu ihm gesagt, als er dem Vitus einen wiesenblumenstrauß aufs grab gelegt habe, sagt F.: „Kaum haben sie kriechen können, sind die beiden schon aufeinanderzu am speltenzaun!“ Und jetzt lägen sie wieder nebeneinander – „und nur durch ein paar schaufeln erde getrennt“.

      35„Und da erfanden wir uns dann Spiele, der Klaus und ich, die wir dann einmal oder auch nie wieder ausprobiert haben – oder die wir dann aber auch spielten Tag für Tag; oder die wir so veränderten, wie uns zumute war. Und die Nachbarskinder, wenn wir sie denn beherbergten in unserm kleinen Paradies, oder meine Schwestern auch: Alle, alle haben sich an unsere Regeln zu halten gehabt.“ (Vitus Sültzrather, Notizbuch N° 19, Aibeln 1995, S. 93)

      36Nachzulesen etwa in den Kinder- & Hausmärchen, gesammelt durch die Brüder Grimm. Ganz Große Ausgabe in 3 Bänden, Bd. 3, Leipzig 2012, S. 23–24.

      37„VND als sie kamen an die stet / die jm Gott saget / bawet Abraham daselbs einen Altar / vnd legt das holtz drauff / Vnd band seinen son Jsaac / legt jn auff den Altar oben auff das holtz / Vnd recket seine Hand aus / vnd fasset das Messer / das er seinen Son schlachtet.“ (1. Mose 22, 9–10; Luther 1545: Letzte Hand)

      38„Ich befand mich in einem von den anmuthigen, mit unzähligen schönen Bäumen besetzten Lustgärten, die man in dem Persischen Asien Paradiese zu nennen pflegt.“ (Christoph Martin Wieland, Aristipp und einige seiner Zeitgenossen. Dritter Band, in: C. M. Wielands Sämmtliche Werke. Fünf und Dreyssigster Band, Leipzig 1801, S. 303)

      39Tagebucheintrag Vitus Sültzrathers aus dem jahr 1987, datiert mit „Sonntag, 26. Juli“: „Klaus ist tot, mein Kindheitsfreund ein ganzes Leben lang. – Wie komm ich nur die Stufen hinauf an sein Grab? – Am Ende, Klaus, aber werde ich wieder neben dir liegen, wenn sie mich die Granitstufen hinaufgetragen, wenn sie mich ins Grab versenkt haben neben deinem Grab. Daß wir Kalberschen auch im Friedhof noch Nachbarn der Kohlhausschen sind, wie gut! – Was werden wir uns zu erzählen haben, Klaus?“ (Isidor Sültzrather (Hg.), Vitus Sültzrather. Tagebücher 3, Klausen 2017, S. 1)

      40„[..] // Now shall I make my soul, / Compelling it to study / In a learned school / Till the wreck of body, / Slow decay of blood, / Testy delirium / Or dull decrepitude, / Or what worse evil come – / The death of friends, or death / Of every brilliant eye / That made a catch in the breath – / Seem but the clouds of the sky / When the horizon fades, / Or a bird’s sleepy cry / Among the deepening shades.“ (William Butler Yeats, The Tower, in: The Collected Poems of W. B. Yeats, Hertfordshire 1994,

Скачать книгу