Heimatlos (mit Illustrationen). Johanna Spyri

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Heimatlos (mit Illustrationen) - Johanna Spyri

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mußte nun gleich ins Haus hinein, und die Großmutter sagte nur schnell: »Geh du auch gleich hinein, Rico, und bleib nicht mehr vor der Tür stehen.«

      Das hatte die Großmutter noch nie zu ihm gesagt, obwohl er es immer tat. Er hatte nie große Lust, in das Haus hineinzugehen, und stand immer erst eine Zeitlang vor der Haustür, bevor er's tat. Er gehorchte aber der Großmutter aufs Wort und ging gleich hinein.

      Ein trauriges Haus, aber der See hat einen Namen

      Die Base war nicht in der Stube, so ging er wieder hinaus und machte die Küchentür auf. Da stand sie: Aber ehe er nur eintreten konnte, hob sie den Finger in die Höh' und machte: »Bst! Bst! Mach nicht alle Türen auf und zu und keinen Lärm, als kämen vier. Geh in die Stube hinein und halte dich still. Der Vater liegt oben in der Kammer. Sie haben ihn auf einem Wagen gebracht, er ist krank.«

      Rico ging hinein und setzte sich auf die Bank an der Wand und bewegte sich nicht. So saß er eine gute halbe Stunde. Die Base fuhr noch immer in der Küche herum. Da dachte Rico, er wolle leise in die Kammer hineinschauen, vielleicht wolle der Vater auch etwas zu Abend essen, es war schon lange die Zeit dazu.

      Er schlich hinter dem Ofen die kleine Treppe hinauf und kroch in die Kammer hinein. Nach einiger Zeit kam er wieder und ging sofort in die Küche hinaus und bis nahe zur Base heran. Dann sagte er leise: »Base, kommt!«

      Diese wollte ihn eben tüchtig anfahren, als ihre Blicke auf sein Gesicht fielen. Es war völlig ohne Farbe, Wangen und Lippen weiß wie ein Tuch, und aus den Augen schaute er so schwarz, daß ihn die Base fast fürchtete.

      »Was hast du?« fragte sie hastig und folgte ihm unwillkürlich.

      Er ging leise das Treppchen hinauf und in die Kammer hinein. Da lag der Vater mit starren Augen auf seinem Bett. Er war tot.

      »Ach, du mein Gott«, schrie die Base und lief schreiend zur Tür hinaus, die auf der anderen Seite auf den Gang führte, die Treppe hinunter und gleich hinüber in die Stube hinein und rief, der Nachbar und die Großmutter sollten herüberkommen. Dann lief sie zum Lehrer und zum Gemeindevorsteher.

      So kam eins ums andere und trat in die stille Kammer hinein, bis sie voll von Menschen war, denn einer hörte draußen vom anderen, was geschehen sei. Und mitten in dem Gewimmel und den vielen teilnehmenden Worten von all den Nachbarn stand Rico an dem Bett, lautlos und unbeweglich, und schaute den Vater an. – Die ganze Woche durch kamen noch täglich Leute ins Haus, die den Vater ansehen und von der Base hören wollten, wie alles geschehen sei, so daß es Rico immer wieder aufs neue hörte: Sein Vater hatte drunten im St. Gallischen an einer Eisenbahn Arbeit gehabt. Beim Steinsprengen hatte er eine tiefe Wunde in den Kopf bekommen, und da er nun doch nicht mehr arbeiten konnte, wollte er heimgehen, um sich zu pflegen, bis es besser würde. Aber die lange Reise, teils zu Fuß, teils auf offenen Fuhrwagen, hatte er nicht ertragen können, und war am Sonntag gegen Abend daheim angelangt und hatte sich auf sein Bett gelegt und war nicht wieder aufgestanden. Ohne daß ihn jemand gesehen hatte, war er verschieden, denn Rico hatte ihn schon starr ausgestreckt auf dem Bett gefunden. Am Sonntag darauf wurde der Mann begraben. Rico war der einzige Leidtragende, der dem Sarge folgte, einige gute Nachbarn hatten sich noch angeschlossen. So ging der Zug hinüber nach Sils. Dort hörte Rico, wie der Pfarrer in der Kirche laut vorlas: »Der Verstorbene hieß Enrico Trevillo und war gebürtig aus Peschiera am Gardasee.«

      Da war es Rico, als höre er etwas, das er sehr gut gewußt, aber nicht mehr hatte zusammenfinden können. Immer hatte er auch den See vor sich gesehen, wenn er mit dem Vater gesungen hatte:

      »Una sera

       In Peschiera –«

      Aber er hatte nicht gewußt, warum. Leise mußte er die Namen wiederholen, eine Menge alter Lieder stiegen damit vor seinen Augen auf.

      Als er allein zurückgewandert kam, sah er die Großmutter auf dem Holzstumpf sitzen und neben ihr das Stineli. Sie winkte ihn zu sich. Dann steckte sie ihm ein Stück Birnbrot in die Tasche, wie sie vorher dem Stineli auch getan hatte, und sagte, nun sollten sie spazierengehen. Heute solle Rico nicht allein sein. Da wanderten die Kinder zusammen in den hellen Abend hinaus. Die Großmutter blieb auf ihrem Holze sitzen und schaute mitleidig dem schwarzen Büblein nach, bis sie nichts mehr von den Kindern sehen konnte. Dann sagte sie leise für sich:

      »Doch was Er tut und läßt geschehn,

       Das nimmt ein gutes End!«

      Ricos Mutter

      Auf dem Weg von Sils kam auf einen Stock gestützt der Lehrer gegangen. Er hatte an dem Begräbnis teilgenommen. Er hustete und keuchte, und als er nun bei der Großmutter angekommen war und einen »Guten Abend« geboten hatte, setzte er hinzu: »Wenn es Euch recht ist, Nachbarin, so sitz ich einen Augenblick neben Euch. Ich habe es stark im Hals und auf der Brust. Aber was kann unsereins mit bald siebzig Jahren schon sagen, wenn man solche begräbt wie den heute. Er war noch nicht fünfunddreißig und ein Mann wie ein Baum.«

      Der Lehrer hatte sich neben die Großmutter niedergesetzt.

      »Es gibt mir auch zu denken«, sagte diese, »daß ich, eine Alte, Fünfundsiebzigjährige, übrigbleibe und da und dort ein Junges fortmuß, von dem man denkt, es wäre noch nötig gewesen.«

      »Die Alten werden auch noch zu etwas gut sein. Wo wäre sonst ein Beispiel für die Jungen?« sagte der Lehrer. »Aber was denkt Ihr, Nachbarin, was soll nun aus dem Büblein da drüben werden?«

      »Ja, was soll aus dem Büblein werden?« wiederholte die Großmutter. »Das frage ich mich auch, und wenn ich nur auf die Menschen sehen wollte, so wüßte ich keine Antwort. Ja, es ist noch ein Vater im Himmel, der die verlassenen Kinder sieht. Er wird auch einen Weg für das Büblein finden.«

      »Sagt mir einmal, Nachbarin, wie kam es eigentlich, daß der Italiener die Tochter von Eurer Nachbarin da drüben zur Frau bekam? Man weiß doch nie, woher solche fremden Menschen kommen und was mit ihnen ist.«

      »Es ging eben, wie es geht, Nachbar. Ihr wißt ja, meine alte Bekannte, die Frau Anne-Dete, hatte alle ihre Kinder verloren und auch den Mann und lebte allein drüben im Häuschen mit dem Marie-Seppli, das ein lustiges Töchterlein war. Es mögen jetzt elf oder zwölf Jahre sein, da kam der Trevillo zuerst hierher. Er hatte Arbeit oben am Maloja und kam mit den Burschen hier herunter. Kaum hatten Marie-Seppli und er einander gesehen, so wurden sie einig, sie wollten einander haben. Und das muß man dem Trevillo nachsagen, er war nicht nur ein schöner Bursche, der jedem gefallen konnte, sondern auch ein anständiger und rechtschaffener Mensch, die Anne-Dete hatte selber ihre Freude an ihm. Sie hätte nun freilich gern gewollt, die beiden blieben bei ihr im Häuschen, und der Trevillo hätte es gern getan. Er verstand sich gut mit der Mutter, und für Marie-Seppli tat er, was es nur wollte. Er war manchmal mit ihm zum Maloja hinaufspaziert und hatte die Straße hinuntergeschaut, die man soweit sieht, wie sie ins Tal hinabgeht. Er hatte ihr erzählt, wie es unten sei, wo er daheim war. Da hatte sich das Marie-Seppli in den Kopf gesetzt, es wolle dort hinunter, und es half alles nichts, wie auch die Mutter jammerte und weinte, sie könnten da unten nicht leben. Da sagte aber der Trevillo, deswegen brauche sie keine Angst zu haben, er habe ein Gütlein und ein Häuschen unten. Er sei nur lieber ein wenig in die Welt hinausgezogen. Jetzt hatte er das Marie-Seppli gewonnen, und nach der Hochzeit wollte es auf der Stelle den Berg hinunter. Es schrieb dann der Mutter, daß es ihm gut ginge und der Trevillo der beste Mann sei.

      Aber nach etwa fünf oder sechs Jahren trat eines Tages der Trevillo drüben in die Stube bei der Anne-Dete ein und hatte ein Büblein

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