Sophienlust Staffel 14 – Familienroman. Elisabeth Swoboda
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Polizeimeister Kirsch hatte die Ankunft des verletzten kleinen Jungen bereits avisiert. Uwe wurde erwartet. Alles war für einen sofortigen Eingriff vorbereitet.
*
»Warum musste auch dieser Düsenjäger die Pferde scheu machen«, maulte Henrik, als die Kinder langsam nach Sophienlust zurückgingen. Es war nur ein kurzes Stück Weg, und doch brauchten die Kinder ungewöhnlich lange dazu. Alle ließen sie traurig den Kopf hängen.
»Glaubst du, dass Uwe stirbt?«, piepste Angelika und drückte sich eng an die ältere Irmela.
Fabian schnupfte. »Wenn er stirbt, will ich nie mehr reiten.«
»Ich habe Uwe so lieb gehabt«, stöhnte ein kleiner rothaariger Lausbub. »Fast so, als wäre er mein Bruder.«
Nick und Pünktchen kamen eben vom Polizeirevier zurück. Sie stellten ihre Räder ab und gingen den Kameraden entgegen.
»Was ist denn mit euch los?«, fragte Nick sofort. »Ist der Verbrecher entwischt?«
»Welcher Verbrecher denn?« Angelika sah den großen Jungen erstaunt an.
Nick wechselte einen raschen Blick mit Pünktchen. Nichts verraten!, bedeutete die kleine Geste, den Finger über die Lippen zu legen.
Unmittelbar nach Christians Auftauchen waren Nick und Pünktchen zum Revier geradelt, um Polizeimeister Kirsch Meldung zu erstatten. Dieser hatte dann auch sofort sein Auto genommen, um nach Sophienlust zu fahren. Selbstverständlich war er wesentlich schneller gewesen als die Kinder mit dem Rad.
»Da war kein Verbrecher«, stellte die kleine Heidi richtig. »Nur ein junger Mann, der Uwe ein Auto geschenkt hat.«
»Und dann ist es ihm zwischen die Pferde gefallen«, ergänzte Henrik aufgeregt.
»Und der Düsenjäger ist gekommen. Und die Pferde sind vor Angst wild durcheinander gerannt. Und eines hat Uwe getreten. Direkt an den Kopf.« Jetzt redeten alle Kinder durcheinander. Vor lauter Geschrei war kaum noch etwas zu verstehen.
»Uwe hat ganz furchtbar geblutet«, berichtete Irmela sachlich. »Der junge Mann hat ihn sofort zu seinem Wagen gebracht und ist mit ihm zum Krankenhaus gefahren.«
»Und Polizeimeister Kirsch?« Nick kratzte sich etwas verlegen hinter den Ohren.
»Hat ihm geholfen.« Fabian schnupfte.
»Jetzt verstehe ich gar nichts mehr«, murmelte Nick.
»Ich auch nicht«, pflichtete Pünktchen ihm bei.
»Wir laufen zu Frau Rennert. Vielleicht weiß sie noch gar nichts davon.« Angelika setzte sich schon in Bewegung.
»Herr Kirsch war doch bei ihr und hat mit dem Krankenhaus telefoniert«, erinnerte Henrik das Mädchen.
»Trotzdem.«
Jetzt hatten es die Buben und Mädchen plötzlich eilig. Nick und Pünktchen blieben allein zurück. Sie ließen sich ins Gras sinken.
»Ich weiß nicht, aber ich glaube, wir haben etwas sehr Dummes gemacht«, jammerte Pünktchen. Ihre blauen Kinderaugen füllten sich mit Tränen.
»Den Eindruck habe ich auch«, stöhnte Nick und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Ich glaube jetzt, dass der junge Mann gar nicht der gesuchte Entführer ist.«
»Aber warum hat er sich dann so komisch verhalten?«
»Weiß ich nicht.« Nick ließ traurig den Kopf hängen. Es belastete ihn schwer, dass ausgerechnet in Sophienlust ein Kind zu Schaden gekommen war. »Was glaubst du, was meine Mutti sagen wird?«, fragte er zerknirscht.
»Glaubst du, dass alles nicht passiert wäre, wenn wir nicht zu Herrn Kirsch gegangen wären?« Pünktchens Zähne schlugen klappernd aufeinander.
»Woher soll ich das wissen? Aber wenn Uwe tatsächlich stirbt, dann kann ich nie mehr richtig froh sein.«
»Ich auch nicht.« Pünktchens dünnes Stimmchen klang kläglich.
»Wenn Mutti alles erfährt, wird sie schimpfen. Sie hat mir schon so oft gesagt, dass ich mich nicht mit solchen Dingen befassen soll.« Nick empfand echte Reue. Warum hatte er seine Mutti nicht zuerst um Rat gefragt? Warum hatte er sich ihr nicht anvertraut?
»Ob wir ihr alles sagen sollen?«, flüsterte das blonde Mädchen verzagt. »Vielleicht ist sie dann nicht so böse.«
Eigentlich konnte sich Pünktchen die charmante Tante Isi überhaupt nicht böse vorstellen. Sie schimpfte niemals, verlor nie die Beherrschung. Wenn ein Kind ungezogen war oder wenn es Dummes angestellt hatte, sprach sie gütig und liebevoll mit ihm – und schon war alles nur noch halb so schlimm.
Nick hatte ähnliche Gedanken. Seiner Mutti alles anzuvertrauen, ihre Meinung zu hören, dieser Wunsch wurde immer unüberwindlicher in ihm. »Radeln wir nach Schoeneich hinüber. Mutti hat Besuch.«
»Aber dann können wir doch nicht stören«, wehrte sich Pünktchen.
»Wir probieren es.« Nick nahm bereits sein Fahrrad.
Was blieb Pünktchen anderes übrig, als ihm zu folgen?
*
Unruhig ging Christian Gentsch im Wartezimmer auf und ab. Er konnte vor Nervosität keinen Augenblick stillstehen. Schwester Regine war mit dem Bus nach Sophienlust zurückgekehrt. Dringend hatte sie den Studenten gebeten, über das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung telefonisch zu berichten.
Der junge Mann sah immer wieder zu der elektrischen Uhr. Es war jetzt eine knappe Viertelstunde vergangen, seit er Uwe hier einer Krankenschwester übergeben hatte, die ihn sofort in den Untersuchungsraum gebracht hatte.
Warum dauerte es nur so unheimlich lange? Was machte man mit dem armen kleinen Jungen? Christian fuhr sich mit gespreizten Fingern durch das dichte blonde Haar. Was hätte er dafür gegeben, wenn er alles hätte ungeschehen machen können. Doch was änderte es, wenn er sich Vorwürfe machte, wenn er sich die Haare raufte? Es half Uwe nicht das Geringste.
War Uwes junges Leben noch zu retten? Oder musste er bezahlen für den Leichtsinn anderer? Welch schwere Vorwürfe würde Inge ihm machen, wenn sie alles erfahren würde? Inge, die dieses Kind liebte wie nichts anderes auf der Welt?
Sie würde ihm nie verzeihen, dass er den Kleinen aus der Obhut der Kindergärtnerin fortgelockt hatte, dass er ihn später allein zurückgeschickt hatte.
Inge! Wenn Christian an die schlanke junge Frau dachte, wurde ihm noch viel elender zumute. Es gab keine Entschuldigung für seinen Leichtsinn. Wenn Uwe nicht mehr gesund wurde, würde er auch Inge verlieren.
Verlieren? Besaß er sie denn? Sie hatte ihm zu keinem Zeitpunkt Hoffnungen gemacht. Immer war sie freundlich, aber zurückhaltend geblieben. Sie hatte nur gesagt, dass sie sich von ihrem Mann trennen würde, um allein mit dem Kind zu leben. Er hatte nie so recht daran geglaubt. Er war fast sicher gewesen, dass es ein bisschen Koketterie war, die Inge zu dieser Aussage verleitet hatte. Doch jetzt war