KOPFLOS IM KURHOTEL. Christina Unger
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»Nicht doch, Schatz, spätestens um zwölf Uhr sitzen wir am Mittagstisch und lassen es uns gut gehen. Ab jetzt beginnt unser Wohlfühlurlaub. Denk daran, während ich weg bin. Küsschen!«
»Arschloch!«
Hans-Jürgen überhörte diese unfreundliche Verabschiedung und stapfte davon. Nach wenigen Minuten degenerierte die Straße zu einem Weg und schließlich zu einem Pfad. Hier kommt nicht einmal ein Traktor durch, dachte er bange und hielt im Gehen inne. Diesen Weg weiterzuverfolgen war sinnlos, wenn nicht gar fahrlässig. Er musste zurück an den Ausgangspunkt und an der Straße auf jemanden warten, der ihn und seine Frau mitnahm. Hier gab es kein Hotel, so viel war sicher.
Auf einen Baum gepinselt erkannte er eine grünweiße Markierung und schloss daraus, dass hier ein Wanderweg durchgehen müsste, aber das half ihm in seiner Lage nicht weiter. Vor einem Bildstock mit einer weinenden Muttergottes, die ihr Jesuskind im Arm hielt, blieb er kurz stehen, denn zum Weinen war ihm gerade so richtig zumute. Von Gewissensbissen geplagt, kehrte er um.
Hinter einer Kurve sah er endlich den weißen Mercedes stehen, etwas windschief, wo er auf dem Wurzelstock aufsaß. Der größte Teil des Wagens lag im Schatten, nur auf der Motorhaube hatte sich ein einzelner Sonnenstrahl niedergelassen. Er wappnete sich für das, was nun kam: Zeter und Mordio von Ilse! Ob sie immer noch im Wagen saß oder so schlau gewesen war, ihre Freizeitschuhe aus dem Koffer zu holen und draußen die frische Waldluft einzuatmen?
Als er näherkam, sah er, dass sie den Wagen nicht verlassen hatte. Er erkannte ihre Gestalt hinter der Windschutzscheibe und stählte sich gegen den verbalen Kugelhagel seiner Frau.
Als er nähertrat, stutzte er. Ilses Kopf war seitlich nach hinten gekippt und ruhte auf der Kopfstütze. Ihr war langweilig geworden und sie machte ein Nickerchen. Auch gut. Aber jetzt musste er sie wecken und Farbe bekennen. Er öffnete die Fahrertür und stieg ein.
»Schatz, du hattest recht …« Er drehte den Kopf in ihre Richtung. Was er dann sah, ließ das Blut in seinen Adern gefrieren. Der Hals seiner Frau war von einem Ohr zum anderen aufgeschlitzt. Ihre erst kürzlich erstandene Sommerbluse war rot getränkt und eine Blutlache hatte sich unter dem Beifahrersitz gebildet. Hans-Jürgen wurde so weiß wie der Lack seines Mercedes. Ein Brechreiz überwältigte ihn und er taumelte ins Freie. Dort sank er auf die Knie und würgte solange, bis er sich endlich übergeben konnte. Noch im Knien blitzte über ihm eine silberne Schneide auf, surrte auf ihn herab und trennte mit einem glatten Schnitt den Kopf von seinen Schultern. Der Kopf rollte unter den Wagen, und noch im Rollen trug Hans-Jürgen das Grauen des Augenblicks auf seinem Gesicht.
Die Bio-und-Wellness-Alm
Die Bio-und-Wellness-Alm thronte auf einem sanften Hügel wie eine moderne Burg. Umgeben von den Obstgärten und Weinbergen der Südsteiermark erwartete den Gast ein Vier-Sterne-Hotel mit einem großen Panoramapool und einer fantastischen Aussicht. In der Ferne konnte man das Massiv des Hochwechselgebirges erkennen. Da der Winter bis in den April hinein gedauert hatte, funkelte auf einzelnen Bergkuppen noch immer Schnee. Eine Übergangszeit gab es längst keine mehr – vom Winter direkt in den Sommer.
Das Hotel warb mit Bio- und Vollwertkost sowie der Zusicherung: Wir sprechen Ihre Sprache – was immer das heißen mochte. Die zahlreichen Gäste kamen aus dem In- und Ausland, und jene, die sich die sündteuren Preise leisten konnten, quartierten sich gleich für mehrere nachhaltige Wochen ein. Das Hotel beherbergte jedoch auch solche Kurgäste, die von ihren Krankenkassen geschickt worden waren und einen lächerlich kleinen Anteil zu ihrem Aufenthalt zuschießen mussten. Das sorgte öfters für böses Blut zwischen den privaten Gästen und den anderen.
Samstag war An- und Abreisetag, und heute war wieder Samstag. Familie Schneider aus Wien rückte bereits um neun Uhr mit vier Personen an: Opa Lutz, Sohn Walter, Schwiegertochter Beate und Enkel Tommy. Opa stützte sich neuerdings auf einen Rollator, den ihm seine Schwiegertochter vor der Abreise gekauft hatte, damit er während seines Aufenthalts unabhängiger von ihrer Hilfe war. Ihre Zimmer lagen deshalb auch im Erdgeschoss und Opa teilte sich seines mit Tommy.
Sein Enkel mit dem blonden Wuschelhaar und den strahlend blauen Augen sah seinen Eltern gar nicht ähnlich, die beide braune Augen und brünette Haare hatten, wenn auch jetzt schon ein wenig angegraut. Sein Aussehen hatte Tommy eindeutig von Opa geerbt, als dieser jung gewesen war – also noch während des Dreißigjährigen Krieges, wie Tommy gern scherzte, der Geschichte studierte. Er liebte seinen Opa, denn Opa machte bei jedem Blödsinn mit. Im Gegensatz zu seinen Eltern war es Tommy nämlich komplett wurscht, ob Opa sich daneben benahm, obszöne Ausdrücke gebrauchte, sich vollkleckerte, in die Hose pinkelte oder heimlich rauchte. Opa seinerseits war es völlig wurscht, ob Tommy mit seinen fünfundzwanzig Jahren noch weitere zehn Jahre auf Kosten seiner Eltern studierte, mehr Zeit mit dem Smartphone verbrachte als im Hörsaal, sich ab und zu einen Joint genehmigte und die Freundinnen wechselte wie andere die Unterwäsche – Opa und Tommy waren ein zusammengeschweißtes Gespann.
In Wien teilte sich die Familie ein Einfamilienhaus in Döbling. »Drei Generationen unter einem Dach ist einfach nicht gut«, hatte Beate in der Vergangenheit immer wieder zu Walter gesagt. »Noch dazu mit einem Vater wie dem deinigen.«
»Ich kümmere mich wenigstens um meinen Vater!«, hatte Walter daraufhin immer geantwortet und auf Beates Vater angespielt, den sie längst an ein Seniorenheim losgeworden war. Beate hingegen empfand es als Zumutung, sich mit dem alten Herrn sogar im Urlaub zu belasten.
»Stell dir vor, ich würde auch noch meinen Vater pflegen müssen! Dann hätte ich zwei senile Witwer am Hals. Du bist damit ja nicht belastet. Du gehst am Morgen aus dem Haus und abends, wenn du heimkommst, liegt Opa gefüttert und gewindelt in seinem Bett. Zusätzlich habe ich noch deinen faulen Sohn zu versorgen …«
»Unseren Sohn! Außerdem lebt ihr von meinem Geld«, betonte Walter, der seine Brötchen in einem großen Versicherungsunternehmen verdiente. »Da kann ich auch ein wenig Engagement erwarten.«
Walter, der Ernährer! Wer das Geld heimbrachte, schaffte an. Dass sie ihre Arbeit in einer Anwaltskanzlei aufgegeben hatte, um für seinen Vater zu sorgen, sah er als selbstverständlich an, denn Walter war noch ein Überbleibsel aus einer Zeit, wo Frauen am Herd ihre Erfüllung fanden, und das, obwohl er mit seinen neunundvierzig Jahren noch gar nicht so alt war. Sie kannte weitaus ältere Männer, die moderner dachten. Die Rolle als Familienoberhaupt aber nahm in seinem Leben so viel Platz ein, dass er die Rolle als Ehemann und Liebhaber längst verdrängt hatte. Erotik und Sex kannte Beate nur noch aus den Frauenzeitschriften beim Friseur oder aus der Erinnerung. Und die verblasste mit jedem Jahr mehr. Selbst Opa hatte für Erotik und Sex mehr übrig, wenn man ihm manchmal so zuhörte. Und obwohl sein Gebrabbel für die Anwesenden meist mehr peinlich als amüsant war, merkte man deutlich, dass in diesem alten Körper noch jede Menge Leben steckte. In Walters Körper hingegen steckte außer der Frage nach dem Stand seiner Aktien nur noch die Frage, was es heute zu essen gab.
Nach dem Einchecken begann Familie Schneider damit, sich einzuquartieren. Auf einem lichtdurchfluteten Flur mit Ausblick auf die sanften Hügel des Umlands gelangten sie auf einem roten Teppichläufer zu ihren Zimmern. Beate und Walter schleppten die vier Koffer und acht Reisetaschen in mehreren Etappen, Tommy trug Opas Rollator und Opa trug sich selbst. Nachdem Opa die Größe des Zimmers bemängelt hatte, Beate erst mal eine Verschnaufpause einlegen musste und Tommy mit dem Telefonieren fertig war, versammelte sich die Familie Punkt zwölf Uhr um den Mittagstisch im ersten Stock.
Es gab noch einen Speisesaal im Erdgeschoss,