KOPFLOS IM KURHOTEL. Christina Unger
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Читать онлайн книгу KOPFLOS IM KURHOTEL - Christina Unger страница 5
Als der Kellner fort war, knüpfte er an das Gespräch an und wollte von Frau Kitzler wissen: »Wie war das mit der Familie, die Sie nie hatten?«
Diese seufzte. »Leider hat sich in meinem bisherigen Leben eine eigene Familie nicht ergeben. Immer nur arbeiten, kaum Zeit, auszugehen … und heute bin ich zu alt.«
»Sie sind doch nicht alt!«, widersprach Walter heftig.
»Für Kinder schon.«
»Aber nicht für einen liebenden Ehemann.«
»Und woher nehmen, wenn nicht stehlen?«
Darauf wusste Walter auch keine Antwort, denn er und Beate hatten sich in einer Disco kennengelernt und gleich darauf geheiratet, da waren sie beide gerade um die zwanzig gewesen. Wie man heutzutage jemanden kennenlernte, darüber konnte er am allerwenigsten Auskunft geben.
»Wie wäre es mit einer Anzeige bei der Singlebörse?«, schlug Tommy vor. »Das machen heute viele in Ihrem Alter.«
»Tommy!«, tadelte Beate ihren Sohn mit unterdrückter Stimme. »Verzeihen Sie bitte … die Jugend! Redet halt, wie ihr der Schnabel gewachsen ist.«
»Ich will doch nicht irgendeinen Mann!«, empörte sich Frau Kitzler. »Aber Sie, mit Ihren zwanzig Jahren, haben natürlich leicht reden!«
»Tommy ist schon fünfundzwanzig«, gab Beate zu und schämte sich ein wenig für ihren infantilen Sohn.
»Wenn Sie auf den Traumprinzen warten«, spöttelte Frau Rosenblatt, »dann friert eher die Hölle zu! Wer zu anspruchsvoll ist, bleibt über.«
»So wie Sie?«, fragte Margot Kitzler schnippisch zurück.
»Meine Beziehungslosigkeit beruht auf Freiwilligkeit, das ist ein riesengroßer Unterschied. Alleinsein ist nicht mit Einsamkeit gleichzusetzen, ich bin gern allein.«
»Selbstverliebt genug sind Sie ja.«
Walter bereute schon, mit diesem Thema überhaupt angefangen zu haben. Zum Glück wurde die Nachspeise serviert und die Aufmerksamkeit richtete sich auf das Kirschenkompott.
»Gibt es hier eigentlich auch etwas Handfestes zu essen?«, grollte er und schielte auf das Glas mit den losen Früchten, die in einem dünnen Saft schwammen.
»Wenn Sie Schokoladentorte mit Schlagsahne erwarten, dann haben Sie das falsche Hotel gewählt«, sagte Frau Professor Rosenblatt.
»Ich finde das Essen cool!«, rief Tommy. »Endlich mal kein Fleisch.«
»Und nichts, das dick macht«, freute sich Beate. »Iss, Schatz!«, feuerte sie ihren Mann an. Diesmal konnte er nicht ihr die Schuld am Essen geben, denn das Hotel hatten sie gemeinsam ausgesucht.
»Uns ist ganz kannibalisch wohl, als wie fünfhundert Säuen!«, zitierte Opa aus Goethes Lustige Gesellen und spuckte einen Kern quer über den Tisch.
Walter Schneider lernt das Fürchten
Punkt fünfzehn Uhr war Familie Schneider endlich in ihren Zimmern eingerichtet, jeder Koffer war ausgepackt und die Toilettensachen im Badezimmer ordentlich aufgereiht. Ein Telefonanruf der Rezeption bat die Familie, sich bei der Kurärztin im Untergeschoss einzufinden. Tommy und Opa wurden zuerst aufgerufen, Beate und Walter mussten warten.
Nach einer halben Stunde ging die Tür auf. Opa und Enkel traten auf den Flur.
»Und?«, wollte Walter sofort wissen, »was hat sie gesagt?«
»Dass ich so dünn bin, wie eine zerquetschte Spaghetti!«, grinste Tommy.
»Und was ist mit dir?«, wandte er sich an seinen Vater. »Wie ist dein Zustand?«
Opa hatte seinen Rollator im Zimmer gelassen und sich bei seinem Enkel eingehängt. Sein Hemd war verkehrt zugeknöpft und ein Hemdzipfel im Hosenstall eingeklemmt.
»Ich bin für mein Alter geradezu ein Ausbund an Gesundheit!«
»Das hat sie wirklich gesagt«, bestätigte Tommy, als er in die skeptischen Gesichter seiner Eltern blickte.
»Hat sie auch deinen Geisteszustand überprüft?«, fragte Beate spitz.
Opa hielt ihr grinsend ein Blatt Papier hin. »Lies, o du meine misstrauische Schwiegertochter!«
Beate nahm das Blatt zögernd in die Hand und las.
Befund: Allseits gut orientiert, gut kontaktfähig, Gedanken in Form und Inhalt geordnet, psychomotorisch ausgeglichen, Merk- und Konzentrationsfähigkeit erhalten. Stimmung: normal schwingungsfähig, keine produktive oder psychosomatische Symptomatik …
Beate ließ das Blatt sinken. »Von wem reden die da? Das bist doch nicht du! Diesen Befund hast du doch jemand anderes gestohlen!«
Ehe Opa seinen Triumph noch weiter auskosten durfte, öffnete sich die Tür zur Ordination und Walter und Beate wurden von der Frau Doktor freundlich hereingebeten. Sie war eine hübsche junge Frau mit blonden Haaren und einem schneeweißen Kittel.
»Bitte nehmen Sie Platz. Wie geht es Ihnen?«
»Gut«, antworteten Walter und Beate aus einem Munde.
»Haben Sie irgendwelche körperliche Beschwerden oder besondere Wünsche?«
»Beschwerden haben wir keine gröberen, nur …« Walter wollte das Essen ansprechen, aber Beate kam ihm zuvor. »Körperlich fehlt uns eigentlich nichts. Wir suchen nur Erholung und eine gesündere Lebensweise zum Alltag.«
Frau Doktor lächelte. »Da sind Sie bei uns goldrichtig.«
Beate räusperte sich. »Eine Frage, Frau Doktor. Sie haben doch vorhin meinen Schwiegervater untersucht …«
»Lutz Schneider? Ein sehr lebenskluger und liebenswerter Mann.«
Beate sah sie ein wenig skeptisch an und räusperte sich. »Ich habe seinen Befund gelesen, also den psychischen. Ist der wirklich von Ihnen?«
Frau Doktor lächelte. »Ich darf über andere Patienten keine Auskunft geben – das gilt auch bei einem Verwandtschaftsverhältnis. Aber ich kann Ihnen versichern, der alte Herr ist besser drauf, als Sie vielleicht vermuten.«
»D–das sind ja überraschend gute Nachrichten«, stotterte Beate.
»Nun zu Ihnen!«
Beate und Walter erschraken.
Frau Doktor bat sie, ihre Oberkörper freizumachen, hörte ihre Lungen ab, maß ihren Blutdruck, ihre Größe, beorderte sie auf die Waage und stellte noch einige allgemeine Fragen. Dann nahm sie wieder hinter ihrem Schreibtisch Platz.
»Sie sind einen Meter achtundsiebzig groß und wiegen dreiundneunzig Kilo«, knöpfte sie sich Walter als Erstes vor. »Das ist zu viel.«
Walter widersprach: »Ich bin eins-achtzig!«