Heimatlos (mit Illustrationen). Johanna Spyri

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Heimatlos (mit Illustrationen) - Johanna Spyri

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Silser See

      Das Stineli kam vor Freude die ganze Woche durch gar nicht mehr ins Gleichgewicht, ja, es schien ihm so, als habe diese Woche zehn Tage mehr als jede andere, denn es wollte gar nicht Sonntag werden.

      Als er aber endlich kam und eine goldene Sonne über die Herbsthöhen leuchtete und es mit dem Rico oben bis zu den Tannen stieg und der glitzernde See vor ihnen lag, da kam eine solche Freude über das Stineli, daß es rings im Moos herumhüpfen und jauchzen mußte. Dann setzte es sich auf den äußersten Rand am Abhang, damit es alles sehen konnte, die sonnigen Höhen und den See und weit hinüber den blauen Himmel.

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      Nun rief es: »Komm, Rico, hier wollen wir singen, lang, lang!«

      Da setzte sich der Rico neben das Stineli und machte seine Geige zurecht, denn die war mitgekommen.

      Nun fing er an, und die Kinder sangen:

      »Ihr Schäflein hinunter

       Von sonniger Höh' –«

      alle Verse durch, aber Stineli hatte noch lange nicht genug.

      Und nun fingen sie wieder von vorne an und sangen ihr Lied hintereinander durch und hatten eine große Freude daran, und wenn sie es fertiggesungen hatten, so fingen sie noch einmal an und dann noch einmal und sangen das Lied wohl zehnmal durch, und je mehr sie sangen, desto besser gefiel es ihnen.

      Vor lauter Gesang hörten sie auch gar nichts von der Betglocke, und erst als es zu dunkeln anfing, merkten sie, daß es Zeit war, heimzugehen. Schon von fern sahen sie die Großmutter, wie sie ängstlich umherschaute.

      Diesmal freilich war Stineli zu sehr im Feuer, um von einer Besorgnis gedämpft zu werden. Es rannte auf die Großmutter zu und rief: »Du wirst es nicht glauben, Großmutter, wie gut der Rico geigen kann, und wir haben jetzt ein eigenes Lied, nur für uns. Wir wollen dir's gleich vorsingen.«

      Und eh die Großmutter nur ein Wort sagen konnte, sangen sie schon mit heller Stimme zu der Geige ihr ganzes Lied durch, und die Großmutter hörte die frischen Stimmen gerne. Sie hatte sich auf das Holz gesetzt, und als die Kinder nun zu Ende waren, sagte sie: »Komm, Rico, jetzt mußt du mir auch noch ein Lied spielen, und wir wollen es miteinander singen. Kennst du das Lied ›Ich singe dir mit Herz und Mund‹?«

      Nun fingen sie an, und vor jedem Vers sagte die Großmutter den Kindern die Worte, und so sangen sie alle fröhlich miteinander.

      »So«, sagte die Großmutter zufrieden, »das war ein rechter Abendsegen, jetzt könnt ihr in Frieden zur Ruhe gehen, Kinder.«

      Ein rätselhaftes Ereignis

      Als Rico später als sonst in das Häuschen eintrat, denn über dem Gesang war wohl noch eine halbe Stunde vergangen, schoß ihm die Base entgegen.

      »Fängst du jetzt so an?« rief sie. »Das Essen stand eine Stunde lang auf dem Tisch, jetzt ist's fort. Geh nur gleich in deine Kammer, und wenn du ein ganzer Vagabund und Lump wirst, so bin ich nicht schuld. Ich wollte lieber ich weiß nicht was tun, als einen Buben hüten, wie du einer bist.«

      Rico hatte nie ein einziges Wörtlein geantwortet, wenn die Base ihn schmähte, aber an dem Abend schaute er sie an und sagte: »Ich kann Euch schon aus dem Weg gehen, Base.«

      Sie schob den Riegel an der Haustür vor, daß es klatschte, dann fuhr sie in die Stube hinein und schlug die Tür hinter sich zu. Rico ging in seine dunkle Kammer hinauf. Am folgenden Tage, als drüben die ganze große Familie, Eltern, Großmutter und alle Kinder beim Abendessen saßen, kam die Base herübergelaufen und rief in die Stube hinein, ob sie etwas vom Rico wüßten, sie wisse nicht, wo er sei.

      »Der wird schon kommen, wenn's ans Abendessen geht«, antwortete der Vater geruhlich.

      Nun kam aber die Base ganz in die Stube hinein, denn sie hatte gedacht, sie brauche den Buben nur herauszurufen, er werde wohl da sein. Nun erzählte sie, er sei schon zum Morgenessen nicht gekommen und zum Mittagessen nicht, und im Bett sei er auch nicht gewesen, das sei noch wie gestern abend. Sie glaube fast, der sei schon am frühesten Morgen vor Tag auf seine Lumpereien ausgegangen, denn der Riegel sei inwendig von der Haustür weggeschoben gewesen, als sie auftun wollte. Sie habe aber zuerst gedacht, sie habe vor Ärger vergessen, ihn zuzustoßen, denn es wisse kein Mensch, was sie für Ärger habe.

      »Dem hat's etwas gegeben«, sagte der Vater unentwegt. »Er wird vielleicht in eine Spalte am Berg oben hineingefallen sein. Das gibt es manchmal bei so schmalen Buben, die überall herumklettern. Ihr hättet es ein wenig früher sagen sollen«, fuhr er langsam fort, »man wird ihn suchen müssen, und des Nachts sieht man nichts.«

      »Es glaubt es kein Mensch« – rief sie aus und sagte damit eine große Wahrheit – »was für ein heimtückischer, hinterlistiger, verstockter Bub der ist und wie er mir das Leben seit vier Jahren schwergemacht hat. Ein Vagabund wird er, ein Landstreicher und schädlicher Lump!«

      Die Großmutter hatte schon lange zu essen aufgehört. Sie war vom Tisch aufgestanden und vor die Base hingetreten, die immer noch lärmte.

      »Hört auf, Nachbarin, hört auf!« hatte die Großmutter zweimal gesagt, bevor die andere nachgab. »Ich kenne den Rico auch. Seit man das Büblein seiner Großmutter brachte, habe ich es immer gekannt. Wenn ich aber an Eurer Stelle wäre, so würde ich kein Wörtlein mehr sagen, aber ein wenig nachdenken, ob das Büblein, dem ein Unglück begegnet sein kann und das vielleicht schon da droben vor dem lieben Gott steht, ob es da niemanden anzuklagen hat, der in seiner Verlassenheit noch schweres Unrecht mit bösen Worten an ihm getan hat.«

      Der Base war es schon ein paarmal eingefallen, wie sie Rico am Abend angeschaut und gesagt hatte: »Ich kann Euch schon aus dem Weg gehen.« Sie hatte auch nur so furchtbar getobt, um diese Gedanken zu übertönen. Sie durfte die Großmutter nicht ansehen und sagte, sie müsse gehen, vielleicht sei der Rico nun doch heimgekommen, was sie jetzt gern genug gesehen hätte.

      Von dem Tage an sagte die Base nie mehr vor der Großmutter ein Wort gegen den Rico, freilich auch sonst nicht mehr viele. Sie glaubte, wie alle anderen Leute auch, er sei tot, und war froh, daß niemand wußte, was er am letzten Abend zu ihr gesagt hatte.

      Ein wenig Licht

      Aber Stineli wurde stiller und von Tag zu Tag magerer. Die kleinen Kinder schrien: »Das Stineli will nichts erzählen und lacht nicht mehr.« Die Mutter sagte zum Vater: »Siehst du's denn nicht? Es ist ja nicht mehr das gleiche.« Und der Vater sagte: »Das kommt vom Wachsen, man muß ihm am Morgen im Stall ein wenig Geißmilch geben.«

      Doch als drei Wochen so vergangen waren, da nahm die Großmutter eines Abends das Stineli in ihre Kammer hinauf und sagte: »Sieh, Stineli, ich kann es wohl begreifen, daß du den Rico nicht vergessen kannst, aber du mußt doch denken, daß der liebe Gott ihn weggenommen hat, und wenn es so sein mußte, so war es gut für den Rico, das werden wir noch einmal sehen.«

      Da fing das Stineli so zu weinen an, wie es die Großmutter nie an ihm erlebt hatte, und es schluchzte überlaut: »Der liebe Gott hat es ja nicht getan, ich habe es getan, Großmutter. Deshalb muß ich vor Angst ja fast sterben, denn ich habe den Rico angestiftet, an den See hinabzugehen. Nun ist er in die Rüfenen hineingefallen und ist tot, und es hat

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