Heimatlos (mit Illustrationen). Johanna Spyri

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Heimatlos (mit Illustrationen) - Johanna Spyri

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Der war ihr erstes und ihr liebstes.‹

      So hat sie's mir erzählt. Dann sei er auf die Bank niedergesessen, wo er zuerst das Marie-Seppli gesehen hatte, und habe gesagt, da wolle er mit seinem Büblein nun bleiben, wenn's der Mutter recht sei, denn dort unten habe er's nicht mehr ausgehalten.

      Das war nun Freud und Leid für die Anne-Dete, Der kleine Rico war vier Jahre und war ein braves, nachdenkliches Büblein, ohne Lärm und Unart. Er war ihre letzte Freude, ein Jahr danach starb sie schon, und man riet dem Trevillo, die Base der Anne-Dete für den Haushalt und das Kind zu sich zu nehmen.«

      »So, so«, machte der Lehrer, als die Großmutter schwieg. »Das habe ich alles nicht so gewußt. Es kann nun sein, daß sich vielleicht Verwandte von dem Trevillo mit der Zeit melden, und man kann sie bitten, etwas für den Knaben zu tun.«

      »Verwandte«, seufzte die Großmutter, »die Base ist auch eine Verwandte, von ihr bekommt er wenig gute Worte im Jahr.«

      Der Lehrer stand mühsam von seinem Sitz auf. »Mit mir geht's bergab, Nachbarin«, sagte er kopfschüttelnd. »Ich weiß nicht, wo meine Kräfte hingekommen sind.«

      Die Großmutter ermunterte ihn und sagte, er sei ja im Vergleich zu ihr noch ein junger Mann. Sie mußte sich aber doch wundern, wie langsam er davonging.

      Ein kostbares Vermächtnis und ein kostbares Vaterunser

      Es kamen nun viele schöne Sommertage, und wo die Großmutter nur konnte, richtete sie es ein, daß das Stineli einen freien Augenblick bekam, aber es gab in dem Hause immer mehr zu tun. Rico stand manche Stunde auf seiner Schwelle und staunte und sah auf die Tür drüben, ob das Stineli wohl käme.

      Im September, wenn die Leute oft noch vor den Häusern saßen, um sich der letzten warmen Abende zu freuen, da saß auch der Lehrer manchmal noch vor seiner Tür, aber er sah ganz abgemagert aus und keuchte immer mehr. Eines Morgens, als er aufstehen wollte, hatte er nicht mehr die Kraft und fiel wieder auf sein Kissen zurück. Da lag er denn ganz still und fing an, allerlei zu bedenken, und wie es werden würde, wenn er sterben müßte. Er hatte keine Kinder, und seine Frau war schon lange gestorben, nur eine alte Magd war noch bei ihm im Hause. Er mußte hauptsächlich nachdenken, wohin alle die Sachen kämen, die ihm gehörten, wenn er nicht mehr da wäre, und weil seine Geige gerade ihm gegenüber an der Wand hing, so sagte er zu sich: »Die müßte ich auch dalassen.« Und der Tag fiel ihm ein, als der Rico hier vor ihm gestanden und gegeigt hatte, und er hätte sie dem Büblein fast eher gegönnt als einem fernen Vetter, der vom Geigen gar nichts verstand. So dachte er, wenn er sie billig verkaufen würde, könnte sie der Rico vielleicht erstehen. Der Vater hatte ihm doch wohl etwas hinterlassen. Da fiel ihm aber ein, daß, wenn er die Geige verlassen müsse, er das Geld auch nicht mehr brauchen könne. Allein er konnte doch ein Instrument, für das er sechs harte Gulden auf den Tisch gelegt hatte, nicht nur so weggeben. So dachte er immer schärfer darüber nach, wie es zu machen wäre, daß er die Geige nicht so für nichts hergeben müßte, und wie sie ihm doch irgend etwas eintrüge. Dann kam ihm immer wieder klar vor Augen, daß dorthin, wohin er die Geige nicht mitnehmen konnte, er auch nichts anderes fortzubringen imstande war und daß all sein Gut hier zurückbleiben werde.

      Das Fieber nahm inzwischen bei ihm mehr und mehr überhand, und gegen Abend und die ganze Nacht durch lag er in einem großen Kampf mit vielen Gedanken. Es stiegen alte Dinge vor seinen Augen auf, die er schon lange vergessen hatte, und verfolgten ihn, so daß er am Morgen sehr erschöpft dalag und nur noch einen Gedanken hatte: Er wolle gern etwas Gutes tun und gleich auf der Stelle ein gutes Werk verrichten.

      Er klopfte mit dem Stock an die Wand, bis die alte Magd hereinkam, und diese schickte er zur Großmutter hinaus, sie solle zu ihm kommen, aber bald.

      Die Großmutter trat auch bald danach in seine Stube, und eh sie nur recht fragen konnte, wie es ihm ginge, sagte er: »Seid so gut und nehmt dort die Geige herunter und bringt sie dem Waisenbüblein. Ich will sie ihm schenken, er soll sie in Ehren halten.«

      Die Großmutter mußte sich aufs höchste wundern und immer wieder ausrufen: »Was wird der Rico machen! Was wird der Rico sagen!«

      Dann sah sie, daß der Lehrer ein wenig unruhig wurde, so, als ob die Sache Eile hätte. Deshalb verließ sie ihn bald und eilte nun, so schnell sie konnte, mit ihrem Geschenk unter dem Arm übers Feld, denn sie konnte es selbst kaum erwarten, daß der Rico sein Glück erführe.

      Der stand vor der Haustür. Auf den Wink der Großmutter kam er ihr entgegengelaufen.

      »Da, Rico«, sagte sie und hielt ihm die Geige hin, »die schickt dir der Lehrer zum Geschenk, sie ist dein.«

      Rico stand da wie im Traum, aber es war so: Die Großmutter streckte ihm wirklich die Geige entgegen.

      »Nimm sie, Rico, sie ist dein«, wiederholte sie.

      Zitternd vor Freude und innerer Aufregung ergriff Rico jetzt seine Geige, nahm sie in den Arm und schaute sie unverwandt an, so als könne sie ihm wieder verlorengehen, wenn er einmal wegginge.

      »Du sollst sie auch in Ehren halten«, ergänzte die Großmutter ihren Auftrag. Sie mußte aber ein wenig lachen, es kam ihr nicht so vor, als ob die Ermahnung nötig sei. »Und, Rico, denk auch an den Lehrer und vergiß nie, was er an dir getan hat. Er ist sehr krank.«

      Nun ging die Großmutter in ihr Haus, und Rico eilte mit seinem Schatz in seine Kammer hinauf.

      Da saß er und strich und geigte fort und fort und vergaß Essen und Trinken und alle Zeit. Erst als es schon fast dunkeln wollte, stand er auf und ging die Treppe hinunter. Die Base kam aus der Küche und sagte: »Du kannst denn morgen wieder essen, heut hast du dich so aufgeführt, daß du nichts bekommst.«

      Rico empfand keinen Hunger, obwohl er seit dem frühen Morgen nichts gegessen hatte. Er hatte auch jetzt nicht ans Essen gedacht und ging ganz getrost ins andere Haus hinüber und gleich in die Küche hinein, er suchte die Großmutter. Stineli stand am Herd und machte das Feuer an. Als es Rico sah, mußte es laut aufjauchzen, denn schon den ganzen Tag, seit die Großmutter erzählt hatte, was geschehen war, hatte ihm der Boden unter den Füßen gebrannt, daß es nicht hinaus konnte, um seine Freude beim Rico auszulassen. Es konnte aber keinen Augenblick fort. Nun war es auch wie außer sich und rief einmal ums andere: »Jetzt hast du sie! Jetzt hast du sie!«

      Durch den Lärm kam die Großmutter aus der Stube, und Rico ging gleich zu ihr und sagte: »Großmutter, kann ich gehen und dem Lehrer danken, weil er doch krank ist?«

      Die Großmutter überlegte ein wenig, denn der Lehrer hatte schon am Morgen recht schwerkrank ausgesehen. Dann sagte sie: »Wart ein wenig, Rico, ich will mit dir gehen«, und ging, um die saubere Schürze anzuziehen. Dann wanderten sie miteinander dem Schulhaus zu. Die Großmutter trat zuerst ein, dann kam ihr Rico leise nach, die Geige im Arm, denn diese hatte er, seit sie ihm gehörte, noch keinen Augenblick weggelegt.

      Der Lehrer lag sehr ermattet da. Rico trat an das Bett heran und schaute dabei auf seine Geige, und er konnte fast nichts sagen, doch seine Augen funkelten so, daß der Lehrer ihn wohl verstanden hatte. Er warf einen frohen Blick auf den Knaben und nickte mit dem Kopfe. Dann winkte er die Großmutter zu sich heran. Rico trat auf die Seite, und der Lehrer sagte mit schwacher Stimme: »Großmutter, es wäre mir recht, wenn Ihr mir ein Vaterunser beten wolltet. Es wird mir so bang.«

      Jetzt hörte man die Betglocke herüberläuten. Rico faltete schnell seine Hände, und die Großmutter faltete die ihrigen und betete ihr Vaterunser. Dann wurde es ganz still in der Stube. Die Großmutter beugte sich ein wenig und drückte dem alten Nachbarn die Augen zu, denn er war verschieden. Dann nahm sie den Rico an der Hand und ging leise

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