Heimatlos (mit Illustrationen). Johanna Spyri

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Heimatlos (mit Illustrationen) - Johanna Spyri

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ist. Immer ist es so, wenn Rico zu singen aufhört.«

      Dem Lehrer selbst war es nicht so ganz unbekannt, daß die Geige am sichersten ging, wenn Rico fest mitsang.

      »Rico, Rico, was muß ich hören!« sagte er ernst. »Du bist sonst ein ordentliches Büblein, aber Unaufmerksamkeit ist ein großer Fehler, das hast du jetzt gesehen. Ein einziger unachtsamer Schüler kann einen ganzen Gesang verderben. Jetzt wollen wir noch einmal anfangen, und du paßt auf, Rico!«

      Nun setzte Rico mit fester, klarer Stimme ein, die Geige folgte nach, und alle Kinder sangen aus allen Kräften mit, so daß es bis zum Schluß herrlich anzuhören war. Da war der Lehrer sehr zufrieden und rieb sich die Hände, machte noch ein paar feste Striche auf der Geige und sagte vergnügt: »Es ist auch ein Instrument danach.«

      Des alten Schullehrers Geige

      Vor der Tür hatten sich Stineli und Rico bald aus dem Rudel herausgemacht und zogen zusammen ihren Weg.

      »Hast du vor lauter Staunen nicht mehr mitgesungen, Rico?« fragte Stineli jetzt. »Ist dir etwa auf einmal der See in den Sinn gekommen?«

      »Nein, etwas anderes«, sagte Rico. »Ich weiß jetzt, wie man spielt ›Ihr Schäflein hinunter‹. Wenn ich nur eine Geige hätte!«

      Der Wunsch schien Rico schwer auf dem Herzen zu liegen, denn er kam mit einem tiefen Seufzer heraus. Stineli war gleich voller Teilnahme und unternehmender Gedanken.

      »Wir wollen zusammen eine kaufen«, rief es plötzlich voller Freude über die Hilfe, die ihm eingefallen war. »Ich habe sehr viele Pfennige von der Großmutter, etwa zwölf. Wie viele hast du?«

      »Gar keinen«, sagte Rico traurig. »Der Vater hat mir ein paar gegeben, bevor er fortging. Aber die Base hat gesagt, ich mache nur unnützes Zeug damit, und hat sie genommen und ganz hoch hinauf in den Kasten gelegt. Da kann man sie nicht mehr bekommen.«

      Aber Stineli ließ sich nicht so schnell entmutigen. »Vielleicht haben wir doch genug Geld, und die Großmutter gibt mir schon noch etwas«, sagte es tröstend. »Weißt du, Rico, eine Geige kostet nicht soviel; es ist doch nur altes Holz und vier Saiten darübergespannt, das kostet nicht viel. Du brauchst nur den Lehrer morgen zu fragen, was eine Geige kostet, und dann suchen wir eine.«

      So blieb es ausgemacht, und Stineli dachte, es wolle daheim tun, was es nur könne, und ganz früh aufstehen und das Feuer anmachen, bevor nur die Mutter auf sei; denn wenn es so von früh bis spät immerfort etwas tat, steckte ihm die Großmutter gewöhnlich einen Pfennig in die Tasche.

      Am folgenden Morgen, als die Schule aus war, ging Stineli allein hinaus. An der Ecke vom Schulhaus stand es still hinter dem Holzhaufen und wartete auf Rico, der jetzt den Lehrer wegen der Geige fragen sollte. Er kam lange nicht heraus und Stineli guckte immer wieder mit Ungeduld hinter dem Holze hervor, allein es waren nur die anderen Buben, die noch da und dort herumstanden. Aber jetzt – richtig, Rico kam um den Holzhaufen herum. Da war er.

      »Was hat er gesagt, was kostet sie?« rief Stineli mit angehaltenem Atem vor Erwartung.

      »Ich habe nicht fragen können«, antwortete Rico verzagt.

      »Oh, wie schade!« sagte Stineli und stand verblüfft da, aber nicht lange. »Das bleibt sich gleich, Rico«, sagte es wieder fröhlich und nahm ihn zum Heimgehen bei der Hand, »du kannst dann morgen fragen. Ich habe auch schon wieder heute früh von der Großmutter einen Pfennig bekommen, weil ich schon auf war, als sie in die Küche kam.«

      Nun ging es aber am folgenden Tage wieder genau so und am dritten auch. Rico blieb immer eine halbe Stunde lang vor der Wohnstube des Lehrers stehen und wagte nicht, hineinzugehen und seine Frage zu tun. Da dachte Stineli heimlich: Wenn er noch drei Tage lang nicht fragt, dann frag' ich. Aber am vierten Tage, als Rico wieder nachdenklich und zaghaft vor der Tür stand, ging diese plötzlich auf, und der Lehrer trat eilig heraus und stieß so gewaltig gegen den Rico an, daß das federleichte Büblein ein gutes Stück rückwärts flog. Voller Erstaunen und heftigem Unwillen stand der Lehrer da. »Was ist das, Rico?« fragte er jetzt, als der Kleine wieder am Platze stand. »Warum kommst du an die Tür und klopfst nicht an, wenn du etwas auszurichten hast? Wenn du aber nichts auszurichten hast, warum entfernst du dich nicht? Solltest du mir aber etwas zu berichten haben, so kannst du's gleich hier sagen. Was wolltest du?«

      »Was kostet eine Geige?« stürzte Rico vor lauter Angst hastig hervor.

      Des Lehrers mißbilligendes Erstaunen wuchs sichtlich. »Rico, was soll ich von dir denken?« fragte er mit strenger Miene. »Kommst du deshalb an die Tür deines Lehrers, um unnütze Fragen an ihn zu richten? Oder hast du eine Absicht? Was hast du damit sagen wollen?«

      »Ich habe nichts sagen wollen«, entgegnete Rico schüchtern, »nur fragen, was eine Geige kostet.«

      »Du hast mich nicht verstanden, Rico. Paß jetzt auf, was ich dir sage: Ein Mensch spricht etwas aus und denkt sich dabei einen Zweck; oder er denkt sich nichts dabei, das sind dann unnütze Worte. Nun paß auf, Rico: Hast du soeben diese Frage gemacht aus gar keinem Grunde oder aus Neugierde, oder hat dich jemand geschickt, der gern eine Geige anschaffen will?«

      »Ich möchte gern eine kaufen«, sagte Rico ein wenig herzhafter; aber er erschrak sehr, als der Lehrer ihn mit einem Male voller Zorn anfuhr: »Was? Was sagst du da? So ein – verlorenes, unvernünftiges, welsches Büblein, wie du eins bist, eine Geige kaufen? Weißt du denn, was eine Geige ist? Weißt du, wie alt ich war und was ich gelernt hatte, bevor ich eine Geige anschaffen konnte? Lehrer war ich, fertiger Lehrer, zweiundzwanzig Jahre alt und stand in meinem Beruf! Und jetzt so ein Büblein, wie du es bist! Und jetzt will ich dir sagen, was eine Geige kostet, dann kannst du deinen Unverstand ermessen. Sechs harte Gulden habe ich dafür bezahlt; kannst du dir die Summe vorstellen? Wir wollen sie gleich einmal in Pfennige auflösen: Enthält ein Gulden 100 Pfennige, so enthalten sechs Gulden 6X100 – gleich? – gleich? – Nun, Rico, du bist doch sonst keiner von den Dummen – gleich?«

      »Gleich 600 Pfennige«, ergänzte Rico leise, denn der Schreck versagte ihm die Stimme, als er die Summe überschaute und Stinelis zwölf Pfennige damit verglich.

      »Und dann, Büblein«, fuhr der Lehrer weiter fort, »was denkst du dir? Meinst du, man nimmt eine Geige nur in die Hand und spielt? Da muß einer anders dran, bis er soweit ist. Komm gleich einmal hier herein« – und der Lehrer machte die Tür auf und nahm die Geige von der Wand. »Da, nimm sie einmal in den Arm und den Bogen in die Hand. So, Büblein, und wenn du mir nun c d e f herausbringst, so geb' ich dir gleich einen halben Gulden.« Rico hatte wirklich die Geige im Arm; seine Augen leuchteten wie Feuer auf. C d e f – spielte er fest und ganz richtig. »Du Erzblitzbub«, rief der Lehrer vor Bewunderung aus, »woher kannst du das? Wer hat dich's gelehrt? Wie kannst du die Töne finden?«

      »Ich kann noch etwas, wenn ich's spielen darf«, sagte Rico und schaute voller Verlangen auf das Instrument in seinem Arm.

      »Spiel's!« nickte der Lehrer. Jetzt spielte Rico voller Sicherheit und mit freudestrahlenden Augen:

      »Ihr Schäflein hinunter

       Von sonniger Höh',

       Der Tag ging schon unter,

       Für heute ade!«

      Der Lehrer hatte sich auf einen Stuhl niedergelassen und die Brille aufgesetzt. Er schaute jetzt mit ernster Prüfung auf Ricos Finger, dann auf seine funkelnden Augen, dann wieder auf die Finger. Rico hatte fertiggespielt.

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