Heimatlos (mit Illustrationen). Johanna Spyri

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Heimatlos (mit Illustrationen) - Johanna Spyri

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Großmutter war eine schwere Last vom Herzen gefallen. Sie hatte den Rico verloren gegeben, und heimlich hatte sie der quälende Gedanke verfolgt, das arme Büblein sei der bösen Behandlung entlaufen und liege vielleicht drüben im Wasser oder sei im Walde zugrunde gegangen. Jetzt stieg auf einmal eine neue Hoffnung in ihr auf.

      Sie beruhigte Stineli so weit, daß es ihr die ganze Geschichte von dem See erzählen konnte, von der sie gar nichts wußte. Daß der Rico immer von dem See gesprochen und es ihn dahin gezogen hatte und wie Stineli den Weg fand. Es war ganz sicher, daß Rico sich dahin auf den Weg gemacht hatte, aber des Vaters Worte von den Rüfenen hatten das Stineli um alle Hoffnung gebracht.

      Die Großmutter nahm das Kind bei der Hand und zog es zu sich heran. »Komm, Stineli«, sagte sie liebreich, »ich muß dir nun etwas erklären. Weißt du, wie's in dem alten Liede heißt, das wir noch am letzten Abend mit dem Rico gesungen haben?

      ›Denn was Er tut und läßt geschehn,

       Das nimmt ein gutes End.‹

      Siehst du, wenn nun auch der liebe Gott es nicht selbst getan hat, so war doch die Sache in seiner Hand, als du etwas Verkehrtes tatest, denn einem solchen kleinen Stineli wäre er schon noch Meister geworden. Und daß du etwas recht Verkehrtes getan hast, wirst du jetzt für dein Lebtag wissen, und was da herauskommen kann, wenn Kinder in die Welt hinauslaufen und Sachen unternehmen wollen, die sie gar nicht kennen, und niemanden ein Wort davon sagen, nicht den Eltern und nicht der Großmutter, die es gut mit ihnen meinen. Aber nun hat das der liebe Gott so gemacht, und nun dürfen wir bestimmt hoffen, daß alles noch ein gutes Ende nehmen kann.

      Jetzt denk daran, Stineli, und vergiß nie mehr, was du da erfahren hast. Weil es dir aber recht von Herzen leid tut, so darfst du jetzt auch gehen und den lieben Gott bitten, daß er doch noch etwas Gutes aus dem verkehrten Zeug mache, das ihr da angestellt habt, du und der Rico. Dann darfst du auch wieder fröhlich sein, Stineli, und ich bin es mit dir, denn ich glaube zuversichtlich, daß der Rico noch am Leben ist und daß ihn der liebe Gott nicht verläßt.«

      Von dem Tage an wurde Stineli wieder munter, und wenn ihm auch der Rico auf jedem Schritt fehlte, so hatte es doch keine Angst und keine Vorwürfe mehr im Herzen. Tag für Tag schaute es nach der Straße hinüber, ob nicht vielleicht der Rico dort vom Maloja herunterkäme. So ging die Zeit dahin, aber vom Rico hörte man nichts mehr.

      Eine lange Reise

      Rico hatte sich an jenem Sonntagabend in seiner dunklen Kammer auf seinen Stuhl gesetzt. Da wollte er bleiben, bis die Base zu Bett gegangen war.

      Nachdem Stineli die Entdeckung gemacht hatte, wie die Reise nach dem See auszuführen wäre, kam Rico die Sache so leicht vor, daß er sich nur noch überlegen wollte, wann er am besten gehen könne. Er hatte ein Gefühl, daß die Base ihn vielleicht zurückhalten würde, wenn er auch wußte, daß er ihr nicht stark fehlen werde.

      Als sie dann beim Heimkommen so auf ihn losschalt, dachte er: »So will ich gleich gehen, wenn sie im Bett ist.«

      Als er nun so im Dunkeln auf seinem Stuhl saß, dachte er nach, wie schön es sein würde, wenn er nun viele Tage lang die Base nie mehr werde schelten hören, und welch große Büschel von den roten Blumen er dem Stineli mitbringen wolle, wenn er zurückkomme. Und dann sah er die sonnigen Ufer und die violetten Berge vor sich und war eingeschlafen.

      Er war aber nicht in einer sehr bequemen Lage, denn die Geige hatte er nicht aus der Hand gelegt, daher erwachte er nach einiger Zeit wieder, es war aber noch ganz dunkel. Nun fiel ihm aber gleich alles ein. Er war noch in seinem Sonntagsanzug, das war gut. Seine Kappe hatte er noch von gestern her auf dem Kopf, die Geige nahm er unter den Arm, und so ging er leise die Treppe hinunter, schob den Riegel weg und zog in die kühle Morgenluft hinaus. Über den Bergen fing es schon leise an zu tagen und in Sils krähten die Hähne. Er ging tüchtig drauflos, damit er von den Häusern weg und auf die große Straße komme. Nun war er da und wanderte vergnügt weiter, denn da war ihm alles so wohlbekannt, er war oft mit dem Vater da hinaufgegangen. Wie lang es aber dauerte, bis man auf den Maloja gelangte, wußte er nicht mehr so genau, und es kam ihm lange vor, als er schon mehr als zwei gute Stunden gewandert war.

      Nun kam nach und nach der helle Tag, und als er nach noch einer guten Stunde auf dem Platze vor dem Wirtshaus oben am Maloja angekommen war, da, wo er oft mit dem Vater die Straße hinuntergeschaut hatte, da lag ein sonniger Morgen über den Bergen, und die Tannenwipfel waren alle wie von Gold. Rico setzte sich an den Rand der Straße nieder, er war schon recht müde, und nun merkte er auch, daß er seit dem vorhergehenden Mittag nichts mehr gegessen hatte. Aber er war nicht verzagt, denn nun ging es bergab, und danach konnte plötzlich der See kommen. Wie er so dasaß, kam der große Postwagen herangerasselt. Den hatte er schon oft gesehen, wenn er bei Sils vorbeifuhr, und immer dabei gedacht, das höchste Glück auf Erden hätte ein Kutscher, der immerfort mit einer Peitsche auf einem Bock sitzen und fünf Rosse regieren könnte. Nun sah er einmal den Glücklichen in der Nähe, denn der Postwagen hielt an. Rico wandte nun kein Auge von dem merkwürdigen Mann, der von seinem hohen Sitz herunterkam, ins Wirtshaus eintrat und mit riesigen Stücken Schwarzbrot, über welchen ein großer Käse lag, wieder aus dem Hause trat.

      Nun zog der Kutscher ein festes Messer hervor und zerteilte sein Brot, und einem Pferd nach dem anderen steckte er einen guten Bissen ins Maul. Zwischendurch kam er selbst an die Reihe, auf sein Stück Brot kam immer ein großes Stück Käse. Wie sie nun alle zusammen so vergnügt aßen, schaute der Kutscher sich ein wenig um, und mit einem Male rief er: »He, kleiner Musikant, willst du auch mithalten? Komm her!«

      Erst seit Rico das Essen vor sich gesehen, hatte er gemerkt, wie sehr er Hunger hatte. Er folgte gern der Einladung und trat zu dem Kutscher heran. Der schnitt ihm ein herrlich großes Stück Käse ab und legte dieses auf ein viel dickeres Stück Brot, so daß Rico kaum wußte, wie er die Dinge bewältigen solle.

      Er mußte seine Geige ein wenig auf den Boden legen. Der Kutscher schaute freundlich zu, wie Rico in sein Frühstück biß, und während er selbst sein Geschäft fortsetzte, sagte er:

      »Du bist noch ein kleiner Geiger, kannst du denn auch etwas?«

      »Ja, zwei Lieder, und dann noch das vom Vater«, antwortete Rico.

      »So, und wo willst du denn auf deinen zwei kleinen Beinen hin?« fuhr der Kutscher fort.

      »Nach Peschiera am Gardasee«, war Ricos ernsthafte Antwort.

      Jetzt entfuhr dem Kutscher ein so kräftiges Gelächter, daß Rico erstaunt zu ihm aufsah.

      »Du bist ein guter Fuhrwerker, du«, lachte der Kutscher noch einmal. »Weißt du denn nicht, wie weit das ist und daß ein schmales Musikäntlein, wie du eins bist, sich beide Füße mitsamt den Sohlen durchliefe, bevor es einen Tropfen Wasser vom Gardasee gesehen hätte? Wer schickt dich denn dort hinunter?«

      »Ich gehe von selber«, sagte Rico.

      »So etwas ist mir noch nicht vorgekommen«, lachte der Kutscher gutmütig. »Wo bist du daheim, Musikant?«

      »Ich weiß es nicht recht, vielleicht am Gardasee«, erwiderte Rico völlig ernst.

      »Ist das eine Antwort!« Jetzt schaute der Kutscher den Knaben vor sich genau an. Wie ein verlaufenes Bettelbüblein sah der Rico nicht aus. Der schwarze Lockenkopf über dem Sonntagsanzug sah recht stattlich aus, und das feine Gesichtchen mit den ernsthaften Augen trug einen edlen Stempel. Man schaute es gern noch einmal an, wenn man es gesehen hatte.

      Dem Kutscher schien es auch so zu gehen, er schaute den

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